Budapest. Mit Hochachtung spricht Portugals Trainer Fernando Santos vom nächsten Gegner Deutschland. Er setzt auf den Teamspirit der “Selecao“.

Die prägnante Botschaft steht in weißen Versalien auf schwarzem Grund an der Stellwand mitten in der umfunktionierten und klimatisierten Turnhalle des SC Vasas Budapest. „Vamos todos. Vamos com tudo.“ Lass uns gehen. Lass und mit allen gehen.

Illustriert wird der Slogan im Medienzentrum der portugiesischen Nationalmannschaft mit einem Schwarz-Weiß-Foto von der Übergabe der EM-Trophäe 2016 im Konfettiregen. Damit mal allen klar ist, wo Portugals Auswahl auch fünf Jahre später wieder hinwill, wenn nun das Duell gegen Deutschland (Samstag 18 Uhr/ARD) zum ersten richtigen Härtetest für den Titelverteidiger wird.

Gruppe zählt, nicht nur Rekordtorjäger Cristiano Ronaldo

Bei all den Belobigungen über den Rekordjäger Cristiano Ronaldo droht in den Hintergrund zu geraten, dass der erste große Titel für die stolze Seefahrer- und Fußball-Nation ohne einen besonderen Teamspirit nicht entstehen konnte. Bruno Fernandes war damals zwar nicht dabei, aber er findet es fast unverschämt, dass der heutigen Mannschaft vorab die höhere Klasse bescheinigt wird.

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„Wir können nicht besser als 2016 sein, denn dieses Team hat die Trophäe gewonnen“, berichtete der 26-Jährige auf der Pressekonferenz, die als Präsenzveranstaltung mit ausreichend Abstand stattfand. Der Offensivspieler von Manchester United, der mit Diogo Jota vom FC Liverpool und Bernardo Silva von Manchester City im Rücken Ronaldos agiert, erwartet jetzt „ein hartes Spiel für uns, für Deutschland aber auch“.

Keine Tipps von André Silva oder Raphael Guerreiro

Tipps von Bundesligaprofis wie André Silva (Eintracht Frankfurt) oder Raphael Guerreiro (Borussia Dortmund) will er nicht einholen: „Wir müssen sie nichts fragen, weil wir die Spieler selber kennen.“ Und bei allem Geraune über die Fähigkeiten Ronaldos stellte er gleich noch heraus, dass auch beim Europameister das Wertvollste immer die Gruppe sei. Die macht dieser Tage auf der fast schon klinisch reinen Anlage im lllovszky-Rudolf-Stadion von Budapest einen entspannten Eindruck.

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Die Anführer Ronaldo und Pepe, Kumpels aus gemeinsamen Tagen bei Sporting Lissabon, kamen am Donnerstagvormittag als erste auf den sonnenüberfluteten Trainingsplatz, der Kapitän spielte bei den Passübungen den ersten Ball – das gewünschte Symbolbild für die Kameras. Das Wetter hätte auf Ronaldos Heimatinsel Madeira nicht besser sein können. Und dass das Teamquartier inmitten einer grünen Wohlfühloase auf der Magarateninsel der Donau-Metropole liegt, soll den Führungsfiguren übrigens auch zusagen.

Den strengsten Blick legte vor der Abreise ins Luftlinie nur 560 Kilometer entfernte München noch Trainer Fernando Santos (66) an den Tag, der sich beinahe demonstrativ einen Schattenplatz mit fast 70, 80 Meter Abstand suchte. Wer nicht wüsste, dass es sich bei dem studierten Elektrotechniker um den Cheftrainer der Delegation handeln würde, hätte ihn auch für den Zeugwart oder Busfahrer halten können.

Santos pilgerte nach dem EM-Sieg zum Wallfahrtsort

Teilnahmslos lehnte er an der Betonmauer. Aber das ist genau wie seine mitunter staubtrockenen Statements nur Fassade. Der 66-Jährige mag kein großer Redner sein, aber seine akribische Herangehensweise ist die Grundlage der portugiesischen Erfolgsstory.

Ein Jahrzehnt als Ingenieur in der Wirtschaft gearbeitet

Eitelkeit ist diesem Fußballlehrer fremd, der aus seinen religiösen Überzeugungen keinen Hehl macht. Nach dem historischen EM-Coup in Paris pilgerte er in den portugiesischen Wallfahrtsort Fatima. Zudem sagte er einmal: „Wenn ich am Nachmittag ein Spiel habe, gehe ich um sieben Uhr morgens zur Messe.“ Wohltuend wirkt sein Realitätssinn, weil der lange auch in Griechenland arbeitende Santos nicht immer nur dem Fußball diente.

Ein Jahrzehnt arbeitete er in der freien Wirtschaft als Ingenieur. So einer durchleuchtet eine Scheinwelt rasch. Und mit dem Starkult hat er es eigentlich auch nicht. Sein größtes Verdienst bei der EM 2016 war neben der pragmatischen Spielweise auch der Einbau von jungen Spielern. Renato Sanches, der danach beim FC Bayern nicht glücklich wurde, war damals 18; Linksverteidiger Guerreiro, der anschließend zu Borussia Dortmund wechselte, erst 22. Beide standen im EM-Endspiel 2016 gegen Frankreich – nun in Budapest der dritte Gruppengegner - in der Startelf.

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Der Coach weiß, dass es gegen die Magyaren noch einige Mängel gab, das hat er hinterher in der Puskas-Arena auch nicht verschwiegen: „Wir müssen uns weiterentwickeln. Deutschland ist ein sehr starker Gegner mit Spielern von enormer Qualität und mit einem hervorragenden Trainer.“ Eines hat er dem Kollegen Joachim Löw indes voraus: den EM-Pokal in den Händen zu halten. Obwohl es davon kein einziges Bild im Medienzentrum gibt. Dort sind nur die Konterfeis der kraftstrotzenden Kicker abgebildet.