München. Gina Lückenkemper ist Europameisterin über 100 Meter. Die Soesterin siegte in einem Foto-Finish. Nach dem Lauf wurde sie emotional.

Das ließ sie sich nicht nehmen: Mit einem dicken Verband um den Oberschenkel und einer Deutschlandfahne um den Schultern rannte, hüpfte, taumelte Gina Lückenkemper auf ihrer Ehrenrunde durchs Münchener Olympiastadion. Zu den Klängen von Neil Diamonds "Sweet Caroline" teilten die rund 40.000 Fans ihre Freude und sangen lautstark mit.

EM-Gold in München: Gina Lückenkemper ist an der Spitze

Kurz zuvor war die Soesterin völlig überraschend und denkbar knapp Europameisterin im Sprint geworden. 2018 in Berlin hatte es bereits zu Silber gereicht, nun kämpfte sich Lückenkemper bis ganz nach vorne.

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Die Ungewissheit dauerte nur wenige Augenblicke, dann leuchtete ihr Name als erster auf der Anzeigetafel auf - und das Stadion glich einem Tollhaus. Gold für Lückenkemper, Gold nach einem packenden Rennen, in dem am Ende das Zielfoto entscheiden musste. Eine Sensation.

„Ich bin euch so unfassbar dankbar“, rief die erste deutsche Europameisterin seit Verena Sailer 2010 den 40.000 Fans auf den Rängen zu. In 10,99 Sekunden lief sie zum Titel, der zeitgleichen schweizerischen Mitfavoritin Mujinga Kambundji blieb nur Silber. Bronze ging an die Britin Daryll Neita (11,00).

Erst pushte Lückenkemper der Trainer, dann das Publikum zum EM-Sieg

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Doch statt mit der Schweizerin für gemeinsame Siegerbilder zu posieren, fasste Lückenkemper sich ans linke Bein. Nachdem sie sich mit allergrößer Kraftanstrengung, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, als erste über die Ziellinie geschoben und quasi um Nasenspitzenlänge gewonnen hatte, war sie ins Straucheln geraten und im Zielbereich gestürzt. Dabei riss sie sich mit ihrem eigenen Spike ein Loch ins Bein.

Überwältigt von ihren Gefühlen und durch das ganze Adrenalin hatte die 25-Jährige zunächst offenbar nichts gemerkt. Weinend war sie auf der Bahn zusammengesackt, ihre Konkurrentinnen nahmen sie zum Gratulieren in den Arm, auch andere Athleten, die sie aus ihrer US-Trainingsgruppe bei Lance Brauman kennt, sowie aus dem deutschen Team, umarmten sie.

Lückenkemper muss zur Behandlung ins Krankenhaus

Doch weil die Wunde nicht aufhörte zu bluten, mussten die Ärzte ran. Das hielt Gina Lückenkemper aber nicht von der Party ab - von einem Klappstuhl aus startete sie die Laola. Sie ist die geborene Entertainerin - und das Stadion lag ihr nach dieser Wahnsinnsleistung erst recht zu Füßen.

Und jetzt alle: Gina Lückenkemper animiert nach ihrem Sprint-Sieg bei der EM in München das Publikum zur Laola - während sie noch behandelt wird.
Und jetzt alle: Gina Lückenkemper animiert nach ihrem Sprint-Sieg bei der EM in München das Publikum zur Laola - während sie noch behandelt wird. © dpa

Ganz so ausgelassen wie sie vielleicht gewollt hätte, konnte Gina Lückenkemper aber doch nicht feiern. Wie der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) am Abend mitteilte war die Wunde so tief, dass sie genäht werden musste. Die Athletin des SCC Berlin wurde dafür ins Krankenhaus gebracht. Deshalb gab es auch keine Interviews mit der Frau, die ebenso schnell sprechen wie sie laufen kann.

„Mission Händchenhalten war erfolgreich“, schrieb sie spät in der Nacht jedoch bei Instagram. „Darf wieder zurück ins Hotel.“ Der Deutsche Leichtathletik-Verband logiert im Münchener Norden, nicht weit entfernt vom Olympiastadion.

Die 100-Meter-Europameisterin ist um 1:10 Uhr im Teamhotel eingetroffen und von der deutschen Mannschaft mit großem Jubel begrüßt worden. Zuvor musste sie aufgrund einer Wunde im Krankenhaus mit acht Stichen genäht werden.

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„Ich weiß noch nicht genau, woher die Wunde kommt. Ob vom Sturz oder etwas anderem. Aber mir geht es gut! Ich bin überglücklich und kann das alles noch gar nicht so richtig fassen", sagte Lückenkemper.

"Ich werde noch einige Zeit brauchen, um das zu verarbeiten", hatte sie zuvor noch in der ARD gesagt. Dort offenbarte sie, dass sie beinahe auf das Finale, in dem sie letztlich zu Gold gestürmt war, verzichtet hätte. Schon im Halbfinale hatte sie Probleme an den hinteren Oberschenkeln - dicke blaue Tapes deuteten darauf hin. "Ohne meinen Coach hätte ich nicht nochmal auf der Bahn stehen können. Lance hat mir den Prep-Talk meines Lebens gegeben. Ohne ihn wäre das so jetzt gar nicht möglich gewesen", erklärte sie.

"Das war eine Gina Lückenkemper, die unfassbar Spaß hatte"

Doch nicht nur die Worte ihres Trainers auch das Münchener Publikum hatte Lückenkemper, die nach EM-Silber in Berlin schon wusste, wie sich Heim-Erfolge anfühlen, "enorm gepusht". "Man weiß aus 2018, dass mich so etwas antreiben kann. Ich ziehe ganz viel Motivation aus sowas. Hier in diesem Hexenkessel zu stehen und zu wissen, die sind alle hier, weil ich eine geile Performance auf die Bühne bringe, hat unfassbar motiviert." Und sie bot ihnen eine wahre Show, eine Lückenkemper-Show.

Gina Lückenkemper (mit der Nummer sechs) schiebt sich nach vorne und als erste über die Ziellinie.
Gina Lückenkemper (mit der Nummer sechs) schiebt sich nach vorne und als erste über die Ziellinie. © dpa

Als Antwort auf die Kritik an den Leistungen der deutschen Leichtathletinnen und -athleten wollte sie dies aber nicht verstanden wissen. "Nein, das war einfach eine Gina Lückenkemper, die heute unfassbar viel Spaß hatte."

Für welche Meriten es nun noch reichen könne, wurde sie gefragt: "Das werden wir in den kommenden Jahren sehen", sagte Lückenkemper und grinste noch breiter als ohnehin schon.

Achte Medaille fürs deutsche Team bei der EM in München

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Lückenkemper holte damit die achte Medaille für das deutsche Leichtathletik-Team in München, vor vier Jahren in Berlin hatte sie Silber gewonnen. Titelverteidigerin und Europas Jahresbeste Dina Asher-Smith (Großbritannien) musste verletzungsbedingt aufgeben.

Tatjana Pinto (Wattenscheid) und Rebekka Haase (Wetzlar) waren im Halbfinale ausgeschieden. (mit sid)