Erfurt. Ohne Ultravox und Band Aid: Das erste Solo-Album von Midge Ure mit dem Hit „If I was“ entstand eher zufällig. Christian Werner über „The Gift“.
Wenn das Büro von Paul McCartney anruft, um einen künstlerischen Tipp zu bekommen, hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas richtig gemacht. Als Midge Ure 1985 sein erstes Solo-Album „The Gift“ veröffentlicht, ziert das Cover eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Musikers. Das Bild hat George Hurrell fotografiert, einem zu dem Zeitpunkt 80-jährigen Porträtfotografen, der in den 30er- und 40er-Jahren bekannt wurde für seine Aufnahmen von Hollywoodstars wie Jane Russell, Clark Gable, Bette Davies, Humphrey Bogart, Lauren Bacall oder Marlene Dietrich.
Drei Stunden dauerte die Session bei dem Meister-Fotografen, diese sowie das Ergebnis gehören zu den kostbarsten Momenten seiner Karriere, wie Midge Ure kürzlich in einem Interview verriet. Hurrell hatte zuvor schon Fotos für Alben von Tom Waits („Foreign Affairs“), Fleetwood Mac („Mirage“) und Queen („The Works“) gemacht. Nach dem Anruf bei Midge Ure gestaltete er auch das Cover von Paul McCartneys „Press to Play“ von 1986.
Midge Ure probiert im Homestudio Ideen aus
Midge Ure war bereits zu dem Zeitpunkt kein Unbekannter: Er spielte bei Slik, bei Visage, half als Gitarrist auf einer Tour von Thin Lizzy aus, war Sänger und Songschreiber von Ultravox sowie Mitorganisator von Band Aid (er schrieb mit Bod Geldof „Do they know it’s Christmas?“) und Live Aid.
Während einer Pause zwischen den Alben und Tourneen von Ultravox probierte Ure in seinem neuen Homestudio ein paar Ideen und Songs aus, ohne ein Album aufnehmen zu wollen. Keine Musik zu machen und wie seine Bandkollegen an einem Strand liegen, sei für ihn die Vorstellung von Hölle gewesen, wie er in den Liner Notes zur aktuellen Wiederveröffentlichung von „The Gift“ verrät.
Erst als sein Manager und das Plattenlabel die Aufnahmen hören, formt sich die Idee für ein Album. Mit Erfolg: Die Single „If I was“ wird für den gebürtigen Glasgower ein Nummer-eins-Hit, der heute zum Kanon der 80er-Jahre-Musik gehört. Dass der Song (aus deutscher Sicht) beinahe schlagerhafte Strukturen hat, gehört quasi zum Plan: Midge Ure will bewusst einfache Songs schreiben und aufnehmen. Weniger komplex als die Arbeiten mit Ultravox.
Coverversion von Jethro Tull
Das Experimentieren bleibt trotzdem nicht aus: Drei Instrumentalstücke sind unter den elf Tracks des Albums, auf „Edo“ spielt Ure eine Koto, eine japanische Wölbbrettzither. Auch eine Synthie-Version von „Livin in the Past“, ein Song der Prog-Folkrocker Jethro Tull, nimmt er auf.
Wie produktiv der Musiker in dieser Zeit war, zeigt die Deluxe-Edition, die als Doppel-Vinyl oder Mediabook mit vier CDs erschienen ist. Neben dem Album versammelt die Wiederveröffentlichung Singles, B-Seiten und Extended Versions wie das interessante David-Bowie-Cover „The Man who sold the World“, das Ure für ein Filmprojekt aufgenommen hatte und bewusst mit den Mitteln der Zeit vertonte, etwa mit einem Drum Computer.
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Auch „No Regrets“ der Walker Brothers ist unter den Bonustiteln, das Cover hatte Midge Ure bereits 1982 veröffentlicht. Auf der dritten CD gibt es frühe Versionen der Albumsongs, Aufnahmen für die BBC und von Soundchecks (Anspieltipp: eine reduzierte Version von "Fade to Gray"). Auf der vierten Scheibe ist ein Konzert im Londoner Wembley-Stadion aus dem Jahr 1985 mit seiner damaligen Begleitband.
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Wir stellen in #langenichtgehört vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor.