Berlin/Moskau. Über seine Pläne in der Ukraine sagt Wladimir Putin zum “Tag des Sieges“ wenig. Stattdessen gibt es Schuldzuweisungen für den Krieg.

Die große Eskalation bleibt vorerst aus, doch die Fragezeichen um Wladimir Putins Pläne in der Ukraine bestehen auch nach seiner Rede zum 9. Mai weiterhin. Der Auftritt des russischen Präsidenten zum 77. Jahrestag des Sieges über Nazi–Deutschland war mit Spannung erwartet worden. Der Gedenktag hat eine große symbolische und emotionale Bedeutung in Russland – im Zweiten Weltkrieg kamen mehr als 20 Millionen Menschen in der Sowjetunion ums Leben.

Jedes Jahr rollen an diesem Tag Panzer und anderes Militärgerät in einer großen Parade am Kreml vorbei, tausende Soldaten sind beteiligt. Es ist eine Mischung aus Erinnern an die Soldaten der Roten Armee und Propaganda für den aktuellen Herrscher im Kreml, der den 9. Mai für seine Botschaften nutzt.

Russische ballistische RS-24 Yars-Raketen werden während der Militärparade zum
Russische ballistische RS-24 Yars-Raketen werden während der Militärparade zum "Tag des Sieges" durch Moskau gefahren. © Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Putins Rede in Moskau: Keine Atomkriegsdrohung, keine Mobilmachung

Erwartet worden war deshalb in diesem Jahr ein Hinweis darauf, wie Putin weiter vorgehen will im Krieg gegen die Ukraine, der bislang in Russland nur "militärische Spezialoperation" heißen darf. Über eine offizielle Kriegserklärung war im Vorfeld spekuliert worden, über eine neue Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen, auch über eine mögliche Mobilmachung, um mehr Soldaten zur Verfügung zu haben für einen Krieg, der jetzt schon länger andauert, als Putin das wohl geplant hatte.

Doch vom russischen Präsidenten war vor allem zu hören, was schon aus den letzten Wochen bekannt war. Putin stellte den Überfall auf die Ukraine in die Tradition des Kampfs gegen Nazi-Deutschland. Auch die Truppen im Donbass würden dafür kämpfen, dass "niemand die Lehren des Zweiten Weltkriegs vergisst", dass es keinen Platz gebe für "Henker" und "Nazis". Russland behauptet immer wieder, in der Ukraine seien Nazis an der Regierung.

Der russische Präsident gibt dem Westen die Schuld für den Krieg

Die Schuld für den Krieg gab er dem Westen: Die Nato habe vor dem Ausbruch des Krieges den Dialog abgelehnt, die Vorbereitungen für eine Militäroperation im Donbass "und eine Invasion in unsere historischen Gebiete, einschließlich der Krim" von Seiten des Westens seien im Gange gewesen. Die Ukraine habe den Erwerb von Atomwaffen angekündigt, erklärte Putin fälschlicherweise. Tatsächlich hat die Ukraine in den 1990er Jahren als erstes und bislang einziges Land überhaupt ihre Atomwaffen freiwillig abgegeben.

Mit dem Angriff auf die Ukraine, so stellte es der russische Präsident in seiner Rede dar, habe Russland "präventiv die Aggression abgewehrt, das war die einzig richtige Entscheidung".

Putin spricht überraschend über russische Verluste im Ukraine-Krieg

Putin versprach außerdem den Familien von in der Ukraine gefallen Soldaten Unterstützung. Es werde alles getan, "um den Angehörigen Fürsorge zukommen zu lassen und ihnen zu helfen", sagte Putin. Er habe ein entsprechendes Präsidentendekret unterzeichnet.

Laut den letzten aktuellen Angaben aus dem März sind bislang 1300 russische Soldaten in der Ukraine getötet worden, doch die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen. Nato-Schätzung gehen von etwa zehn Mal so vielen getöteten russischen Soldaten aus, die Ukraine sogar von noch mehr.

"Das Eingehen auf die Opfer des aktuellen Krieges, die finanzielle Unterstützung für die Hinterbliebenen waren neu", sagt Russlandexperte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) unserer Redaktion. "Man hat offenbar gemerkt, dass das in Russland gesellschaftlich relevant ist."

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Kein "Z" am Himmel: Eine geplante Flugshow wurde abgesagt

Was die Rede für den weiteren Fortgang des Kriegs bedeutet, ist offen. Die befürchtete neue Eskalationsstufe blieb vorerst aus. Vielleicht auch, weil Russland deutlich mehr Verluste erlitten hat, als der Kreml zu Beginn des Krieges wohl erwartete.

Eine geplante Flugshow als Teil der Parade, bei der russische Militärflugzeuge unter anderem am Himmel das "Z" bilden sollten – Symbol des russischen Angriffskriegs – fiel am Montag aus. "Wegen des Wetters", wie ein Kremlsprecher erklärt, obwohl der Himmel heiter bis wolkig ist. Putins fliegende Kommandozentrale für den Atomkrieg, die "Weltuntergangs"-Iljuschin Il-80, bleibt deshalb ebenfalls am Boden. Diese Provokation in Richtung Westen spart sich Putin ebenfalls.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.