Berlin. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück ging bei “Maischberger“ am Mittwoch mit der Russland-Politik der letzten Jahre hart ins Gericht.

Kurz vor den Gipfeltreffen von EU, G7 und der Nato streitet sich Deutschland über Waffenlieferungen, Energieembargos gegen Russland und die Inflation. Mit der Ankunft deutscher Panzerhaubitzen in der Ukraine und der veröffentlichten Liste deutscher Waffenlieferungen, scheint die Bundesregierung dem Anspruch der "Zeitenwende" nun gerecht werden zu wollen.

Ob und wie Deutschland Europa durch die zahlreichen Krisen führen kann, darüber stritten sich die Talkgäste am Mittwoch im Studio bei Sandra Maischberger. Eine klare Meinung zur deutschen Führungsfrage und zum möglichen ukrainischen EU-Beitritt äußerte der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Außerdem erklärte er, welche Konsequenzen aus der Inflationskrise zu befürchten sind.

"Maischberger" – Das waren die Gäste:

  • Peer Steinbrück, ehemaliger Bundesfinanzminister (SPD)
  • Barbara Schöneberger, Moderatorin von "Verstehen Sie Spaß?"
  • Ulrich Wickert, langjähriger Tagesthemen-Moderator
  • Ulrike Herrmann, "taz"-Journalistin
  • Michael Bröcker, Chefredakteur von "The Pioneer"

Steinbrück fordert bei "Maischberger" höheres "Abschreckungspotenzial"

Der ehemalige SPD-Politiker ließ kein gutes Haar am jahrelangen Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er als "Lügner und Betrüger" brandmarkte. Habe der Beginn von Putins Amtszeit Anfang des Jahrtausends in Europa noch Hoffnungen geweckt, sei der Westen spätestens nach der russischen Invasion in Georgien 2008 in ein "politisches Koma gefallen". Nun gelte es für die EU das "Abschreckungspotenzial deutlich" zu erhöhen.

Dazu müsse man aber "feststellen, dass die Bundeswehr nicht das Technische Hilfswerk ist". Vor allem angesichts der Zuwendung der US-Politik Richtung Asien, erfordere der Krieg in der Ukraine mehr eigenverantwortliches Handeln in Europa.

Steinbrück skeptisch bei EU-Kandidatenstatus für Ukraine

Mittelfristig müssten wieder Gesprächskanäle zum Kreml aufgebaut werden, forderte Steinbrück. Dabei sollen die Vertreter des Westens "einen großen Knüppel unter dem Tisch" bereit halten. Sicher war sich Steinbrück darüber, wer künftig der Verhandlungspartner auf russischer Seite sein wird: "Putin wird nicht weggeputscht. Putin wird eine Konstante bleiben."

Skeptisch äußerte er sich dagegen zum bald wohl neuen Status der Ukraine als EU-Betrittskandidatin. Aus der Empathie geboren sei das Entgegenkommen der EU, dabei sieht er die Ukraine als "durchsetzt von Oligarchen, hochkorrupt" und geschlagen mit "einer erkennbar politisch geprägten Justiz". Kurz: "Die Ukraine ist ziemlich weit vom EU-Beitritt entfernt."

Steinbrück: Führungsrolle von SPD "jahrzehntelang verdrängt"

Selbstkritisch ging der Kanzlerkandidat von 2013 auch mit seiner Partei ins Gericht: "Wir waren blind, wir waren naiv. Sträflich naiv." Den Vorstoß des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, in Europa die Führungsrolle zu übernehmen, begrüßte er. "Ich glaube, dass die SPD das über Jahrzehnte verdrängt hat." Allerdings erhoffte er sich von Kanzler Olaf Scholz, die Konsequenzen der Zeitenwende "besser zu vermitteln".

Zu den Folgen könnte auch ein langfristig instabiler Finanzmarkt gehören. Die Inflationskrise überraschte den einstigen Finanzminister als "zwei Jahre über uns schwebendes Risiko" nicht. Steinbrück erklärte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mittels Zinserhöhungen das Ruder herumreißen muss. Dabei steht der EZB ein Spagat bevor, da sich zu hohe Zinsen für "ärmere Länder wie Griechenland oder Italien als Schlinge um den Hals" erweisen könnten. Lesen Sie dazu auch: Inflation: Mehrheit geht von längeren Einschränkungen aus

Ungleich "aggressiver, oder ehrgeiziger" gehe das US-Pendant die Inflationsbekämpfung an, wodurch amerikanische Staatsanleihen ungleich attraktiver würden. "Damit geht das Kapital in die USA. Damit wird der Euro geschwächt. Damit gehen die Importpreise hoch. Damit kommt die nächste Pumpe für die Inflation", zeichnete Steinbrück ein düsteres Bild. Die Bundesregierung müsse der Bürgerschaft daher erklären, dass "schwierige und raue Zeiten auf uns zukommen."

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Wickert: "Marder stehen zu Hunderten auf den Hinterhöfen"

Über die europäische Führungsfrage wurde bereits zuvor heftig gestritten. The Pioneer-Chefredakteur Michael Bröcker forderte wie Ex-Tagesthemen-Sprecher Ulrich Wickert mehr Überzeugung von der Bundesregierung. Die Osteuropäer "sehnen sich nach Führungsstärke", so Bröcker. Er begrüßte daher Scholz Voranschreiten in der Causa EU-Beitritt. Dennoch, es sei "viel mehr möglich als Scholz zulässt."

Selbiges werde nun in Sachen Waffenlieferung erwartet. "Man kann viel mehr liefern", sagte Wickert, "es stehen die Marder zu Hunderten auf den Hinterhöfen der deutschen Rüstungsindustrie." Insgesamt bewerteten Bröcker und Wickert die Lieferungen als zu spät und nicht umfangreich genug.

Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann widersprach mit Blick auf die Schützenpanzer. Die Bedienung des Marder erfordere eine sachgemäße Ausbildung an der Waffe. Wären diese deutlich früher geliefert worden, hätten sie als "Kanonenfutter" geendet. Sie warnte vor einem deutschen Vorpreschen: "Wenn etwas schief läuft, dann ist Deutschland ganz allein schuld. Das ist brandgefährlich."

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.