Brüssel. Moskau fürchtet die „finanzielle Atombombe“ als Sanktion nach einem Angriff auf die Ukraine. Es wäre nicht die einzige Strafe.

Für den Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine besitzt der Westen ein scharfes Schwert zur ultimativen Vergeltung. Es könnte die russische Wirtschaft ins Taumeln bringen. Von einer „finanziellen Atombombe“ spricht deshalb warnend der Chef der russischen Staatsbank, Andrej Kostin. Der Zünder für diese „Bombe“ liegt in einem Parkgelände südlich von Brüssel, gut geschützt durch hohe Zäune und strenge Kontrollen.

Hier in der Gemeinde La Hulpe residiert unscheinbar in einem flachen, langgezogenen Gebäudekomplex die Zentrale eines Netzwerks, das das globale Finanzsystem am Laufen hält: Über die gut gesicherte Nachrichtenplattform Swift wickeln weltweit 11000 Banken in 210 Ländern ihren internationalen Zahlungsverkehr ab, auch russische Banken.

Russland droht Ausschluss aus Swift-Zahlungssystem

Über Swift läuft die entscheidende Information von Bank zu Bank, dass ein Kunde etwa in Deutschland Geld an einen Geschäftspartner in den Großbritannien, Russland oder China überweisen möchte. Dafür hat jede Bank einen Swift-Code, den Bankkunden bei Auslandstransfers als BIC kennen. Ohne die Nachrichtenübermittlung von Swift – einer Genossenschaft großer Finanzinstitute weltweit - wären Banken von internationalen Geldströmen ausgeschlossen.

Und genau dies könnte jetzt Russland drohen, wenn es tatsächlich einen Krieg in Osteuropa beginnen sollte. Der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem, das wegen seines Sitzes in Belgien EU-Recht unterliegt, wird als Drohkulisse vor allem von den USA forciert und mit den Verbündeten in Europa seit Wochen diskutiert. Das operative Swift-Zentrum liegt im US-Bundesstaat Virginia, Washington hätte notfalls eine Handhabe. Auch in Europa gibt es Unterstützung – aber auch große Bedenken.

Moskau hält diese Strafaktion für eine Kriegserklärung

Die Folge einer solchen Strafaktion: Russland wäre plötzlich isoliert, von heute auf morgen könnten Firmen weder ihre Importe bezahlen noch Einnahmen für Exporte verbuchen. Für Russland ein Desaster – die Wirtschaft könnte vorübergehend kollabieren, weil der Geldstrom versiegt und dann die Warenströme. Bis Russland andere Finanzkanäle etabliert hätte, dürfte es dauern. Ein solcher Schritt war bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 diskutiert worden, damals warnte die Regierung in Moskau den Westen vor einer „Kriegserklärung“. Die Folgen wären sicher massiver als beim Präzedenzfall Iran: Auf amerikanischen Druck wurde der Iran von 2012 bis 2016 von Swift ausgeschlossen – die Hälfte seiner Ölexporterlöse ging daraufhin verloren.

Allerdings drohen bei einem Ausschluss Russlands auch erhebliche Schäden für den Westen: Vor allem die Bezahlung von Gas- und Ölimporten aus Russland wäre dann blockiert oder zumindest erschwert – womöglich dreht Moskau auch vorübergehend den Gashahn ab, was die Energiepreise weiter steigen ließe, wie im Bundeswirtschaftsministerium befürchtet wird. Und was passiert mit den 56 Milliarden Euro an Forderungen von EU-Banken an russische Kunden?

„Sanktionen werden Russland treffen, wo es richtig weh tut“

Die Finanzmärkte, so fürchten Kritiker, könnten in Schieflage geraten. Zudem könnte Russland gemeinsam mit China den Aufbau eines alternativen Zahlungssystems vorantreiben; Moskau hat bereits ein eigenes System entwickelt, das aber noch keine Alternative zu Swift ist. Der neue CDU-Chef Friedrich Merz hat energisch vor einem Ausschluss Russlands gewarnt: Dies wäre „die Atombombe für die Kapitalmärkte“, meint Merz. Auch die Bundesregierung hat bei den bisherigen Beratungen dem Vernehmen nach gebremst, von anderen EU-Staaten gibt es ebenfalls kritische Einwände, zum Teil Ablehnung.

Auf der anderen Seite drängt die Ukraine, der Westen müsse dieses schärfste Schwert endlich in die Hand nehmen. EU-Diplomaten versichern ebenso wie Vertreter der US-Regierung, der Ausschluss von Swift sei weiter eine Option, wenn Russland den Konflikt eskaliere – genau in die Karten schauen lassen sich Europäer und Amerikaner aber während der internen Vorbereitungen nicht. „Sanktionen würden Russland dort treffen, wo es richtig, richtig weh tut“, heißt es in Brüssel. Hintergrund: USA und Russland setzen Krisengespräch fort

Diese Sanktionen bereitet der Westen gegen Russland vor

Der Westen werde schnell, hart und vereint reagieren. Der Finanzsektor werde so oder so Ziel von Strafmaßnahmen, erklären an den Gesprächen Beteiligte: Als Alternative zur „finanziellen Atombombe“ sind gezieltere Sanktionen gegen ausgewählte russische Großbanken im Gespräch. Die Bundesregierung bremst auch hier, denn Deutschland würde wegen seiner Gas- und Ölimporte auch eine solche Blockade treffen. Weitere Konsequenzen für Russland werden diskutiert: Dazu zählen Exportbeschränkungen für den Chipsektor, Zugangsbeschränkungen für russische Anleihen und Sanktionen gegen ausgewählte Branchen.