Berlin. Die Ampel-Koalition will die Gebäude fit machen, um Energie einzusparen. Das wird teuer werden. Und nicht jede Maßnahme ist sinnvoll.

Wie kann Deutschland unabhängig von russischer Energie werden und zugleich die Energiepreise bezahlbar halten? Diese Frage treibt die Bundesregierung seit Wochen um. Selbst aus Staaten wie Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten will man nun Flüssiggas importieren, auch bei Öl und Kohle sucht man nach Alternativen, während parallel der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben werden soll.

Klar ist aber auch: Man wird Energie einsparen müssen. Und hier sieht die Ampelkoalition besonders große Potenziale auf dem Wohnungsmarkt.

Wohnen: Ampel-Koalition setzt auf Sanierung von Wohngebäuden

35 Prozent aller Endenergie wird in Deutschland in Gebäuden verbraucht, zwei Drittel davon in Wohngebäuden. Hier will die Regierung den Hebel ansetzen, um Verbräuche zu senken. Ab 2024 soll es ein De-facto-Verbot für den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen geben, so haben es SPD, Grüne und FDP im Rahmen ihres jüngsten Entlastungspakets beschlossen. Die Ampel-Koalition will die Gebäude zudem schnellstmöglich energieeffizient machen. Bedeutet: Auf Deutschland rollt eine Sanierungswelle zu.

Losgehen soll es dabei mit besonders schlecht gedämmten Gebäuden, solchen mit den Energieeffizienzklassen G und H, die also mehr als 200 Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter und Jahr verbrauchen. Wie effizient das eigene Haus ist, steht im Energieausweis.

Wer heute ein neues Haus baut, muss sich einen solchen Ausweis ausstellen lassen. Auch wer ein Haus oder eine Wohnung verkaufen möchte, benötigt einen Energieausweis. Wer dagegen als Privatperson in einem fertigen Haus wohnt, ist bisher noch nicht verpflichtet, sich einen Energieausweis erstellen zu lassen.

Mehrfamilienhäuser sollen vorrangig saniert werden

Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union legen bei der nun anstehenden Sanierungswelle den Fokus aber ohnehin erst einmal auf vermietete Gebäude. Zwar gibt es nur rund 3,2 Millionen Mehrfamilienhäuser in Deutschland, in ihnen ist aber knapp die Hälfte der rund 43 Millionen Wohnungen hierzulande untergebracht.

Fast jedes fünfte Mehrfamilienhaus hat dabei besonders schlechte Energieeffizienzwerte. Sie sind als Erstes dran. Nimmt man noch die ebenfalls nicht sonderlich klimafreundlichen Energieeffizienzklassen E und F dazu, steht fast jedes zweite Mehrfamilienhaus vor einer Sanierung.

Im Neubau wird die Förderung überarbeitet

Daraus ergeben sich zwei Fragen: Wie umfassend werden die Gebäude saniert? Und daraus abgeleitet: Wie teuer wird das für die Mieterinnen und Mieter? Die Bundesregierung fördert bereits Umbauten, wird diese wohl aber noch nachschärfen.

Im Neubau ist klar: Dort soll ab 2023 als Standard der Effizienzhausstandard 55 gelten. Das bedeutet, dass ein solches Haus mit nur 55 Prozent der Primärenergie im Vergleich zu einem herkömmlichen Referenzgebäude auskommt.

Als im Januar das entsprechende Förderprogramm überraschend gestoppt wurde, weil die Mittel aufgebraucht waren, geriet vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in die Kritik. Nun wird die Förderung neu aufgestellt. Die Grünen drängen auf striktere Vorgaben, etwa nur noch eine Förderung für die noch strengere Effizienzhausstufe 40. Und auch bei der Sanierung werden Überlegungen angestellt, ob man die Gebäude nicht direkt zu modernen Effizienzhäusern saniert, wenn man schon einmal dabei ist.

Immobilienexperte warnt vor zu strengen Standards

Das allerdings sei volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, warnt Sven Bienert, Professor an der International Real Estate Business School der Universität Regensburg. Er hat in einer Studie im Auftrag des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW und des Verbands für Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) untersucht, ab wann die Kosten einer Sanierung den Nutzen übersteigen.

Dafür vergleicht Bienert die Energieverbräuche von knapp 2000 Wohnungen mit insgesamt rund 125.000 Quadratmeter Wohnfläche vor und nach der Sanierung. Ein Ergebnis: Übersteigen die Kosten pro vermiedene Kilowattstunde Energie auf den Quadratmeter einen Korridor von sechs bis acht Euro, wäre das Geld besser in den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien investiert.

