München. Einen kräftigen Stimmungsdämpfer gab es bei den ersten Ruder-Entscheidungen für die deutsche Mannschaft bei der Heim-EM in München.

Torben Johannesen ist ein Mensch, der schon zweiten Plätzen in seinen Ruderrennen ungefähr so viel abgewinnen kann wie ein Veganer einem brasilianischen Grillrestaurant. Kein Wunder war es also, dass der Schlagmann des Deutschland-Achters am Sonnabendmittag gar nicht erst versuchte, den Verdruss über das soeben Erlebte zu verbergen. „Wir haben heute eine richtige Abreibung bekommen“, sagte der 27 Jahre alte Hamburger nach Rang vier bei der Heim-EM in München, mit dem das Paradeboot des Deutschen Ruder-Verbands (DRV) das Resultat der EM 2021 in Varese (Italien) wiederholte.

Briten mit Machtdemonstration

Dabei war es nicht in erster Linie die hoffnungslose Unterlegenheit gegenüber dem britischen Achter, der mit einer Machtdemonstration in 5:49,67 Minuten und mit 4,54 Sekunden Vorsprung auf die Niederlande Gold holte. Deutschland fehlten in 5:55,45 Minuten 37 Hundertstel zu Bronze auf Italien. Dass man die Briten nicht würde gefährden können, war im Vorhinein klar gewesen.

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Erschütternd war die schallende Ohrfeige, die man sich von den Niederländern einfing. Das komplett neu zusammengestellte Oranje-Team lag nach Startproblemen im ersten Rennviertel eine Bootslänge hinter dem Feld zurück, fuhr aber nach 2000 Metern mehr als eine Sekunde Vorsprung auf die Deutschen heraus. „Das geht gar nicht“, schimpfte Johannesen.

Lehrjahr nach vielen Veränderungen im Boot

Auf der Suche nach Erklärungen für das Desaster gibt es einige Ansätze. Die Saison 2022 war für den Achter, der bei Olympia 2021 in Tokio (Japan) noch Silber hinter Neuseeland und vor Großbritannien gewonnen hatte, angesichts von sechs Veränderungen im Kader als Lehrjahr ausgewiesen worden. Dann fiel kurz vor der Heim-EM mit Mattes Schönherr (22/Potsdam) der etatmäßige Schlagmann aus. Johannesen übernahm, Tom Tewes (21/München) rückte ins Team. „Man hat gemerkt, dass den Jungs Erfahrung und Wettkampfhärte fehlt“, sagte Achter-Bundestrainer Uwe Bender.

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Andererseits war im Bahnverteilungsrennen am Donnerstag, das die Deutschen auf Rang zwei hinter den Briten abschlossen, zu sehen gewesen, zu was die Mannschaft imstande sein kann. „Wir haben heute überhaupt nicht das gemacht, was vorgesehen war. Wir waren am Start viel zu verhalten, hatten keinen Mut. Die Briten haben uns vorgemacht, wie man im Achter rudert“, sagte Johannesen.

Wenig Raum für Optimismus

Mit Blick auf die WM in Racice (Tschechien/18. bis 25. September) ließ die Leistung wenig Raum für Optimismus. „Die Lücke zu den Briten werden wir in der Zeit nicht schließen, zudem kommen Australien und die USA als Rivalen hinzu. Das wird sehr schwer“, sagte Bender, der für das Trainingslager in Völkermarkt (Österreich), in das der männliche A-Kader am Sonntag reist, ein simples Rezept ankündigte. „Hart arbeiten und nach vorn schauen.“

Dieser Blick fällt aktuell im gesamten DRV schwer. In nur vier der elf A-Finals (inklusive Pararudern) am Sonnabend gab es deutsche Beteiligung, einzig Manuela Diening (30/Emsdetten) im Para-Einer durfte über Silber jubeln. Eine deutliche Aufbesserung der Bilanz ist auch am Sonntag zum Abschluss der Ruderwettbewerbe nicht zu erwarten.

Oliver Zeidler mit einziger Chance auf Gold

Die einzige realistische Chance auf EM-Gold hat Oliver Zeidler (26) im Endlauf um 14.03 Uhr. Am Sonnabendvormittag gewann der Einer-Weltmeister das Halbfinale auf seiner Trainingsstrecke in 7:12:00 Minuten und mit zweieinhalb Sekunden Vorsprung auf den starken Niederländer Melvin Twellaar (25), den der gebürtige Dachauer neben dem Briten Graeme Thomas (33) und dem griechischen Olympiasieger Stefanos Ntouskos (25), die das zweite Halbfinale dominierten, als härtesten Rivalen ausgemacht hat.

Zu einem Erfolg beitragen könnte, dass der Titelverteidiger vor dem Halbfinale seine Skulls gewechselt hatte, die ihm im Vorlauf am Donnerstag den Start verhagelt hatten. „Ich hatte die ganze vergangene Woche schon damit gehadert. Natürlich ist so ein Wechsel kurz vor einem wichtigen Rennen nicht optimal, aber es fühlte sich heute viel besser an, und das ist das Wichtigste“, sagte er, „wenn ich morgen noch ein bisschen schneller am Start rauskomme, dann kann ich auf den ersten 500 Metern noch mehr Gas geben und bin sehr zuversichtlich für das Finale.“

Alexandra Föster im A-Finale

Zuversicht versuchte auch Alexandra Föster auszustrahlen. Die 20-Jährige aus Meschede, die mit ihrem Sieg beim Weltcupfinale in Luzern (Schweiz) und dem Titelgewinn bei der U-23-WM in Varese (Italien) auf sich aufmerksam gemacht hatte, zog in 8:06:85 Minuten als Halbfinalzweite hinter Topfavoritin Karolien Florijn (24/Niederlande/7:59:10) in den Einer-Endlauf am Sonntag (13.30 Uhr) ein. „Heute bin ich zum ersten Mal sehr zufrieden, nachdem Vor- und Hoffnungslauf nicht gut waren. Jetzt versuche ich, mein erstes EM-Finale im A-Bereich zu genießen und nicht Letzte zu werden“, sagte sie. Beim aktuellen Zustand der DRV-Flotte wäre das schon ein schöner Erfolg