Washington. Sollte es rund um die US-Wahl zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen, kann US-Präsident Donald Trump die Nationalgarde einsetzen.

Greg Abbott hat Vorkehrungen getroffen, falls es in der Wahlnacht oder in den Tagen danach in seinem Bundesstaat unruhig werden sollte. Der im Rollstuhl sitzende Gouverneur von Texas, ein Republikaner und treuer Gefolgsmann von Präsident Donald Trump, ließ schon in der vergangenen Woche 1000 Mitglieder der Nationalgarde im „Lone Star State” präventiv auf fünf Städte verteilen.

Was genau die Zivilisten, die in der Regel zwei Wochen lang im Jahr an Militärübungen teilnehmen, als Ersatz-Soldaten in San Antonio, Austin, Houston, Dallas und Fort Worth tun sollen, ist unbekannt. Abbott will gerüstet sein für das, was Experten und Vorort-Politiker seit Wochen mit wachsender Anspannung diskutieren: Das Risiko von Ausschreitungen und Unruhen zwischen linken und rechten Gruppierungen.

Für den Fall, dass es bei der Präsidentschaftswahl frühzeitig kein klares Ergebnis gibt und sich durch Spekulationen über Unregelmäßigkeiten oder Betrug, die vor allem Amtsinhaber Trump seit Wochen schürt, eine kritische Masse von Wut und Frust auf die Straße ergießen sollte. Texas ist nicht allein. Auch andere Bundesstaaten und große Städte treffen Vorbereitungen, die es in dieser Form seit Jahrzehnten nicht gegeben hat.

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US-Nationalgarde hat rund 450.000 Mitglieder

Die „National Guard”, die auf Milizionäre im 17. Jahrhundert im Gebiet des Bundesstaats Massachusetts zurückgeht und seit 1933 mit Verfassungsrang die militärische Reserve der Vereinigten Staaten bildet, wäre in solchen Fällen als Verstärkung der örtlichen Polizeien die erste Wahl, um wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Jeder der 50 Bundesstaaten verfügt über seine eigene Nationalgarde, befehligt von den Gouverneuren; den Quasi-Ministerpräsidenten Amerikas.

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    Die aus einem Land- und einem Luftstreitkräfteteil bestehende Reserve-Armee hat zurzeit rund 450.000 Mann. „Army National Guard”-Mitglieder sind für gewöhnlich zur Stelle, wenn Waldbrände, Wirbelstürme oder Überflutungen die Kapazitäten der lokalen Autoritäten sprengen. Im Kriegsfall wurden sie aber auch monatelang in Übersee eingesetzt, etwa in Afghanistan oder im Irak.

    In diesem Jahr tauchten die Reserve-Soldaten weltweit in Fernseh- und Zeitungsberichten über Ausschreitungen im Gefolge von Polizeibrutalität gegen Afro-Amerikaner (George Floyd in Minneapolis, Jakob Blake in Kenosha) auf. Dabei kam es auf den Treppen des Lincoln Memorials in Washington zu einem ebenso beängstigenden wie historischen Foto: Mitglieder der National Guard, maskiert und in Tarnuniformen, verwehrten Demonstranten der „Black Lives Matter”-Bewegung den Zutritt zur Gedenkstätte des legendären amerikanischen Präsidenten aus der Zeit des Bürgerkriegs.

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    Trump ließ die Reserve-Armee in Washington aufmarschieren

    Landesweit kamen in diesem Jahr über 86.000 Gardisten zum Einsatz; mehr als beim letzten zivilen Großeinsatz: Hurrikan Katrina 2005 in Louisiana. Vor allem ihre umstrittene Präsenz rund um das Weiße Haus in Washington, wo im Frühsommer tagelang Demonstranten gegen Rassismus und Behörden-Gewalt aufbegehrten, bleibt in Erinnerung. Denn hier im Hauptstadt-Bezirk, der kein Bundesstaat ist und somit auch keinen Gouverneur hat, war es Donald Trump persönlich, der die „Guard” anforderte, um die öffentlichen Aufwallungen eindämmen zu lassen.

    Dabei wurden Protestierende verletzt. In Steinwurf-Weite des Weißen Hauses wurde Tränengas versprüht. Vereinzelt kreisten Militär-Helikopter so niedrig über der Stadt, dass es Menschen am Boden mit der Angst bekamen. Bürgermeisterin Muriel Bowser warf Trump despotische Allüren vor. „Der Einsatz war völlig unverhältnismäßig”, sagte die Demokratin.

