Berlin. Interessieren sich Menschen mehr für die Insassen des Tauchboots Titan als für ertrunkene Geflüchtete? Eine Expertin gibt Antworten.

Die Suche nach dem vermissten Tauchboot Titan läuft weiter – auch wenn die Wahrscheinlichkeit, die fünf Passagiere lebendig zu finden, inzwischen gegen Null geht. Seit das U-Boot am Sonntag auf dem Weg zum Wrack des berühmten Luxusdampfers Titanic verschwunden ist, wurde viel darüber gesprochen und berichtet. Die Anteilnahme ist groß.

Doch ist das angesichts des tragischen Unglücks auf dem Mittelmeer, bei dem erst in der vergangenen Woche mehrere Hundert Menschen starben, angebracht? Und: Beschäftigt die Menschen in Deutschland das Schicksal von fünf Insassen eines vermissten Tauchboots wirklich mehr als das von Hunderten Geflüchteten, die auf dem Mittelmeer ertrunken sind? Diese Fragen stellen sich aktuell viele Menschen in den sozialen Medien – und äußern Unverständnis.

Psychologin: Empathie mit Titan-Insassen nachvollziehbar

So schreibt etwa die WDR-Moderatorin Isabel Schayani auf Twitter: "Ich kann nicht verstehen, dass das verschollene U-Boot Titan großes öffentliches Interesse erregt und das Kentern des Schiffes mit 500 bis 700 Menschen an Bord, darunter auch Kinder, vor der Küste von Griechenland schon ad Acta gelegt zu sein scheint." Ein anderer Nutzer postete: "Das U-Boot-Unglück am Wrack der "Titanic" ist bitter. Wir alle hoffen noch immer, dass die Opfer lebend geborgen werden! Aber sprachlos macht mich: Wie sehr dieses Unglück unsere Öffentlichkeit umtreibt und wie egal uns gleichzeitig täglich ertrinkende Menschen im Mittelmeer sind."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Haben wir also mehr Mitleid mit den Passagieren des Tauchboots als mit den verstorbenen Geflüchteten? Aus Sicht der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Grit Hein sind solche Gedankengänge durchaus nachvollziehbar. "Mitgefühl und Empathie nimmt mit gefühlter Nähe oder auch Ähnlichkeit zu einer betroffenen Person zu", sagt die Forscherin vom Uniklinikum Würzburg. Sie könne sich vorstellen, dass es sich für viele tatsächlich näher anfühle, zur Titanic in einem U-Boot aufzubrechen, als seine Heimat wegen Krieg und Hunger zu verlassen. Für andere Menschen, die selbst einen Hintergrund als Geflüchtete haben, sei das sicherlich anders.

Lesen Sie auch: Schiff voller Menschen kenterte – Detail macht fassungslos

Titan: U-Boot-Unglück weckt durch Einzigartigkeit Aufmerksamkeit

Für die Psychologin Hein liegt das große öffentliche Interesse an dem verschwunden Tauchboot allerdings auch in der Berichterstattung begründet: "In dem Moment, wenn ich Informationen über eine Person habe, erzeugt das dieses Gefühl des Kennens, Sichnäherstehens. Und das erhöht das Mitgefühl." Das ließe sich genausogut über entsprechende Berichterstattung über Geflüchtete erzeugen, die aber so meist nicht passiere, ist Hein überzeugt.

Zugleich sagte die Forscherin: "Es gibt sicherlich das Phänomen, dass Mitgefühl sich abnutzt, und das hat teilweise natürlich auch seinen Grund." Wenn sich schlechte Nachrichten häuften und man bei jeder Meldung im selben Umfang auch emotional mitgehen würde, würde das zum emotionalen "Burnout" führen. "Im Vergleich dazu ist diese U-Boot-Situation schon recht einzigartig, weckt erstmal die Aufmerksamkeit, und ist etwas, womit wir uns zunächst auch intensiver auseinandersetzen."

Lesen Sie auch: Was ein Deutscher an Bord der Titan erlebte

Situation von Titan-Insassen leichter vorstellbar

Es sei einfacher, sich in die Situation zu versetzen, in einem engen Raum eingesperrt zu sein. "Sei es auch nur in einem Fahrstuhl." Im Gegensatz dazu sei es wahrscheinlich für viele von uns schwer vorstellbar, wie es ist, auf der Flucht zu sein und sich mit Kind und Hab und Gut auf eine Reise zu begeben. "Das ist etwas, was für viele von uns wesentlich abstrakter ist, als dieses Eingesperrt sein auf engem Raum." Auch das könne diese zunächst stärkere empathische Reaktion gegenüber diesen fünf Männern im U-Boot erklären. (csr/dpa)

Lesen Sie auch: Titanic – Tragisches Detail zu Ehefrau von Oceangate-Gründer