Berlin. Auch diesen Winter rechnen Kinderärzte mit einer Welle von Infektionen bei Babys und Kleinkindern. Deutschland sollte sich vorbereiten.

Atemwegskrankheiten, Mandelentzündungen, Scharlach: Die Kinderärzte und -ärztinnen in Deutschland rechnen für Herbst und Winter erneut mit einer starken Infektionswelle bei Säuglingen und Kleinkindern. Grund dafür sei die in der Corona-Pandemie entstandene Immunitätslücke.

„Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Lücke in der Gesamtbevölkerung in kürzester Zeit wieder schließt. Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern, die durch die pandemischen Präventionsmaßnahmen in einer sehr intensiven Phase der Immunsystementwicklung beeinflusst wurden, werden die Auswirkungen anhalten“, sagte Nicole Töpfner, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden, am Rande des 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Leipzig.

Das Immunsystem durchläuft wichtige Lernprozesse

In den ersten Lebensjahren, so Töpfner, lerne der Mensch nicht nur das Greifen, Sprechen oder Laufen. Auch das Immunsystem durchlaufe wichtige Prozesse. „Es lernt mit vielen Erregern umzugehen und diese abzuwehren“, so die Ärztin. Da Säuglinge und Kleinkinder in den vergangenen Jahren unter anderem durch Kita- und Schulschließungen diese Möglichkeit nur eingeschränkt gehabt hätten, steckten sie sich jetzt umso häufiger an. Lesen Sie auch:Grippe und Co. - So stärken Sie Ihr Immunsystem

Schon in der Wintersaison 2022/23 kam es bei Kindern und Jugendlichen zu einem massiven Anstieg von Infektionen durch bekannte virale und bakterielle Infektionserreger. Respiratorische Viren (RSV), aber auch A-Streptokokken sorgten für schwere Krankheitsverläufe und überfüllte Kinderstationen in den Krankenhäusern. Es gab viele Atemwegserkrankungen, Mandelentzündungen, Scharlach-Fälle.

Laut einer DAK-Sonderanalyse hatten sich im letzten Quartal 2022 die Behandlungen von Neugeborenen und Säuglingen mit einer RSV-Infektion im Vergleich zum Winter 2018 verfünffacht. „Das bedeutet hochgerechnet für die gesamte Bundesrepublik, dass allein Ende 2022 etwa 17.000 Neugeborene und Säuglinge nur aufgrund dieses einen Virus mit schweren Atemwegsinfektionen im Krankenhaus und mit einem Anstieg um das 350-fache auf den Intensivstationen behandelt wurden“, so Töpfner.

Kinderärzte fordern bundesweites Erfassungssystem

Um für die nächste Infektionswelle vorbereitet zu sein, forderte Töpfner eine bessere Unterstützung der ambulanten, stationären und intensivmedizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. „Es wird ausreichend qualifiziertes Personal zur Versorgung von Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern benötigt, denn auch in der Kinder- und Jugendmedizin gibt es einen erheblichen Fachkräftemangel“, so die Ärztin.

Darüber hinaus müssten nicht nur Antibiotika in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, diese müssten ebenso wie fiebersenkende Präparate auch in kindergerechten Darreichungsformen, etwa als Saft, vorrätig sein. Darüber hinaus plädierte Nicole Töpfner für ein bundesweites Erfassungssystem für Infektionskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen.