Brüssel. Russland blockiert mit Aufwand die Schwarzmeer-Häfen in der Ukraine. Wie kann der Westen eingreifen, um eine Hungerkrise abzuwenden?

Es ist ein Wettlauf um Leben und Tod in vielen Teilen der Welt, jetzt schaltet sich auch Papst Franziskus ein: „Bitte benutzt nicht Weizen als Kriegswaffe“, mahnte der Pontifex in einem dramatischen Appell zum Ukraine-Krieg. Millionen von Menschen in den ärmsten Ländern seien abhängig vom Weizen aus der Ukraine, die Exportblockade müsse aufgehoben werden.

Den russischen Präsidenten Wladimir Putin sprach der Papst nicht direkt an, aber natürlich ist er gemeint: Die russische Seeblockade im Schwarzen Meer, die alle Transporte über ukrainische Häfen seit vielen Wochen verhindert, löst weltweit immer größere Besorgnis aus. Eine Hungerkatastrophe droht. Schon wird der Ruf nach einem militärischen Einsatz des Westens laut – doch das Risiko ist groß.

Etwa 20 Kriegsschiffe hat die russische Marine im Einsatz, um den Zugang der Ukraine zum Schwarzen Meer gezielt und vollständig abzuriegeln. Die russischen Schiffe haben sich etwas aus dem Küstenbereich zurückgezogen, um zu verhindern, dass nach dem Kreuzer „Moskwa“ weitere Schiffe von ukrainischen Raketen versenkt werden können. Aber die Marine-Präsenz ist nach Einschätzung westlicher Militärbeobachter weiter wirkungsvoll.

Mit Raketen auf der Krim und der Schlangeninsel kontrolliert Russland den Seezugang

Die eingesetzten U-Boote sind mit Kalibr-Marschflugkörpern bewaffnet, dazu kommen Raketenstellungen auf der Krim, mit denen sich das Meer von Land aus kontrollieren lässt: Sie umfassen Luftabwehrraketen und Anti-Schiffsraketen, die auch den Hafen von Odessa erreichen können, dazu Systeme zur elektronischen Kriegsführung.

Auch auf der von russischen Soldaten besetzten, strategisch wichtigen Schlangeninsel 200 Kilometer südlich von Odessa werden zunehmend schwere Waffen stationiert. Die Häfen – neben dem größten ukrainischen Seehafen Odessa vor allem Mykolajiw – sind außerdem vermint: Einen Teil der Minen hat Russland verlegt, einen Teil die Ukraine, um Angreifer abzuwehren.

An einem Strand in Odessa warnt ein Schild vor Landminen. Diese Minen hat die ukrainische Armee zur Abwehr russischer Angriffe gelegt.
An einem Strand in Odessa warnt ein Schild vor Landminen. Diese Minen hat die ukrainische Armee zur Abwehr russischer Angriffe gelegt. © dpa | -

Die Folge: In den Häfen, vor allem in Odessa, stecken rund 80 Fracht- und Tankschiffe fest. Weizen, Sonnenblumenöl, Dünger und Industrie-Güter können nicht mehr auf dem Seeweg exportiert werden. Russland will die Ukraine so offenbar wirtschaftlich in die Knie zwingen und womöglich absichtlich eine Nahrungsmittelkrise provozieren.

Die Folgen sind dramatisch: Die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerdeböden ist einer der wichtigsten Getreide-Exporteure weltweit. Aber 90 Prozent der Transporte gehen über das Meer, etwa nach Afrika, Indonesien, Pakistan und Bangladesh. Rund 20 bis 25 Millionen Tonnen Getreide aus der vergangenen Ernte können jetzt nicht verschifft werden.