Energieverbrauch ist weiter vom individuellen Verhalten abhängig

„Bei sehr schlechten Gebäuden bringen die ersten Maßnahmen bereits eine große Verbrauchsreduktion. Für jede weitere eingesparte Kilowattstunde wird es aber überproportional schwieriger“, erklärt Bienert im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein Grund liege im Verbrauchsverhalten.

Moderne Wohngebäude verfügen oft über eine sogenannte kontrollierte Wohnraumlüftung. Das Lüften übernimmt dabei eine Maschine. Macht der Bewohner aus Gewohnheit trotzdem weiter das Fenster auf, wird der Sinn der modernen Anlage konterkariert, der Energieverbrauch steigt weiter an. „Unter einen Bereich von 70 bis 80 Kilowattstunde pro Quadratmeter und Jahr sanieren zu wollen, lohnt sich wirtschaftlich daher nicht“, sagt Bienert. Das bedeutet auch, dass der Immobilienexperte strenge Vorgaben wie den Effizienzhausstandard 55 bei der Sanierung für nicht wirklich sinnvoll genutztes Geld hält. Effektiver sei es, einen Effizienzhausstandard 70 anzustreben. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam jüngst eine Studie, die beim diesjährigen Wohnungsbautag vorgestellt wurde.

Akzeptanz ist bei vielen Mietern begrenzt

Hinzu kommt, dass für viele Mieterinnen und Mieter ein besonders strenger Standard mit Aufwand verbunden ist. Zum einen kann es vorkommen, dass Mieterinnen und Mieter während der Sanierung bisweilen nicht in ihren Wohnungen bleiben können, weil etwa die Fenster versetzt werden müssen. Zum anderen können die Sanierungskosten über die jährliche Umlage von acht Prozent auf die Miete umgelegt werden. Die eingesparte Energie kann die höhere Warmmiete meist nicht kompensieren.

Das gilt auch für städtische Wohnungsbauunternehmen, die ihre Mietpreise moderat halten wollen. „Wir begrenzen bei Sanierungen die Modernisierungsumlage so weit wie möglich, aber am Ende sind die Warmmieten aufgrund der hohen Investitionskosten in aller Regel trotzdem höher als vorher“, berichtet Mathieu Riegger, Leiter des Strategischen Energiemanagements bei der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), die rund 19.000 Wohnungen in Stuttgart anbietet, 70 Prozent davon mietpreis- oder belegungsgebunden.

Entsprechend begrenzt sei bisher häufig die Akzeptanz für energetische Gebäudesanierungen. Sofern eine unbewohnte Modernisierung sich nicht vermeiden ließe, brauche es Ersatzwohnungen für die Mieter in dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt, berichtet der Energiemanager. Zwar könne die SWSG diese Wohnungen aus ihrem Bestand anbieten. Doch nicht jeder Mieter will auch umziehen. Um die Akzeptanz zu erhöhen und die Auswirkungen abzufedern, bietet die Stuttgarter Wohnungsbautochter daher etwa einen Mietrabatt von einem Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, ein Rückzugsrecht sowie Einmalzahlungen und Zuschüsse an.

Mieterbund fordert niedrigere Umlage auf Mieter

Höhere Mieten aufgrund energetischer Maßnahmen können zu sozialen Problemen führen. Denn in schlecht sanierten Gebäuden wird oft nur eine niedrige Miete fällig, entsprechend wohnen dort oft Menschen mit niedrigem Einkommen, warnt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes.

Er fordert daher einen besonderen Schutz für Mieterinnen und Mieter: „Um die finanzielle Last für Mieter zu senken, muss die Modernisierungsumlage auf vier Prozent oder weniger abgesenkt werden und die Miete darf wegen energetischer Modernisierungen um nicht mehr als 1,50 Euro pro Quadratmeter steigen.“ Alternativ könne die Modernisierungsumlage vollständig im Rahmen einer Teilwarmmiete, bei der der Vermieter eine Mindesttemperatur bereitstellt, aufgelöst werden.

GdW-Präsident Axel Gedaschko plädiert dagegen für eine bessere Förderung für die Immobilienunternehmen, um die Kosten gering zu halten. „Ansonsten schlägt Energiearmut in Sanierungsarmut um“, warnt er.