Berlin. Frisch motiviert ins neue Jahr - das wünschen sich viele. Motivationscoaches füllen ganze Konzerthallen. Aber was können sie wirklich?

Mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben, endlich das Leben führen, das man sich schon immer gewünscht hat – solche typischen Vorsätze fürs neue Jahr klingen in der Theorie gut, scheitern jedoch meistens am fehlenden Durchhaltevermögen.

Da käme ein Trainer, der den Willen stärkt, natürlich wie gerufen. Das haben sogenannte Motivationscoaches längst als Geschäftsfeld entdeckt: Sie geben Seminare, in denen die Teilnehmer lernen sollen, wie sie ihr Leben in den Griff und das Glück auf ihre Seite bekommen.

Die Veranstaltungen haben mehr mit Rockkonzerten als mit klassischen Bildungsseminaren gemein. Statt in tris­ten Tagungsräumen mit greller Halogenbeleuchtung unterrichten die Coaches meistens auf Bühnen mit bunten Lichtshows und Feuerfontänen. Manchmal füllen sie Hallen mit mehreren Tausend Besuchern. Deren Hände klatschen dann zu rhythmischen Beats. Für Preise, die Konzerttickets weit übertrumpfen.

Neues Jahr, neue Vorsätze: Das Geschäft mit der Motivation boomt

Allein die 8000 Business-Coaches setzen in Deutschland jährlich eine halbe Milliarde Euro um, schätzt Christopher Rauen, Vorsitzender des Deutschen Bundesverbands Coaching. Doch das Berufsfeld ist weitaus größer: Insgesamt gibt es zwischen 30.000 und 85.000 Coaches, Redner und Trainer in Deutschland. Genau lässt sich die Zahl nicht beziffern, denn es handelt sich bei Coaches um einen nicht geschützten Beruf. Jeder darf sich Coach nennen und versuchen, ein Teil des Marktes zu werden.

„In unserer nach Optimierung strebenden Leistungsgesellschaft ist der Wunsch nach einem Guru, der zeigt, wie Erfolg funktionieren soll, vielleicht größer denn je“, sagt Uwe Kanning, der sich als Professor für Wirtschaftspsychologie bereits seit Jahren mit der Coaching-Szene beschäftigt. Zu den Stars dieser Szene zählen Jürgen Höller, Christian Bischoff, Marc Galal – oder Tobias Beck.

Der 43-Jährige aus Wuppertal berichtet auf seiner Internetseite, dass er nicht nur von mehreren Schulen, sondern sogar aus dem Kindergarten geflogen sei. Später arbeitete Beck als Flug­begleiter, studierte einige Semester Psycho­logie und wurde schließlich Motivationstrainer. Mit mehr als 250.000 Teilnehmern und bislang rund 2000 Seminartagen gehört er zu den erfolgreichsten europäischen Vertretern des Metiers.

Becks Podcast wurde bereits mehr als acht Millionen Mal heruntergeladen, sein Bestseller „Unbox Your Life“ schon in 17 Sprachen übersetzt. Die Videos auf Becks Youtube-Kanal zeigen Ausschnitte seiner Seminare: Beck hüpft über die Bühne, gestikuliert wild, spricht sein Publikum immer wieder direkt an. Die Zuschauer – er nennt sie „Superstars“ – sprechen ihm nach wie andere das Vaterunser im Gottesdienst.

Tobias Beck: „Ich bringe Weisheiten, die es bereits gibt, lustiger rüber“

Das, worüber die Seminare im Grundsatz handeln, ist noch weitaus älter als die Kirche. Von den „vier Menschentypen“, die Beck in einem seiner Vorträge vorstellt, hatte der Philosoph Hippokrates bereits 460 v. Christus berichtet. Mit dem Unterschied, dass Hippokrates’ Rede damals noch nicht auf Youtube verbreitet werden konnte und Beck wiederum für dieses Video bereits fast zwei Millionen Klicks eingefahren hat. „Ich bringe Weisheiten, die es bereits gibt, einfach lustiger rüber“, sagt Beck unserer Redaktion.

