Tel Aviv. Israel wählt – wieder. Zum zweiten mal geht es 2019 ums Parlament. Netanjahu steht an einem Scheideweg, Gantz will seinen Posten.

Wenige Tage vor den israelischen Parlamentswahlen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden größten Parteien ab. Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass die Israelis an die Urnen gerufen werden.

Im April waren die Koalitionsverhandlungen gescheitert, Neuwahlen anberaumt worden. Wie bei der ersten Runde bestimmt Benjamin Netanjahu auch in diesem Wahlkampf Schlagzeilen und Debatten: Er ist seit diesem Sommer der am längsten regierende Premierminister in der Geschichte des Landes.

Er gilt als Meister der öffentlichen Inszenierung ebenso wie der Intrige hinter verschlossenen Türen, Freunde wie Feinde beschreiben ihn als das größte politische Talent seiner Generation.

Netanjahu: Anklage wegen Korruption gilt als sicher

Doch nun könnten nicht nur seine Tage an der Macht, sondern auch seine Tage in Freiheit gezählt sein: Denn Netanjahu werden Korruption und Untreue vorgeworfen, wenige Wochen nach den Wahlen muss er sich einer ersten Anhörung stellen, eine anschließende Anklage gilt als sicher.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass einzig ein auf ihn zugeschnittenes Immunitätsgesetz ihn vor einer Verurteilung und einer möglichen Haftstrafe schützen könnte. Netanjahu bestreitet vehement, ein solches zu planen.

In jedem Fall müssten Netanjahus Likud-Partei und seine Verbündeten am Dienstag mindestens 61 von 120 Sitzen erobern, um ein solches Gesetz durch die Knesset, das israelische Parlament, zu bringen. Ob ihnen das gelingt, ist laut Umfragen alles andere als sicher.

Opposition: Er tut nicht gegen gegen Raketen-Angriffe

Netanjahu steht am Scheideweg seiner Laufbahn: eine weitere Amtszeit, aufsehenerregende Auftritte auf dem internationalen Parkett – oder ein beschämender Abgang von der politischen Bühne, womöglich mit einer drohenden Freiheitsstrafe. Entsprechend hart kämpft er um jede Stimme.

Er sorgte beinahe täglich mit neuen Ankündigungen dafür, dass er die Medien dominiert. So versuchte er, ein Gesetz durchzusetzen, das Kameras in Wahllokalen erlaubt hätte – angeblich, um Betrug vorzubeugen. Die Abstimmung scheiterte. Am vergangenen Dienstag folgte der nächste Aufschlag: Netanjahu versprach, im Falle eines Wahlsiegs das Jordantal zu annektieren.

Benny Gantz will es mit Netanjahu aufnehmen.
Benny Gantz will es mit Netanjahu aufnehmen. © Reuters | AMIR COHEN

Große Teile der internationalen Gemeinschaft sehen es als Teil eines zukünftigen Palästinenserstaates, während israelische Politiker und Militärfachleute seit Langem darauf bestehen, dass Israel aus strategischen Gründen dort militärisch präsent sein muss. Als wahrscheinlicher gilt, dass die Ankündigung der Likud-Partei die nötigen zusätzlichen Stimmen von kleineren, rechteren Parteien bringen soll.

Die Opposition wirft dem Regierungschef vor, nichts gegen die von Palästinensern abgefeuerten Raketen aus dem Gaza-Streifen zu unternehmen. „Wir werden wahrscheinlich gezwungen sein, einen Krieg in Gaza zu beginnen“, sagte Netanjahu daraufhin.

Gantz müsste seine Chancen zur Regierungsbildung belegen

Ob es reichen wird, ist ungewiss. Wie schon bei der Wahl im April dürften sich Netanjahus Likud-Partei und die Blau-Weiß-Partei seines Herausforderers Benny Gantz ein knappes Rennen liefern: In den letzten Umfragen liegt Blau-Weiß ein bis zwei Sitze vor dem Likud.

Doch selbst wenn das Wahlergebnis am Ende so ausfällt, wird deshalb nicht zwangsläufig Benny Gantz, ehemaliger Armeechef und Politneuling, die neue Regierung anführen. Meist erteilt der Präsident demjenigen den Auftrag zur Regierungsbildung, dessen Partei die meisten Sitze hat. Dazu muss der Parteichef auch belegen, dass er die besten Chancen auf eine Koalitionsbildung hat. Gantz dürfte das schwerfallen.

Einer müsste abtreten – oder beide Versprechen brechen

Die besten Chancen auf eine Mehrheit hat wohl eine Koalition der nationalen Einigkeit, wie man in Israel eine große Koalition aus Likud und Blau-Weiß nennt. Für eine solche wirbt Benny Gantz, natürlich unter seiner Führung. Viele säkular oder moderat religiöse Israelis hoffen auf eine derartige Koalition: Denn sie wäre nicht auf die Stimmen der beiden ultraorthodoxen Parteien angewiesen – und könnte damit Gesetze beschließen, die die diversen Privilegien der Strenggläubigen beschneiden und sie zur ökonomischen und gesellschaftlichen Integration bewegen.

Allerdings haben sowohl Netanjahu als auch Gantz ausgeschlossen, miteinander zu regieren. Um einer großen Koalition den Weg zu bahnen, müsste also einer von ihnen abtreten – oder aber beide müssten ihre Wahlkampfversprechen vergessen. Es gäbe wohl kaum einen israelischen Wähler, den das überraschen würde.

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