Berlin. Bisher schickte der Westen in der Ukraine-Krise vor allem mahnende Worte an Russland. Nach der Sicherheitskonferenz folgen nun Taten.

Angesichts des gewaltigen russischen Truppenaufmarsches vor der Grenze zur Ukraine rechnen immer mehr Spitzenpolitiker im Westen mit einem Krieg. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende war die Einschätzung der Lage düster wie lange nicht.


Ukraine-Krise: So plant US-Präsident Joe Biden

Joe Biden, US-Präsident
Joe Biden, US-Präsident © AFP | JIM WATSON

Der amerikanische Staatschef ist „überzeugt“, dass Russland die Ukraine bald angreifen wird. „Wir haben Gründe zu glauben, dass das russische Militär plant und vorhat, die Ukraine in der kommenden Woche, in den kommenden Tagen, anzugreifen“, sagte Biden bereits am Freitag.

„Wir glauben, dass sie die ukrainische Hauptstadt Kiew angreifen werden, eine Stadt mit 2,8 Millionen unschuldigen Menschen.“

Nach Ansicht von US-Vizepräsidentin Kamala Harris ist der Ukraine-Konflikt eine Gefahr für ganz Europa. „Die Grundlage der europäischen Sicherheit ist in der Ukraine unmittelbar bedroht“, sagte Harris auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Falle einer Invasion in die Ukraine müsse Russland mit „weitreichenden Finanzsanktionen und Exportkontrollen“ rechnen.

Außerdem bekräftigte Harris die Aufstockung der US-Truppen an der Ostflanke der Nato, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. „Wie Präsident Biden gesagt hat, werden unsere Streitkräfte dort nicht stationiert, um in der Ukraine zu kämpfen, aber sie werden jeden Zentimeter des Nato-Gebiets verteidigen.“ Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, der den Bündnisfall regelt, sei für die US-Regierung „sakrosankt“, betonte Harris.

Die USA haben bereits 6000 zusätzliche Soldaten nach Rumänien, Polen und Deutschland entsandt und Tausende weitere Kräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Aktuell befinden sich dem US-Militär zufolge mehr als 80.000 amerikanische Soldaten in Europa, darunter etwa 35.000 in Deutschland. Im vergangenen Jahr lieferte Amerika Waffen in Höhe von 650 Millionen Dollar an die Ukraine. US-Außenminister Antony Blinken kündigte die Lieferung weiterer Rüstungsgüter an.

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Ukraine-Krise: So plant Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Jens Stoltenberg, Nato-Stoltenberg
Jens Stoltenberg, Nato-Stoltenberg © AFP | KENZO TRIBOUILLARD

Die Nato erwartet eine umfassende Attacke der russischen Armee auf das Nachbarland. „Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant“, erklärte der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg. Es gebe Anzeichen dafür, dass „Russland sich darauf vorbereitet, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu schaffen“.

Der Nato-Oberbefehlshaber in Europa verkürzte die Bereitschaftszeiten für mehrere Zehntausend Bündnissoldaten drastisch. Künftig müssen Kräfte der schnellen Eingreiftruppe NRF innerhalb von nur sieben statt innerhalb von 30 Tagen verlegt werden können. Für weitere Truppenteile gilt ab sofort eine „Notice to move“-Frist von 30 statt 45 Tagen. Von der Nato wurde die Gesamtgröße der NRF zuletzt mit rund 40.000 Soldaten angegeben.

Ukraine-Krise: So plant Russlands Präsident Wladimir Putin

Wladimir Putin, Russlands Präsident
Wladimir Putin, Russlands Präsident © AFP | Sergei Guneyev

Noch am Dienstag hat Russland einen Teilrückzug seiner Truppen angekündigt. Westliche Warnungen vor russischen Angriffsplänen wurden im Kreml als „Hysterie“ zurückgewiesen. Doch das wochenlange Mantra Putins vom Abzug hielt der Wirklichkeit nicht stand.

Die Gesamtzahl russischer Truppen wurde nach westlichen Angaben in den vergangenen Wochen von rund 100.000 auf 150.000 erhöht. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin wies darauf hin, dass Russlands Armee Blutkonserven aufstocke und mehr Kampfflugzeuge losschicke, was auf eine Invasion hindeute.

Entgegen früheren Ankündigungen setzen Russland und Belarus ihre Militärübungen fort – zuvor war der 20. Februar als Enddatum genannt worden. Nach Nato-Angaben befinden sich 30.000 russische Soldaten in Belarus. Am Sonnabend hat Russland in dem Land ein Manöver mit atomwaffenfähige Raketen abgehalten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Putin verständigten sich am Sonntag in einem Telefonat darauf, an einem Waffenstillstand in der Ostukraine zu arbeiten. Dennoch machte der Kreml danach wieder die Ukraine für die Gewalt dort verantwortlich.

