Berlin. Ursula von der Leyen wird neue EU-Kommissionspräsidentin. Sie schmiedet die ganz große Koalition in Europa und fordert den Aufbruch.

So etwas schaffen auch nur die Deutschen: In Straßburg wird eine erfahrene deutsche Ministerin zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt – als erste Frau in der Geschichte der Union und als erste Deutsche seit über 50 Jahren. Ein Tag für die Geschichtsbücher. Und die deutschen Abgeordneten im EU-Parlament?

Überraschend viele von ihnen stimmten gegen die Kandidatin, die Sozialdemokraten starteten sogar eine polemische Anti-Leyen-Kampagne, über die der Rest Europas nur peinlich berührt den Kopf schüttelt. Undenkbar in anderen EU-Ländern. Bewirkt hat das Foulspiel wenig, am Ende reichte es für die Mehrheit. Gut so.

Nicht nur, weil der EU eine Krise erspart bleibt. Von der Leyen ist auch eine ausgezeichnete Besetzung für das Präsidentenamt. Nach den vorangegangenen Pleiten bei der Personalsuche und der Selbstblockade des Parlaments war sie die beste verbliebene Kandidatin. Die 60-Jährige vereint lange nationale Regierungserfahrung mit einer tiefen europäischen Prägung und Selbstsicherheit auf internationalem Parkett.

Ursula von der Leyen steht nicht nur für „grünen Deal“

In ihrer Grundsatzrede hat von der Leyen in denkbar schwieriger Situation den richtigen Ton getroffen: Rhetorisch geschickt, inhaltlich stark, mit persönlichen Akzenten aus ihrer Brüsseler Vergangenheit und mit viel Leidenschaft für Europa. Sicher, manche Zusagen wirkten etwas bemüht, weil sie es möglichst vielen recht machen wollte, aber sie hat sich nicht verbogen.

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Der Kern ihrer Präsidentschaft ist schon erkennbar. Von der Leyen wird sich mit einem „grünen Deal“ als Klima-Präsidentin profilieren, aber sie will mehr: Sie steht für sozialen Zusammenhalt, lässt keinen Zweifel am Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, möchte Blockaden etwa in der Flüchtlingspolitik aufbrechen – und beansprucht eine globale Führungsrolle für die EU. Es ist das engagierte Programm einer ganz großen Koalition, das sich zugleich klar von den Rechtspopulisten abgrenzt.

Konflikte mit Bundesregierung sind schon absehbar

Viel mehr geht eigentlich nicht in der Europäischen Union, zumal bei allem auch noch die Mitgliedstaaten zustimmen müssten. Noch sind es nur Ankündigungen, aber kluge: Von der Leyen steht für ein modernes, selbstbewusstes Europa, das nach Jahren des Krisenmanagements den Aufbruch wagt, ohne die Gefährdungen im Innern zu übersehen.

Sicher, als Verteidigungsministerin war die CDU-Politikerin, anders als zuvor im Familien- und Arbeitsressort, wenig erfolgreich. Sie hat Fehler gemacht und Pannen zu verantworten. Aber das Schleudersitz-Amt in Berlin hat mit den Anforderungen im Brüsseler Top-Job auch nur wenig Ähnlichkeit. Immerhin hat von der Leyen im Wehrressort maßgeblich die Pesco genannte Verteidigungskooperation von 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschmiedet.

Sie hat also schon bewiesen, dass sie in der EU zusammenführen kann. Und dass sie sich für Europa zwar große Würfe vorstellen kann, aber pragmatisch handelt: Es geht stets in kleinen Schritten voran, damit möglichst alle mitkommen. Das ist seit Längerem der deutsche Ansatz in der EU-Politik. Es ist nur gut für die Bundesrepublik, wenn eine so geprägte Landsfrau an der Spitze der Union die Fäden zieht.

Doch sind Konflikte auch mit der Bundesregierung schon absehbar. Zu oft hat Berlin in den letzten Jahren auf EU-Ebene im Alleingang nationale Sonderinteressen durchzupauken versucht und sich trotzdem aufgeführt wie der europäische Musterknabe. Da wäre es nicht schlecht, wenn von der Leyens Wahl auch dazu führte, dass in der deutschen Politik mal wieder etwas europäischer gedacht würde.