    In der Wahlnacht oder danach, so fürchten Demokraten im Kongress, könnte der Präsident es wieder tun, wenn er es für notwendig erachtet – und zwar landesweit. Dazu ermächtigt ihn ein 213 Jahre altes Gesetz. Der „insurrection act” von 1807 erlaubt dem Präsidenten, Nationalgardisten auch gegen den Willen der Gouverneure (oder ohne ihr Einverständnis) jederzeit in Bundesstaaten zu entsenden, wenn diese nicht in der Lage oder willens sind, einen Aufstand oder eine andere Krise größeren Ausmaßes zu beenden. Oder wenn das Leben von Amerikanern bedroht ist.

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    So hielten es etwa 1957 Präsident Dwight Eisenhower und 1963 John F. Kennedy. Sie beorderten Nationalgardisten nach Arkansas und Mississippi, um für die Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen zu sorgen. Der normale Weg geht anders: Der Gouverneur oder der Kongress eines Bundesstaates bittet den Präsidenten in Washington um Amtshilfe.

    So war es 1992, als der Gouverneur von Kalifornien beim damaligen Präsidenten George H. W. Bush um Unterstützung bat. Die schweren Unruhen, die in Los Angeles nach dem Polizeiübergriff gegen den Schwarzen Rodney King ausgebrochen waren, waren für die lokalen Ordnungshüter drei Nummern zu groß.

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      Als in diesem Sommer in mehreren Bundesstaaten die George-Floyd-Protestwelle überschwappte, reagierten die Verantwortlichen vor Ort zurückhaltender, je offensiver Trump einen Einsatz der Nationalgarde verlangte. „Amerikas Präsident ist kein Diktator”, erklärte seinerzeit Letitia James, Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York.

      Für den Fall der Fälle sind in den Südstaaten Alabama und Arizona Eingreiftruppen stationiert, die in Windeseile an West- wie Ostküste in verlegt werden können, wenn ein Gouverneur über seine eigenen Leute hinaus Verstärkung benötigt oder der Präsident selbst einen Einsatz für geboten hält. Wie Timothy Alexander, der Sprecher für die Nationalgarde in Alabama sagt, handelt es sich dabei vorwiegend um Militär-Polizisten, die gesondert geschult seien, um lokale Polizeien zu unterstützen. Etwa beim Schutz von sensiblen Gebäuden. Oder der Durchsetzung von Ausgangssperren. Lesen Sie hier: Chaos, Klagen, Amtsübergabe: Was in den USA passieren könnte

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      Nach den Erfahrungen im Sommer befürchten Bürgerrechts-Organisationen im Falle von gewalttätigen Protesten erneut den Einsatz von nicht auf Anhieb identifizierbaren Bundespolizisten, die vom Justiz- und Heimatschutzministerium losgeschickt worden waren. Hintergrund: Die Nationalgarde darf keine Festnahmen durchführen.

      Neben der Nationalgarde ist auch die Bundespolizei FBI in Alarmbereitschaft, falls es wie befürchtet vor Wahllokalen zu Einschüchterungsversuchen von Trump-nahen Gruppierungen kommen sollte. Nicht beteiligt wird dagegen das eigentliche Militär sein. Sowohl Verteidigungsminister Mark Esper, dessen Stuhl wackelt, als auch Generalstabschef General Mark Milley haben in den vergangenen Wochen mehrfach betont, dass „das Militär keinerlei Rolle spielen wird, um den Ausgang der Wahl zu bestimmen.”

      Nicht klar ist dagegen, wie das erwartete Auftreten privater, meist rechtsgerichteter Milizen wie „Proud Boys” oder „Oath Keepers” von staatlicher Seite aus behandelt würde. Bei Ausschreitungen im Gefolge von Polizeibrutalität in Kenosha, Wisconsin sahen die Ordnungskräfte den Selbstjustiz-Allüren der „militias” passiv zu. Präsident Trump hatte zuletzt das kontroverse Signal gegeben, die „Proud Boys” mögen sich in den Tagen rund um die Wahl „bereithalten”. Wozu, sagte er nicht.