Darmstadt. Die Bilder des Reitens beim Modernen Fünfkampf in Tokio haben viele Zuschauer schockiert. Die Athletin Annika Schleu und der Verband stehen seitdem in der Kritik und unter Druck. Der Stand der Dinge.

Beim Modernen Fünfkampf herrscht in diesen Tagen eisernes Schweigen. Die ungewollt berühmt gewordene Olympia-Teilnehmerin Annika Schleu möchte derzeit lieber nicht reden.

Auch der Weltverbands-Präsident Klaus Schormann will in absehbarer Zeit keine Interviews geben, wie er auf Anfrage betonte. Der Druck ist derzeit offensichtlich zu groß: durch die öffentliche Empörung, durch die Forderungen des deutschen Reitverbandes - und vor allem durch die juristischen Ermittlungen.

Wegen Tierquälerei ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen Schleu und Bundestrainerin Kim Raisner - und scheint das auch intensiv zu tun. Mehrere Wochen werde es noch dauern, heißt es angesichts der Anzeige des Tierschutzbundes. Die Organisation wirft Schleu aufgrund der Ereignisse beim Reitwettbewerb bei den Olympischen Spielen in Tokio Tierquälerei vor und Bundestrainerin Kim Raisner Beihilfe dazu. Eine schnelle Einstellung des Verfahrens wie am IOC-Standort Lausanne ist jedenfalls nicht in Sicht.

Bundestrainerin forderte: "Hau mal richtig drauf!"

Die Athletin war beim Reiten Anfang August mit einem zugelosten und völlig verunsicherten Pferd nicht zurechtgekommen, hatte verzweifelt Gerte und Sporen eingesetzt, so dass viele TV-Zuschauer und Reiterinnen wie die Dressur-Olympiasiegerinnen Isabell Werth und Jessica von Bredow-Werndl entsetzt waren. Die Trainerin hatte das Pferd zudem mit der Faust geschlagen. Diese dramatischen Bilder und Raisners rustikale Aufforderung "Hau mal richtig drauf!" dürften bald in vielen Jahresrückblicken wieder auftauchen.

Angesichts der Empörung und besonders wegen der laufenden Ermittlungen scheint Schleus aktuelles Schweigen verständlich, bei Weltverbands-Chef Schormann verwundert es eher. Der erfahrene und gewiefte Funktionär kämpft seit Jahren um Anerkennung für den Modernen Fünfkampf und den Erhalt des Olympiastatus, derzeit verweist er aber nur auf offizielle Stellungnahmen der von ihm seit 1993 geführten Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM).

"Die Probleme, die während des Reitwettbewerbs im Frauenfinale in Tokio auftraten, erforderten eine rasche und umfassende Reflexion und Abhilfe", schrieb der im hessischen Gundernhausen lebende Verbands-Präsident dort vor ein paar Tagen. Die UIPM habe "neue Maßnahmen zur Verbesserung des Wohlergehens der Pferde in unserem Sport eingeführt", heißt es weiter. Erläutern möchte Schormann das allerdings nicht.

Diskussion über Zukunft vom Fünfkampf

Sicher ist aus Schormanns Sicht, "dass Reiten integraler Bestandteil des Modernen Fünfkampfs auf der Grundlage der Vision von Baron Pierre de Coubertin" bleibe. Im einzigen Interview seit Olympia hatte er den Zeitungen der VRM-Gruppe gesagt: "Das Reiten ist die Würze des Fünfkampfs."

Ganz anders sehen das viele Reiter und Verbände, die den Fünfkampf mit seinen Wurzeln im militärischen Mehrkampf gar nicht mehr modern finden. Sie halten das Zulosen von fremden Pferden und die Behandlung von Saint Boy in Tokio für völlig inakzeptabel. Und sie sehen sich nun selber unter ungerechtfertigtem Erklärungszwang, obwohl sie nicht zuständig sind und ein ganz anderes Regelwerk haben, wie die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) betont.

"Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Druck auszuüben", sagte Hans-Joachim Erbel, der Präsident der Deutsche Reiterlichen Vereinigung (FN), zuletzt in Aachen. "Wir sagen, dass die Fünfkämpfer das Reiten rausnehmen sollen."

Der FN-Präsident erklärte weiter: "Wenn sie das nicht können, sollen sie das Reglement so ändern, dass sie die Tiere und Menschen schützen." Für die FEI hat Präsident Ingmar De Vos angeboten, "seine Erkenntnisse zum Wohlergehen der Pferde zur Verfügung zu stellen". Er wünscht sich "wichtige Verbesserungen".

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