Washington. Ilhan Omar kam als Flüchtling aus Somalia. Heute ist sie Kongress-Abgeordnete und der größte Stachel im Fleisch des US-Präsidenten.

Man muss einmal in Cedar-Riverside gewesen sein, um zu verstehen, warum sich Ilhan Omar von diesem Präsidenten nicht mundtot machen lässt. Der Stadtteil von Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota beherbergt mit 50.000 Menschen die größte somalische Diaspora außerhalb des afrikanischen Bürgerkriegslandes. Auf den Straßen wird Somalisch geredet. Restaurants bringen gebratenes Ziegenfleisch mit Spaghetti auf den Teller; eine Reminiszenz an die italienische Kolonialherrschaft. Die Satellitenschüsseln an den Balkonen der hässlichen Hochhäuser schicken über ein Dutzend Kanäle Berichte aus der Heimat. Aber: Stolz ist die Mehrheit hier auf Amerika – und darauf, in Amerika zu sein.

Hier, in „Little Mogadischu“, ist Ilhan Omar als 12-Jährige nach vier Jahren in einem kenianischen Flüchtlingslager und einem Intermezzo nahe der Hauptstadt Washington mit Vater, Opa und einigen Geschwistern angekommen, um den amerikanischen Traum zu erobern. Danach ging alles furchtbar schnell. Und nach Lehrbuch der einst großen Einwanderer-Nation Amerika.

Mit 17 wird Omar US-Staatsbürgerin. Mit 20 bekommt sie ihr erstes von drei Kindern. Mit 28 macht sie an der Uni den Abschluss in Politikwissenschaften. Mit 34, am Tag von Donald Trumps Wahl zum Präsidenten, wird sie für die Demokraten ins Regional-Parlament von Minnesota gewählt. Im November 2018 zieht sie gemeinsam mit Rashida Tlaib aus Detroit als erste Muslima in den Kongress in Washington ein. Vorsprung vor der republikanischen Konkurrentin: knapp 200.000 Stimmen. Im Sommer 2019 hat es die nur 1,55 Meter kleine Frau zur Lieblingsfeindin des Präsidenten gebracht.

Trump-Fans skandieren: „Schickt sie zurück“ – aber wohin?

Ayanna Pressley, Ilhan Omar, Rashida Tlaib und Alexandria Ocasio-Cortez (von links) gehören derzeit zu den größten Feindbildern von US-Präsident Donald Trump.
Ayanna Pressley, Ilhan Omar, Rashida Tlaib und Alexandria Ocasio-Cortez (von links) gehören derzeit zu den größten Feindbildern von US-Präsident Donald Trump. © Reuters | Erin Scott

Donald Trump ist

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„Sie wollen unsere Verfassung zerstören. Sie hassen unser Land“, lästerte Trump erst auf Twitter und dann bei einer Kundgebung in North Carolina. Er riet den Frauen, die unbekümmert und ambitioniert auch die eigene Partei vor sich hertreiben, ernsthaft zur Selbst-Deportierung. Und zwar in ihre von „Verbrechen verseuchten“ Ursprungsländer. Nach dem Trumpschen Gusto: Wer Amerika nicht liebt, der soll gehen.

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„Schickt sie zurück, Schickt sie zurück.“ Nur wohin? Im Falle Omars nach Somalia? Oder nach Minneapolis? Alle vier sind amerikanische Staatsbürger, drei sogar in den USA geboren.

Trump, der bei seiner Antrittsrede 2017 Amerika als ein Land in ökonomischen und moralischen Trümmern kurz vor dem Exitus malte, hat diese Frage bis heute nicht beantwortet. Unterdessen hat das Quartett, allen voran Omar, einen Gegenangriff gestartet: Sie nennt Trump einen „Faschisten“, der vor Wut koche, dass „Leute wie wir im Kongress dienen und gegen Ihre hasserfüllte Agenda kämpfen“. Wie ein Fehdehandschuh klingt ihr selbstbewusster Schlüssel-Satz, der seither die Runde macht: „Ich bin Amerikas Hoffnung und der Albtraum des Präsidenten.“

Trump will mit Sprechchören gegen Omar nichts zu tun haben

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    Der Hintergrund hat Wucht. Schon 2050 könnten Weiße im Einwanderungsland USA in der Minderheit sein, sagen Demografen. 1960 machten sie noch 85 Prozent aus. Mit ihrer traditionellen muslimischen Kopfbedeckung, dem Hidschab, ist Omar für Trump schon rein äußerlich das Poster-Girl einer Entwicklung, der sich der 73-Jährige entgegenstemmt, um seine alte, weiße Kern-Wutbürgerwählerschaft auf Temperatur zu halten.

    Dass Omar rhetorisch rauflustig ist und dabei Fehler macht, nutzt der Präsident, um die gesamte demokratische Partei als unamerikanisch, anti-jüdisch und vom Sozialismus-Virus befallen zu verunglimpfen. Anlass: Es ist schon einige Monate her, da hatte Omar angedeutet, die Israel-Lobby in den USA würde den Kongress bestechen, damit er den jüdischen Staat unterstützt. Die Frau, die früher offen die BDS-Bewegung unterstützte, die Israel über Boykotte und Sanktionen zu einem Kurswechsel in der Palästinenser-Frage bringen will, erntete für diese antisemitisch anmutende Attacke von der eigenen Fraktionsspitze so viel Schores, dass sie sich öffentlich entschuldigte.

    Was Trump nicht reicht. Er und führende Republikaner mit ihm wollen Omar aus dem renommierten Auswärtigen Ausschuss entfernt wissen; am besten aber gleich ganz aus dem Kongress. Auch weil sie in der hoch emotionalen Krise an der mexikanischen Grenze dem Weißen Haus unerbittlicher als andere jeden Tag den Spiegel für eine Flüchtlingspolitik vorhält, die sie für „schäbig“ und „skandalös“ hält.

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    Trump geht den Brandstiftern oft voraus. Seine Behauptung, Omar verharmlose die für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortliche islamistische Terror-Gruppe El Kaida, nennen selbst Republikaner hinter vorgehaltener Hand „erfunden“. Den Präsidenten schert das nicht. Er glaubt, Omar und ihre drei Mitstreiterinnen seien „nicht fähig, Amerika zu lieben“.

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      Sein Chefberater Stephen Miller legte am Sonntag im Frühstücksfernsehen bei Fox News nach: Omar und die anderen „verabscheuen Amerika, wie es heute konstruiert ist“, sagte er, „sie wollen die Strukturen unseres Landes niederreißen. Sie wollen, dass es sozialistisch ist und offene Grenzen hat.“

      Ilhan Omar würde kontern: Wer einmal in Cedar-Riverside war, weiß, nichts davon stimmt.