Ob man für solche Events Tausende Euro ausgeben möchte, muss jeder selbst entscheiden. „Manche Teilnehmer ändern ihr Leben, andere haben einfach nur ein gutes Wochenende. Beides ist okay“, sagt Beck, der für ein viertägiges Seminar bis zu 12.000 Euro verlangt. Außerdem verkauft der zweifache Vater Online-Kurse, Audioprogramme, Bücher und sogar Schlüsselanhänger.

Doch die hohen Kurspreise sind keineswegs ein Garant für Erfolg. Im Gegenteil: „Die Teilnehmer mancher Coachings lernen Verkaufstricks und werden dabei zum Opfer derselben“, sagt Wirtschaftspsychologe Kanning. Die Gebühren würden den Teilnehmern als Investment in eine glückliche Zukunft verkauft. Dabei werde ihnen zudem suggeriert, dass ein Seminar nicht reiche. Wer wirklich erfolgreich sein will, so argumentieren manche Motivationstrainer, müsse ein Nachfolgeseminar buchen. Und am besten danach noch eines und noch eines.

Marketing: Nur schwer vom illegalen Schneeballsystem zu unterscheiden

Der Verkauf läuft häufig über Multi-Level-Marketing. Bei dieser Art des Direktvertriebs sind Kunden dazu angehalten, neue Mitglieder anzuwerben, um an deren Umsätzen mitzuverdienen. Diese sollen dann ebenfalls wieder neue Kunden an Land ziehen.

Den Wirtschaftspsychologen Kanning erinnert die Vorgehensweisen mancher Coaches an „sektenähnliche Strukturen“. Als besonders gefährlich bezeichnet er Becks Vorgehen, Menschen in Gruppen aufzuteilen. Negative und pessimistische Menschen sind in der Welt des Motivationstrainers die „Bewohner“. Die „wertvollste Art“ sind die „Diamanten“ – und damit all jene Menschen, die in seinem Seminar sitzen und sich von ihm schleifen lassen wollen.

Immer wieder betont Beck, wie wichtig es sei, sich von Leuten fernzuhalten, die nichts zum eigenen Erfolg beitragen oder ihn verhindern könnten. Wer sich von solchen Mitmenschen trenne, habe viel Platz für neue Freunde, so Beck. Und diese fänden sich am besten auf den Motivationsseminaren.

Psychische Probleme: Experte warnt vor Gefahren

„Solche Ratschläge führen zu einer Art sozialer Isolierung und Abkapselung“, sagt Experte Kanning. Bedenklich findet der Psychologe außerdem, dass auch Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen an den Seminaren teilnehmen und dadurch möglicherweise in noch größere Schwierigkeiten gerieten, weil ihnen Laienpsychologie schlichtweg nicht weiterhelfe.

Natürlich gibt es in der Branche auch zahlreiche Coaches, die dabei helfen können, Motivation und Energie zu finden. „Die formale Qualifikation zeigt meist schon recht deutlich, wie professionell ein Trainer ist“, sagt der Chef des Coaching-Verbands Rauen. Er selbst ist promovierter Diplom-Psychologe und hat seine Weiterbildungen zum Coach an der Deutschen Psychologen Akademie abgeschlossen. Das können die meisten Motivationsstars nicht von sich behaupten. Übertriebene Versprechen, emotionale Auftritte und Massenveranstaltungen sollten Kunden vorsichtig stimmen, meint Rauen.

Tobias Beck schaut unterdessen optimistisch ins neue Jahr. Er wird weiter seiner Lebensaufgabe nachgehen, „so vielen Menschen wie möglich Konfetti in ihr Leben zu streuen“. Für 2020 rechnet Beck mit 70.000 Teilnehmern.

Während Beck sicher auch auf gute Geschäfte hofft, nehmen sich andere Menschen Liebesvorsätze fürs neue Jahr vor: das sind die vier besten. Andere fragen sich wiederum, wie lange man über ein „Frohes neues Jahr“ wünschen darf und wie man das überhaupt schreibt.