Washington. Militär-Angehörige und Geheimdienstler berichten von schlimmen Symptomen. US-Präsident Biden lässt das “Havanna Syndrom“ untersuchen.

Sie wissen nicht, von wem die rätselhaften Radiowellen- oder Strahlen Attacken ausgehen und womit genau sie ausgeführt werden. Aber dass die Opfer, US-Diplomaten, Militär-Angehörige und Geheimdienstler, mit rasenden Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Tinnitus, Nasenbluten, Hör- und Sehschwierigkeiten, Erinnerungs- und Gleichgewichtsstörungen und Symptomen, die Gehirnerschütterungen ähneln, allein gelassen werden, wollen Republikaner und Demokraten im US-Kongress in selten einmütiger Form nicht länger hinnehmen.

Der Senat hat darum in dieser Woche ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass die medizinische Versorgung von Opfern des sogenannten "Havanna Syndroms" (weil es 2016 bei US-Botschaftsangehörigen auf Kuba zum ersten Mal auftrat) so schnell wie möglich optimiert wird.

Weil eine ähnliche konzertierte Aktion im Repräsentantenhaus zu erwarten ist und die Regierung von Präsident Joe Biden (anders als die von Vorgänger Donald Trump) die Angelegenheit ernst nimmt, dürften Leute wie Marc Polymeropoulos bald aufatmen und auf Hilfe im renommierten Walter Reed Militärkrankenhaus in der Nähe von Washington hoffen können.

CIA-Agenten verlieren in Moskauer Hotel Bewusstsein

Im Dezember 2017 zog es dem ehemaligen CIA-Agenten in einem Moskauer Hotelzimmer den Boden unten Füßen weg. "Es war, als würde ich mich gleichzeitig übergeben und das Bewusstsein verlieren", schilderte der frühere Vize-Chef für verdeckte Operationen in Europa dem Magazin "GQ".

Bis heute hat Polymeropoulos mit chronischen Erschöpfungszuständen und Migräne zu kämpfen. Dass die Kosten für die ärztliche Versorgung aus eigener Tasche bestritten werden mussten und der Arbeitgeber latent Zweifel an der Glaubwürdigkeit der mysteriösen Vorkommnisse hegte (Stichwort: eingebildeter Kranker), wurmte den Geheimdienstler. Jetzt ist Abhilfe in Sicht.

Der neue Direktor des Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, sucht den direkten Kontakt mit Betroffenen. Im Verteidigungs- und Außenministerium sind eigens Stäbe eingerichtet worden. Die Ursachenforschung wird intensiviert.

"Havanna Syndrom": Seit 2016 fast 130 Vorfälle

Die Gründe liegen auf der Hand: Seit 2016 soll es - weltweit - nahezu 130 Vorfälle dieser Art gegeben haben, berichten US-Medien wie die "New York Times". Neben Russland und China tauchen auch Polen, Georgien, Australien und Taiwan sowie europäische Hauptstädte wie London als Schauplätze auf.

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Noch entscheidender: Bereits 2019 wurde eine Angehörige der Geheimdienste in einem Vorort von Washington "krank", als sie ihren Hund ausführte. Und: Im vergangenen November überfiel einen Regierungsbeamten des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) südlich des Weißen Hauses auf dem gesperrtem Territorium der "Ellipse" akuter Schwindel. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich offenbar im April dieses Jahres. Damit ist das Phänomen laut Experten "gefährlich nahe" an die Regierungszentrale herangerückt. Allein, erklärt und entschlüsselt ist es bisher nicht.

Inoffizieller Stand der Debatte: Ende 2020 hatte die US-Akademie der Wissenschaften einen Bericht vorgelegt, der von gepulsten Radiofrequenz-Einsätzen spricht, die das Nervensystem schädigen können. Ob als bewusste Attacke oder durch Zufall, das ließen die Wissenschaftler offen.

Weil einige Opfer berichteten, dass sie unmittelbar vor Auftreten der akuten Beschwerden einen lauten Knall gehört hätten, gehen Sicherheitskreise vom Einsatz einer Waffen-ähnlichen Konstruktion aus. Dazu passt die Schilderung eines Pentagon-Angehörigen, der 2019 im Ausland mit seinem zweijährigen Kind im Auto eine Kreuzung überfuhr, als plötzlich Übelkeit und Kopfschmerzen auftraten. Das Kind weinte, der Militär verspürte starke Schmerzen. Beim Weiterfahren ließen die Beschwerden binnen Minuten nach.

Die Biden-Regierung legt sich offiziell bisher nicht fest, wer dahintersteckt. Aus dem Apparat ist dagegen zunehmend zu hören, dass der russische Militärgeheimdienst GRU als Drahtzieher verdächtigt wird. Indiz: Russische Spione seien ausweislich ihrer Handy-Daten mehrfach in der Nähe gewesen, als sich die Vorfälle ereigneten.

Dagegen sprechen Einzelmeinungen, etwa der Wissenschaftler Robert Baloh aus Kalifornien, von psychischen Erkrankungen als Ursache. Eine Mikrowellen-Waffe, die solche Wirkungen erzielt, sei zu groß, um unentdeckt zu bleiben.

Stellte sich heraus, dass ein geopolitischer Rivale hinter den Attacken steht, heißt es in diplomatischen Kreisen in Washington, werde die Antwort "unmissverständlich hart" sein.