Duisburg. Die deutschen Angreifer sind schnell, variabel – und oft gute Torvorbereiter. Was ihnen fehlt, ist die Kaltschnäuzigkeit.

Es scheint eine Petitesse zu sein, dass von bedeutenden Stürmern vor allem im Gedächtnis kleben bleibt, wie sie ihre Tore erzielt haben. Klaus Fischer schleuderte sich rücklings in die Luft. Gerd Müller robbte notfalls über den Rasen. Uwe Seeler nutzte einmal den Hinterkopf. Horst Hrubesch köpfte eigentlich immer – Miroslav Klose auch sehr häufig. „Mir ist dabei nie langweilig geworden“, verrät Hrubesch dieser Redaktion. Doch um von der Petitesse aufs große Ganze überzuleiten, lässt sich die Frage aufwerfen, von welchem aktuellen deutschen Nationalspieler einmal ähnliche Szenen haften bleiben werden.

Der 1:0-Erfolg am Sonntagabend in Rumänien im zweiten Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft in Katar verdeutlichte nämlich erneut, dass Bundestrainer Joachim Löw derzeit keinen klassischen Neuner, keinen echten Torjäger zur Verfügung hat. Es fehlt einer wie Polens Robert Lewandowski. Einer wie Norwegens Erling Haaland. Einer, der erst Erleichterung verspürt, wenn der Schiedsrichter seinen Namen als Torschütze im Spielberichtsbogen notiert hat. Die Offensive der deutschen Nationalmannschaft besteht vor allem aus Wegbereitern. Aus Künstlern, die Chancen kreieren, aber diese nicht immer vollenden können. Wie ein Pizzabote, der zwar zielgenau zu seinem Ziel düst, aber vergisst, die Funghi mit Zwiebeln abzuliefern.

Rumäniens Torhüter Florin Nita glänzt

Das blieb natürlich auch Joachim Löw nicht verborgen. „Wenn man etwas kritisieren kann, dann war es die Chancenverwertung. Da hätten wir es uns leichter machen können“, meinte der Bundestrainer. Beim einzigen Treffer musste sich Serge Gnabry nach einem eleganten Pass von Kai Havertz nicht mehr allzu sehr anstrengen, um den Ball ins Tor zu schießen. Gerade in der zweiten Halbzeit verzweifelten die Deutschen aber an Rumäniens Torhüter Florin Nita, der das Scheinwerferlicht gegen den großen Gegner dafür nutzte, sich in den Vordergrund zu parieren. Einmal genügte ein böser Blick, damit Leroy Sané den Ball am Pfosten vorbeispitzelte.

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Nun wäre die Lage natürlich komplizierter, wenn sich Löws Elf erst gar nicht vor das Tor kombinieren würde. Wie ein Pizzabote, der sich immer verfährt. Allerdings erwarten die deutsche Mannschaft bei der Europameisterschaft im Sommer deutlich schwierigere Gegner als Rumänien. Etwa Frankreich. Oder Portugal. Da braucht es mehr Konsequenz beim Abschluss.

Es wäre ihm daher lieber, wenn sich im Kader noch ein zusätzlicher Stürmer tummeln würde, merkt Horst Hrubesch an. „Aber die wachsen nun mal nicht auf den Bäumen.“ Der 69-Jährige mahnt daher, dass bei der Ausbildung der Talente bestimmte Typen nicht aus dem Raster fallen dürften. Er versuche derzeit selbst als Nachwuchsdirektor beim Hamburger SV das Gesamtbild im Auge zu behalten. Früher wurde Hrubesch als „Kopfball-Ungeheuer“ gehuldigt, er köpfte sich bei Rot-Weiss Essen (1975 bis 1978) und dem HSV (1978 bis 1983) zur Stürmer-Legende, triumphierte 1980 mit Deutschland bei der EM in Italien und entschied das Finale mit zwei Toren. Später als Trainer – etwa im DFB-Nachwuchsbereich – habe er darauf geachtet, möglichst verschiedene Angreifer-Typen in seinem Kader zu versammeln. Große für lange Bälle, kleine für flinke Dribblings. „Jeder Trainer ist froh, wenn er das kann.“

Klose war der Letzte von Weltformat

Löw aber fehlt seit dem Rücktritt von Miroslav Klose im Jahr 2014 ein Strafraumstürmer von Weltformat. Lange erwärmten in den deutschen Nachwuchsleistungszentren eher quirlige Talente die Herzen der Ausbilder, kantige Angreifer wurden aussortiert. Eine Konsequenz: In der Bundesliga-Torjägerliste sucht man auf den oberen Plätzen vergeblich nach einem deutschen Stürmer.

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Am ehesten könnte noch Timo Werner die Rolle des Vollenders ausfüllen. In der Saison 2019/20 sprintete er sich im Trikot von RB Leipzig zu 28 Saisontoren, seit seinem Wechsel zum FC Chelsea nagt er allerdings an einem Formtief. Gnabry kann die beeindruckende Quote von 15 Tore in 19 Länderspielen vorweisen, aber wie Sané und Havertz berauscht er eher durch Dribblings, Vorlagen.

Am Mittwoch, wenn Joachim Löw in Duisburg gegen Nordmazedonien (20.45 Uhr/RTL) den dritten Qualifikationssieg im dritten Spiel realisieren möchte, soll der zuletzt nur eingewechselte Werner eine Chance von Beginn erhalten. Spielzeit, um sich für die EM zu empfehlen. Und um Tore zu erzielen, die haften bleiben.