Erfurt. In Erfurt will Bodo Ramelow vom Landtag zum Regierungschef gewählt werden – trotz fehlender Mehrheit. Wie das funktionieren könnte.

An diesem Mittwoch, 11 Uhr, kommt der Thüringer Landtag zu einer Sondersitzung in Erfurt zusammen, um den Ministerpräsidenten zu wählen – und Geschichte zu schreiben. Mit Bodo Ramelow tritt der einzige linke Regierungschef der Bundesrepublik für eine zweite Amtszeit an. Allerdings fehlen ihm vier Stimmen zur Mehrheit im Parlament.

Trotzdem will er mit seiner Koalition aus Linken, SPD und Grünen, die vor fünf Jahren eine Premiere für Deutschland war, in der Minderheits­variante weiterregieren ohne Aussicht auf eine formale Tolerierung. Tatsächlich darf Bodo Ramelow durchaus damit rechnen, gewählt zu werden.

Thüringen: Ministerpräsidenten-Wahl könnte zum politischen Krimi werden

Die Opposition, die theoretisch ja die Mehrheit besitzt, ist aufgespalten. Sicher kann sich der geschäftsführende Ministerpräsident aber nicht sein. Die Abgeordneten stimmen geheim ab. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Die Abstimmung könnte zum politischen Krimi werden.

Die Ausgangssituation:

Am Anfang steht das Wahlergebnis vom 27. Oktober 2019. Auch hier gab es Premieren. Zum ersten Mal sitzen nun sechs Parteien im Thüringer Landtag. Zum ersten Mal stellt die Linke die stärkste Fraktion, während AfD und CDU die Plätze zwei und drei einnehmen. Und zum ersten Mal gibt es deshalb keine Mehrheit jenseits von Linken und AfD. Konkret sieht das Parlament mit 90 Sitzen so aus: Die Linke hat 29 Abgeordnete, die AfD 22, die CDU 21, die SPD 8. Grüne und FDP haben jeweils 5.

Die Mehrheit liegt bei 46 Sitzen. Theoretisch denkbar wären damit Koalitionen von Linken und CDU, von Linken und AfD, von AfD, CDU und FDP sowie von Rot-Rot-Grün plus FDP. Allerdings will mit der AfD unter dem Rechtsextremisten Björn Höcke keine der anderen Parteien reden. Zudem schließen CDU und FDP eine Kooperation mit der Linken aus. Eine CDU-geführte Minderheitsregierung mit der FDP – auch Simbabwe-Koalition genannt – lehnen SPD und Grüne ab. Bleibt nur die rot-rot-grüne Minderheitsoption.

Die Wahl:

In den ersten beiden Wahlgängen ist die absolute Mehrheit von 46 Stimmen nötig. Sie ist nicht ausgeschlossen, aber höchst unwahrscheinlich, da AfD, CDU und FDP Ramelow nicht wählen wollen. Im dritten Wahlgang reicht die relative Mehrheit. Umstritten ist, ob Ramelow auch gewählt ist, wenn er als Einzelkandidat mehr Nein- als Ja-Stimmen erhält. Falls es auch im dritten Wahlgang mehrere Kandidaten gibt, wonach es aussieht, ist diese Frage jedoch obsolet.

Die Kandidaten:

Für die ersten beiden Wahlgänge galt eine Bewerbungsfrist, die am Montag ablief. Auf Vorschlag der rot-rot-grünen Fraktion kandidiert Ramelow: Er ist 63, verheiratet, evangelisch und hat zwei Söhne aus einer früheren Ehe. 1999 trat er in die PDS ein, stieg dort schnell auf und managte ab 2005 die Fusion seiner Bundespartei mit der WASG zur Linken. Nach dem dritten Anlauf als Spitzenkandidat wurde er im Dezember 2014 zum Ministerpräsidenten gewählt.

Die AfD-Fraktion hat als bisher einzigen Gegenkandidaten den parteilosen Christoph Kindervater nominiert. Der 42-jährige ehrenamtliche Bürgermeister des Dorfes Sundhausen (350 Einwohner) ist von Beruf Vertreter und hatte sich selbst als Kandidat vorgeschlagen. Kindervater kandidierte 2019 erfolglos für die CDU bei den Kreistagswahlen, nutzt aber AfD-Rhetorik. Er wirbt für eine „bürgerlich-liberale-konservative Koalition“ von AfD, CDU und FDP – was Christdemokraten und Liberale mehrheitlich ablehnen.

FDP-Landeschef Thomas Kemmerich will im dritten Wahlgang, bei dem spontane Bewerbungen möglich sind, antreten – falls dann die AfD noch an einem Gegenkandidaten festhält. Auch die CDU hält sich diese Option offen. In jedem Fall würden sich damit die Stimmen der Opposition aufteilen und Ramelow wäre als Ministerpräsident wiedergewählt.

Dietmar Bartsch, Chef der Linken im Bundestag, mahnte die CDU, ihre „landespolitische Verantwortung“ wahrzunehmen. Er erwarte, dass sich die CDU bei der Wahl so verhält, dass Bodo Ramelow Ministerpräsident wird, sagte Bartsch unserer Redaktion, und dass sie anschließend „in Sachfragen mit der neuen Regierung zusammenarbeitet“.

Die Minderheitsregierung:

Wenn Ramelow gewählt ist, kann er sein Kabinett zusammenstellen, es muss in Thüringen nicht durch den Landtag bestätigt werden. Die Koalition kann ganz normal regieren, solange das Parlament nicht gefragt werden muss. Jedoch benötigen alle Gesetzentwürfe – darunter der Haushalt – eine Mehrheit im Landtag. Mit rein linken Vorgaben wird Rot-Rot-Grün nicht mehr durchkommen.

Regierung in Thüringen – mehr zum Thema:

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte Mitte Januar noch einmal betont, dass sie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Thüringen weiter klar ablehnen würde. Die Thüringer CDU hatte zuvor auf eine Verschiebung der Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten gedrängt. Grund war ein Passus in der Landesverfassung Thüringens.