Solingen. Ein halbes Jahr lang waren die Handballer im Corona-Lockdown. Der Supercup ist die Ouvertüre zur neuen Saison, die keine normale wird. Dennoch ist die Vorfreude in der Branche groß.

Alfred Gislason hatte sich für seinen ersten öffentlichen Auftritt nach einem halben Jahr Corona-Auszeit ungewohnt chic gemacht.

"Einen Anzug habe ich bei einer Pressekonferenz das letzte Mal 2010 nach dem Champions-League-Sieg mit dem THW Kiel getragen", berichtete der gut gelaunte Handball-Bundestrainer nach seiner Einkleidung in Solingen und gestand schmunzelnd: "Ich war nicht auf der Höhe, was Mode angeht."

Wie Spieler und Fans fiebert auch der 61 Jahre alte Isländer nach dem Abbruch der vergangenen Saison dem Neustart beim Supercup zwischen Rekord-Champion Kiel und Vizemeister SG Flensburg-Handewitt an diesem Samstag (20.30 Uhr/Sky Sport News HD) in Düsseldorf entgegen. "Wir haben schwere Zeiten hinter uns. Es war extrem frustrierend", sagte Gislason über die lange Zwangspause. "Ich freue mich, dass es wieder losgeht. Natürlich lasse ich mir das Spiel nicht entgehen und werde in der Halle sein."

Das Duell der beiden Erzrivalen um den ersten Titel der Saison 2020/21 ist der Härtetest für das Hygiene-Konzept der Branche und eine sportliche Standortbestimmung für die Topfavoriten der Bundesliga, die am kommenden Donnerstag in die neue Spielzeit startet. "Beide Teams sind komplett auf Augenhöhe", sagte Gislason. Auch wenn die Kieler am Donnerstagabend bei der empfindlichen 27:35-Heimpleite in der Champions League gegen HBC Nantes auf ganzer Linie enttäuschten. "Das war ein Schlag ins Gesicht. Ich hoffe, dass wir diesen schnell hinter uns lassen können", sagte THW-Trainer Filip Jicha und mahnte: "So sollte man diesen Club nicht repräsentieren."

Die Flensburger steigen nach dem 29:28-Coup in der Königsklasse bei Paris Saint-Germain dagegen mit breiter Brust in den Charterflieger nach Düsseldorf, den sie sich auf der Hin- und Rückreise mit den Kielern teilen. Die ungewöhnliche Maßnahme bedeute "weniger Reisestress und ökonomische Vorteile", sagte SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke dem "Flensburger Tageblatt". Und THW-Sportdirektor Viktor Szilagyi ergänzte: "Auch aus ökologischer Sicht ist es eine sinnvolle Geschichte."

Auf dem Parkett wird es vor maximal 2640 Zuschauern, die vom zuständigen Gesundheitsamt zugelassen wurden, ordentlich zur Sache gehen. "Ein Nord-Derby zum Start, da freut sich ganz Handball-Deutschland drauf", sagte Kiels Nationalspieler Patrick Wiencek. "Das ist ein richtiges Kräftemessen, danach wissen wir dann auch, wo wir stehen."

Nachdem der THW den 21. Meistertitel seiner Vereinsgeschichte aufgrund des Saisonabbruchs am grünen Tisch zugesprochen bekam, will der Branchenprimus gleich zum Auftakt der neuen Spielzeit ein sportliches Ausrufezeichen setzen. "Wir sind enorm hungrig. Der Supercup ist der erste Titel, der vergeben wird. Auch wenn es nicht der wichtigste ist, trotzdem hat man einen Pokal in der Hand", betonte Wiencek.

Das sieht man in Flensburg genauso. "Wir haben die Qualität, um um Titel zu spielen. Das ist immer der Anspruch", betonte Neuzugang Franz Semper. Der aus Leipzig gekommene Nationalspieler hofft auf den ersten Pokal in seiner Karriere: "Der THW hat eine gute Mannschaft, aber die haben wir auch. Wir müssen uns nicht verstecken."

Gislason wird am Samstag ganz genau hinschauen, wie die Auswahlspieler drauf sind. Denn im Corona-Wartestand war der Kontakt auf ein Minimum beschränkt. Und natürlich werden die Sympathien ein klein wenig mehr bei den Kielern liegen, die er elf Jahre lang sehr erfolgreich trainierte. Auch wenn er das öffentlich nur andeuten kann. "Als Bundestrainer muss ich neutral sein", sagte Gislason. "Aber ich muss gestehen, dass das nicht so einfach ist."

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