Weil deshalb kein Platz mehr in den Silos ist, droht die neue Ernte zu verrotten. Die Weltmarktpreise für Weizen sind schon stark gestiegen, Kanzler Olaf Scholz (SPD) warnt vor „der weltweit größten Hungernot seit Jahrzehnten“. Beim EU-Gipfel diese Woche klagte der senegalische Staatschef Macky Sall: „Diese Krise trifft besonders unsere Länder.“

Die EU-Regierungschefs forderten betroffen ein Ende der Blockade. Parallel segnete der Gipfel Pläne ab, den Güter-Transport aus der Ukraine per Eisenbahn und Lastwagen rasch auszubauen. Aber solche Transporte sind riskant und erreichen nur einen Bruchteil der Schiffskapazitäten.

Jetzt liefert Dänemark Antischiffs-Raketen „Harpoon“ an die Ukraine

Die Ukraine fordert deshalb die Lieferung schwerer Waffen, um den Weg für den Schiffsverkehr freizuschießen. Die Häfen müssten von der Blockade befreit werden, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyi. Lange haben westliche Staaten gezögert, doch nun hat Dänemark mit der Lieferung von Antischiffs-Raketen „Harpoon“ begonnen, die mit einer Reichweite von 300 Kilometern die russischen Kriegsschiffe wirkungsvoll bedrohen können. Die Raketen allein reichen aber nicht, um die Öffnung der Häfen zu erzwingen.

Der Zerstörer USS Ross der US Navy im Hafen von Odessa. Die Aufnahme stammt aus dem Juni 2021, als das Kriegsschiff an der Militärübung
Der Zerstörer USS Ross der US Navy im Hafen von Odessa. Die Aufnahme stammt aus dem Juni 2021, als das Kriegsschiff an der Militärübung "Sea Breeze" (Meeresbrise) teilnahm. Wird die US-Navy bald wieder in Odessa eingesetzt, um Schiffs-Konvois aus ukrainischen Häfen zu begleiten? Erste Forderungen gibt es. © dpa | Konstantin Sazonchik

Angesichts des schlechten Zustandes der jahrelang vernachlässigten ukrainischen Marine hat die Regierung in Kiew aber auch keine anderen Optionen. Der Westen hätte sie schon: Der frühere Nato-Oberbefehlshaber James Stavridis hat jetzt als erster Experte von Rang militärisch gesicherte Schiffs-Konvois gefordert, deren Schutz die USA und ihre Alliierten übernehmen sollten.

In Europa unterstützt unter anderem Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis die Idee. Vorbild wäre die Operation „Ernest Will“, bei der im Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahren Kriegsschiffe der US-Navy Öl-Tanker aus dem Persischen Golf hinausbegleitet haben. Allerdings war der Iran, anders als Russland, keine Atommacht.

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Auch deshalb wird die militärische Konvoi-Idee in der Nato bislang abgelehnt, ähnlich wie zuvor schon eine Flugverbotszone. „Eine direkte Einmischung in den Konflikt ist für die Allianz ausgeschlossen“, sagt ein hoher Nato-Militär. US-Generalstabschef Mark Milley warnt eindringlich, ein Militäreinsatz im Schwarzen Meer wäre aufwendig und „hochriskant“. Noch setzen daher westliche Staaten auf eine Verhandlungslösung für einen von Moskau akzeptierten sicheren Korridor.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres bemüht sich intensiv darum. Putin hatte in einem Telefonat mit Kanzler Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Entgegenkommen in Aussicht gestellt – er forderte dafür allerdings die Aufhebung von westlichen Sanktionen.

Zuversicht vor russisch-türkischen Gesprächen über See-Korridor

Mit Spannung wird nun ein Treffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Ankara erwartet, bei dem es um die Einrichtung eines solchen Sicherheitskorridors im Schwarzen Meer gehen soll. Macron zeigte sich vorab zuversichtlich. Auch der österreichische Kanzler Karl Nehammer berichtete nach einem Telefonat mit Putin von Signalen, dass Exporte über die Häfen wieder zugelassen würden.

Doch sieht nicht nur er ein Problem: Was, wenn russische Soldaten über die sicheren See-Korridore einen neuen Landungsangriff auf die ukrainische Küste starten? Wenn die Häfen von Minen geräumt seien, meint Nehammer, dürfe Moskau das nicht ausnutzen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Text erschien zuerst auf waz.de.