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Ukraine-Krise: So plant Ukraines Staatschef Wolodymyr Selenskyj

Wolodymyr Selensky, Präsident der Ukraine.
Wolodymyr Selensky, Präsident der Ukraine. © dpa | Sven Hoppe

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte einen „klaren Zeitrahmen“ für einen Nato-Beitritt seines Landes. Die Mitgliedstaaten des Bündnisses sollten nicht von einer „Politik der offenen Tür“ reden – er erwarte vielmehr „Ehrlichkeit“.

Selenskyj bezeichnete sein Land als Europas „Schutzschild“ gegen Russland. Die Ukraine brauche Waffen und internationale „Sicherheitsgarantien“. Die Streitkräfte seines Landes seien auf alles vorbereitet, betonte der Präsident. Die ukrainische Armee verfügt über mehr als 200.000 Soldaten und rund 900.000 Reservisten. Selenskyj habe zugesagt, nicht auf Russlands „Provokationen“ in der Ostukraine zu antworten, erklärte der Élysée-Palast in Paris.

Ukraine-Krise: So plant Großbritanniens Premierminister Boris Johnson

Boris Johnson, britischer Premierminister
Boris Johnson, britischer Premierminister © Getty Images | Alexandra Beier

Vom britischen Regierungschef Boris Johnson kamen die schärfsten Warnungen. Russland bereite sich auf „den vielleicht größten Krieg in Europa seit 1945“ vor, sagte Johnson. Die britische Außenministerin Liz Truss rief den Westen zu entschlossenem Widerstand auf. „Wir müssen Putin stoppen, denn er wird nicht bei der Ukraine stoppen“, sagte die Ministerin. Auch das Baltikum und der Westbalkan seien bedroht.

Johnson hat angekündigt, die Zahl der rund 1150 in Osteuropa stationierten britischen Soldaten zu verdoppeln. Darüber hinaus sollen Waffen, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge nach Osteuropa verlegt werden. Großbritannien unterstützt die Ukraine bereits mit der Lieferung von leichten Panzerabwehrwaffen.

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Ukraine-Krise: So plant Bundeskanzler Olaf Scholz

Olaf Scholz, Bundeskanzler
Olaf Scholz, Bundeskanzler © AFP | JOHANNA GERON

Auch der deutsche Regierungschef warnte in drastischen Worten. „In Europa droht wieder ein Krieg. Das Risiko ist alles andere als gebannt.“ Der Kanzler warb zwar für Verhandlungen mit Russland, mahnte aber gleichzeitig Realismus an. Scholz: „Der Frieden in Europa kann nur gewahrt werden, wenn Grenzen nicht verletzt werden.“

Scholz sicherte zudem die deutsche Unterstützung der Nato im Falle einer russischen Invasion zu: „Deutschland steht zur Garantie des Artikels 5 – ohne Wenn und Aber.“ Der Verweis auf Artikel 5 des Nato-Vertrags und die Beistandspflicht könnte auch ein Signal an Moskau gewesen sein. Botschaft: Im Falle eines russischen Angriffs auf ein Nato-Mitglied – etwa im Baltikum – wäre unter anderem auch die Bundeswehr involviert.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte eine Erhöhung des Wehretats an, damit Deutschland innerhalb der Nato ein „verlässlicher Partner“ bleiben könne. Gleichzeitig wies Lambrecht angesichts der Aufstockung deutscher Soldaten an der Nato-Ostflanke auf die Kapazitätsgrenzen der Bundeswehr hin. Bislang hat ein rund 550 Soldaten großes Kontingent der Bundeswehr eine Nato-Battlegroup in Litauen geleitet. Der Verband soll nun mit 350 zusätzlichen Kräften verstärkt werden.

Eine Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine lehnt die Bundesregierung mit Verweis auf die restriktive Rüstungsexportpolitik ab. Bislang hat die Bundesrepublik 5000 Schutzhelme an die Ukraine geliefert. Eine neue Wunschliste aus Kiew, in der unter anderem von Flugabwehr-Raketensystemen und Nachtsichtgeräten die Rede ist, wolle man überprüfen, heißt es in Berlin.

Fazit

Die diplomatische Tür für eine Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine ist – wenn überhaupt – nur noch einen Spalt weit offen. Alle Vorzeichen deuten auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt