Großwallstadt. Beim EM-Triumph 2016 ging der Stern von Andreas Wolff auf. Seither wird der Torwart an der damaligen Weltklasseleistung gemessen. Doch das hohe Niveau hat er durchgängig nie mehr erreicht.

Ob Andreas Wolff beim abendlichen Freizeitvergnügen der deutschen Handballer an der Darts-Scheibe eine genauso gute Figur macht wie derzeit zwischen den Pfosten der DHB-Auswahl, ist nicht überliefert.

Seit Monaten schweigt der Torwart in der Öffentlichkeit beharrlich - so auch nach der erfolgreichen EM-Generalprobe beim 35:34 gegen Olympiasieger Frankreich. Während seine Teamkollegen bereitwillig über die bevorstehende Endrunde in Ungarn und der Slowakei plauderten, verschwand der 30-Jährige einmal mehr kommentarlos in den Hallenkatakomben.

Wolff als Stabilisator

Wolff lässt derzeit lieber Taten sprechen. Kein Wunder, hat sich der Europameister von 2016 in der Vergangenheit mit kritischen oder forschen Äußerungen doch so manches Mal den Mund verbrannt. Vor der WM im Vorjahr war Wolff von Bundestrainer Alfred Gislason sogar öffentlich gerügt worden, weil er in einem Interview seinen Unmut über die damalige Absage etlicher Teamkollegen geäußert hatte. Doch das ist längst abgehakt.

Bei der Europameisterschaft kommt dem Keeper vom polnischen Topclub Vive Kielce eine wichtige Rolle zu. Nach dem personellen Umbruch verfügt er mit 118 Länderspielen neben Kreisläufer Patrick Wiencek über die meiste Erfahrung im jungen deutschen Team, das an diesem Mittwoch mit neun EM-Debütanten nach Bratislava reist. Dort sind Belarus, Österreich und Polen die Vorrundengegner. "Andi kommt in der Mannschaft sehr gut an. Er ist erwachsener geworden", sagt Gislason über Wolff.

Diesen Eindruck bestätigt Torwart-Kollege Till Klimpke. "Wir können sehr gut miteinander. Jeder gönnt dem anderen eine gute Leistung. Wir sind uns vom Ehrgeiz her sehr ähnlich. Aber auf Konkurrenzkampf hat keiner Lust, deshalb ist es sehr entspannt", berichtet der 23-Jährige vom Trainingsalltag im DHB-Camp in Großwallstadt.

Gislason macht Reifeprozess aus

Das war nicht immer so, konnte sich der äußerst ehrgeizige Wolff seit seinem kometenhaften Aufstieg beim EM-Triumph vor sechs Jahren doch nur schwer mit einer gelegentlichen Nebenrolle im deutschen Tor arrangieren. Gislason hat auch in diesem Punkt einen Reifeprozess bei dem bärtigen Hünen ausgemacht. "Er hat sich damit abgefunden, dass er nicht in jedem Spiel anfangen muss. Das ist gut so", sagt der Bundestrainer und stellt klar: "Anders als im Fußball ist es im Handball ein Torwart-Duo. Auch wenn er nicht anfängt, heißt das nicht, dass er der zweite Mann ist."

Von Wolffs Leistung wird bei der EM maßgeblich abhängen, wie weit die junge deutsche Mannschaft kommt. "Natürlich ist Andi der Erfahrenste und befindet sich auch in sehr guter Form", betont Gislason. Gerade rechtzeitig, lief es für Wolff zu Saisonbeginn doch überhaupt nicht. "Andi hatte bis Ende Oktober schon große Probleme in Kielce. Er hat nicht oft und auch nicht gut gespielt", berichtet Gislason.

Seit November ging es wieder bergauf. In den EM-Testspielen gegen die Schweiz (30:26) und Frankreich war Wolff der erhoffte Rückhalt, der er auch bei der EM sein soll. Zumal sowohl Klimpke als auch der dritte Torhüter Joel Birlehm noch nie ein großes Turnier gespielt haben. "Wir haben sehr viel Respekt vor ihm und sehen ihn als Vorbild", sagt Klimpke. Dieser Rolle will Wolff auf und neben dem Parkett gerecht werden - auch wenn er nicht darüber spricht.

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