Geraer Kultbands spielen am Freitagabend auf zu 30 Jahre Mauerfall. Hunderte Besucher feiern vor dem Kongresszentrum im Regen.

Die Wende war Motor etlicher prophetischer Rockhymnen von David Hasselhoff über Neil Young bis hin zu Marius Müller-Westernhagen. Eine wahre Goldgrube für alle, die über die richtige Werbestrategie und ein Quantum Glück verfügten. Wer heute über die Lieder der friedlichen Revolution sinniert, erwischt sich vielleicht dabei, die ersten Töne von „Wind of Change“ vor sich hin zu pfeifen, wird aber schnell merken, dass Welthits wie „Looking for Freedom“, „Rockin’ in the free world“ oder „Freiheit“ gerade einmal so viel mit der Wiedervereinigung zu tun haben, wie das Woodstock-Festival mit dem vermeintlichen Veranstaltungsort im Ulster County.

In Vergessenheit geraten sind stattdessen die Bands, denen der „Wind der Veränderung“ tatsächlich um die Nase wehte. An Lokalmatadore wie die Satteliten oder an Sit denken die wenigsten – vielleicht einige hier in Gera. Dass gerade die zwei Kultbands in der Otto-Dix-Stadt die Nacht zum 30-jährigen Mauerfall vor Fans der ersten Stunde und Nachwendekindern auf dem Platz vor dem Kongresszentrum zelebrierten, erweckte bei so manchem ostalgische Gefühle. Auch wenn nicht jeder Ton saß.

Der Platz vor dem Geraer Kongresszentrum war trotz Dauerregen gut besucht.
Der Platz vor dem Geraer Kongresszentrum war trotz Dauerregen gut besucht. © Marvin Reinhart

Trotz leichtem Dauerregen war der Platz am Freitagabend nahezu voll: Neben den besagten Satteliten und Sit kümmerten sich die Bands 2leben und die Rock Revival Band um Tanz- und Rockmusik, letztere als Organisator ebenfalls um die Veranstaltung. „Wir haben das zum 20. Jubiläum schon einmal gemacht. Und weil das so schön war, machen wir es jetzt wieder“, sagt Musiker-Urgestein Thomas Große von der Rock Revival Band.

Vorab gibt es Zeitzeugen-Videos auf der Leinwand links neben der Bühne. Zusammengetragen habe die 30 Jahre alten Szenen Franz Spiegel, zweites und jüngeres Mitglied der Rock Revival Band. „Als die Mauer damals fiel, war ich ein Jahr alt und habe geschlafen“, sagt Franz Spiegel. Die Videos habe er für alle die zusammengestellt, die damals nicht dabei waren.

Deutlich älter als 30 Jahre sind die Hits, zu denen Gera damals wie heute auf den Satelliten-Konzerten feierte. „Die Titel, die wir früher gespielt haben, die sind jetzt wieder in“, bemerkte Bernd Ehrhardt, letztes Gründungsmitglied der Oldies-Coverband. Und so schmetterten kurz nach sieben Uhr die eingängige Saxophon-Melodie von Gerry Raffertys „Bakerstreet“ oder die 1967 postulierte Aufforderung der Equals „Baby come back“ über den Platz vor der kunstvoll angeleuchteten Fassade des Kongresszentrums.

Bernd Erhardt ist Gitarrist und letztes Gründungsmitglied der Geraer Kultband „die Satelliten“.
Bernd Erhardt ist Gitarrist und letztes Gründungsmitglied der Geraer Kultband „die Satelliten“. © Marvin Reinhart

Eigentlich eine Sensation, denn die am 12. Dezember 1959 gegründete Band hat sich vor geraumer Zeit von der Bühne verabschiedet und nur für das Konzert wieder formiert. „Wir haben 25 Jahre lang nach der Wende weitergespielt“, sagt Gitarrist Bernd Ehrhardt. Bis vor zwei Jahren. Dann gab es eine Pause. Trotzdem: Zurück kam die Band Satelliten dann doch immer wieder. Das lehrt zumindest die Geschichte. „Wir haben zu DDR-Zeiten drei bis vier Reisen in den Westen geplant gehabt“, erinnert sich Gitarrist Ehrhardt an die damalige Auflösung. „Die wurden abgesagt. Aber dennoch bekamen wir Kunstpreise“, sagt er. „Wie das zusammenpasst, haben wir irgendwann nicht mehr verstanden.“ Auch deswegen habe sich die Gruppe ein erstes Mal vor der Wende getrennt und nach dem Mauerfall wiedervereinigt. Und, wer weiß, aber vielleicht stehen die Musiker in zehn Jahren, zum 40. Jubiläum, dann auch wieder auf der Bühne in Gera, vor dem Kongresszentrum und spielen Bakerstreet.

Die Fassadenprojektion am Kongresszentrum in Gera.
Die Fassadenprojektion am Kongresszentrum in Gera. © Marvin Reinhart