Greiz. Hohes spielerisches Niveau überzeugt Publikum. Gastspiel vom Reaktionsraum Rudolstadt ist emotionsgeladen

Der Pferdestall des Oberen Schlosses Greiz war am Dienstag Startpunkt für eine wundervolle wie abwechslungsreiche Reise. Unter dem Titel „Es ist Zeit für... Ticking In My Head“ führten die Mitwirkenden der von dem Berliner Künstler Ron Agenant geleiteten Pantomimewerkstatt des Greizer Theaterherbstes die rund 80 Gäste der Premiere unter anderem an den Strand, in den Wald oder in ein Bildhaueratelier – und verführten sie mit poetischen und ausdrucksvollen Bildern.

Der Song „Ticking In My Head“ der US-Metal-Band Anthrax bildete die musikalische Klammer. Er warf gleichzeitig ein Streiflicht auf die immer wieder aufflammende kritische Reflexion unseres Umgangs mit der Zeit im Allgemeinen und der Lebenszeit im Besonderen. Im Reigen der Bilder begegneten die Zuschauer Feinsinnigem, und Humorvollem, aber ebenso Gesellschaftskritischem, zum Beispiel wenn der Kreislauf einer Drogensüchtigen vom Abge­wracktsein zum Auftakeln und rauschbedingt zurück zum Abgewracktsein dargestellt wird. Fließend waren die Grenzen zwischen klassischer Pantomime und ausdruckstanzartigen Szenen. Doch egal, ob Volkslieder wie „Hänschen klein“ in Körpersprache übersetzt wurden oder Charlie Chaplin über die Bühne tänzelte, fesselnd war in jeder Sekunde der Aufführung die Körperspannung der Darsteller, ihre einmal mit großer Geste, dann wieder nur mit minimaler Mimik ausgeführte ­Illustration.

Ron Agenant ist es gelungen, die Mitwirkenden auf ein enorm hohes und zugleich für jeden Mitspieler passendes, spielerisches Niveau zu heben. Und fest steht: Bei vielen Zuschauern wird das Erlebte weiter im Kopf ticken. Übrigens, wer die Pantomimen noch einmal oder überhaupt sehen will, hat dazu zwei Gelegenheiten: am Freitag, 20. September, 17.30 Uhr, im Pferdestall des Oberen Schlosses, oder am Samstag, 28. September, 15 Uhr, im Neuberinhaus Reichenbach.

Das Gastspiel „De Janeiro – ein Punk ertrinkt in Weißensee“ der Gruppe Reaktionsraum Rudolstadt wurde am Dienstag zur Innenschau eines Gestrauchelten, der am Abgrund gerade noch einmal Halt findet. Jesse Garon und Stefan Kreissig, den Greizern auch als Werkstattleiter des Theaterherbstes bekannt, spielten sich in einem von Julia Kopa entworfenen, aus einem Zerrspiegel und unzähligen, herausgetrennten Buchseiten bestehenden Bühnenbild im wahrsten Sinne die Seele aus dem Leib. Basierend auf der Biografie des Punkers Rio Korn, der als Techniker der Gruppe mit in Greiz war, hat Autor Willi van Hengel einen tiefgründigen, dichten Text verfasst, der das Leben enthäutet und bis zum Kern des Daseins vordringt. Garon und Kreissig sprechen, schreien, singen den Text und präsentieren den Protagonisten ebenso wie sein Alter Ego, seine Abstürze und Verzweiflungen wie auch seine Hoffnungen und Träume. Ein Abend, der sowohl ob der schauspielerischen Leistung als auch ob des Textes und dessen Inszenierung lange nachwirkt.