Berlin. Die Corona-Inzidenz steigt wieder – auch bei Risikogruppen. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach fordert daher eine neue Impfkampagne.

Die vierte Corona-Welle nimmt in diesen Herbsttagen deutlich an Fahrt auf, während Deutschland beim Impfen weitgehend auf der Stelle tritt. Am Wochenende lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuansteckungen erstmals seit Mai wieder im dreistelligen Bereich. Am Montag vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) dann einen erneut angestiegenen Wert von 110 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Die Tendenz bei den Ansteckungen geht klar nach oben. 6573 Neuinfektionen wurden am Montag registriert.

Betroffen sind fast alle Altersgruppen. Besonders beunruhigend ist aber, dass es auch bei den Älteren und Hochbetagten erneut zu mehr Ansteckungen kommt. Bei den über 90-Jährigen war die Inzidenz laut RKI zuletzt wieder auf 64 angestiegen, bei den 85- bis 89-Jährigen auf 46. Zum Vergleich: Mitte Juni lag der Wert bei 1. Viele in diesem Alter sowie zahlreiche Menschen mit schweren Vorerkrankungen und Immunschwäche gehören zur Corona-Hochrisikogruppe und konnten sich deshalb als Erstes gegen Covid-19 impfen lassen.

Boostern läuft in Deutschland schleppend

Doch liegt die Verabreichung der zweiten Dosis in vielen Fällen bereits mehr als ein halbes Jahr zurück. Damit schwindet die Schutzwirkung des Vakzins gegen schwere Krankheitsverläufe. Eine dritte Impfdosis zur Auffrischung vor den kritischen Wintermonaten ist in vielen Fällen angezeigt, um Impfdurchbrüche und Erkrankungen zu verhindern.

Aber ähnlich wie das Impfen insgesamt kommt auch das sogenannte Boostern nur schleppend voran. Gerade einmal 1,6 Millionen Menschen haben nach neuen RKI-Zahlen bislang eine Auffrischungsimpfung gegen Corona erhalten. Die Jüngeren sind in Deutschland – anders als im Impf-Musterland Israel – ohnehin noch nicht an der Reihe. Für sie gibt es keine Empfehlung für eine Corona-Drittimpfung. Sie müssen warten.

Lauterbach: "Neue Impfkampagne unbedingt nötig"

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert angesichts der aktuellen Entwicklung erheblich mehr Tempo, um besonders Risikogruppen mit einer Auffrischungsimpfungen für die kommende Zeit besser zu schützen. "In Anbetracht der steigenden Fallzahlen auch bei Älteren ist eine neue Impfkampagne zur Nutzung der Booster-Impfungen in dieser Altersgruppe jetzt unbedingt nötig", sagte Lauterbach unserer Redaktion.

Auch die Bundesregierung forderte Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen am Montag auf, das Angebot einer Auffrischungsimpfung wahrzunehmen. Die Impfung sei der beste Schutz, um "gut durch Herbst und Winter zu kommen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Wie viele Menschen in Deutschland brauchen eine Booster-Impfung?

Folge man der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), "müssten jetzt sehr schnell die 4,1 Millionen Personen, die bis zum 31. März zwei Impfungen erhalten haben, eine dritte Impfung bekommen", sagte der Vorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dominik von Stillfried, unserer Redaktion. Derzeit erhielten rund 250.000 Menschen pro Woche die dritte Impfung. "Um die Stiko-Empfehlung umzusetzen, müssten es bis Ende Dezember rund doppelt so viele sein", betonte von Stillfried.

Seit wann werden Booster-Impfungen empfohlen? Und für wen?

Die Stiko empfiehlt seit 7. Oktober grundsätzlich eine Auffrischungsimpfung für alle ab 70 Jahren. Dasselbe gilt für Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen sowie für Pflegekräfte und das Personal in medizinischen Einrichtungen mit direktem Patientenkontakt. Zuvor hatte es eine entsprechende Empfehlung nur für Menschen mit geschwächtem Immunsystem gegeben. Für alle ab 12 Jahren gibt es derzeit nur eine Stiko-Empfehlung für eine Erst- und Zweitimpfung.

"Drittimpfungen müssen jetzt so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden, die aktuellen Corona-Zahlen sind erschreckend", sagte Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow unserer Redaktion. Ähnlich wie Lauterbach forderte auch sie, für die dritte Impfung müsse "genauso geworben werden wie weiterhin auch für die erste und zweite".

Der Präsident der Vereinigung der Notfallmediziner (Divi), Gernot Marx, sagte unserer Redaktion mit Blick auf die Kliniken, durch eine Drittimpfung des Personals seien vulnerable Patientengruppen besser geschützt und die Ansteckungsgefahr geringer. "Entsprechend messen wir der Booster-Impfung einen sehr wichtigen Part in der Bekämpfung der Pandemie bei", sagte Marx.

Wo werden die Auffrischungsimpfungen in Deutschland vorgenommen?

Hauptanlaufpunkt sind die niedergelassenen Haus- und Fachärzte. In den Praxen wurden laut RKI-Statistik bisher die meisten Booster-Impfungen vorgenommen – rund zwei Drittel. Rund ein Drittel waren es in Impfzentren, Krankenhäusern oder über mobile Teams. Bei Betriebsärzten wurden indes nur wenige Tausend Corona-Auffrischungsimpfungen vorgenommen. Wer den dritten Corona-Piks plant, vereinbart einen Termin. Etliche Hausärzte kommen auch direkt auf ihre Patienten zu.

Wie bisher ist es Ärztinnen und Ärzten in Einzelfällen nach eigenem Ermessen erlaubt, auch Personen Drittimpfungen zu verabreichen, für die es keine Stiko-Empfehlung gibt. An die Frist von sechs Monaten nach der letzten Corona-Impfdosis hält sich aber eine Mehrheit der Ärzteschaft beim Boostern. Ausreichend Impfstoff ist inzwischen vorhanden. Wie bei den ersten beiden Dosen werden die Kosten auch für die Drittimpfung von den Krankenkassen übernommen. Weiterlesen: Dritte Corona-Impfung: Das sind die Nebenwirkungen

Wie kommt das Impfen generell voran?

Langsam. Während Mitte September noch an mehreren Tagen in Folge jeweils mehr als 100.000 Menschen eine Erst- oder Zweitimpfung erhielten, waren es beispielsweise Ende vergangener Woche nur knapp 38.000 Erst- und rund 60.000 Zweitdosen. Aktuell sind 66,2 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, 69,1 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten. Für Herdenimmunität wäre eine Quote von mindestens 85 Prozent erforderlich.

Warum läuft es mit den Booster-Impfungen in Israel besser?

Israel hatte bereits Ende Juli als erstes Land weltweit begonnen, dritte Impfungen zu vergeben, auch an jüngere Altersgruppen. Inzwischen sind um die 40 Prozent der Bevölkerung ein drittes Mal geimpft. Die zunächst erneut zunehmende Zahl an Neuansteckungen wurde damit ausgebremst. Seit Anfang Oktober gilt zudem der sogenannte Grüne Pass, der den Zugang zum öffentlichen Leben erleichtert, nur noch bis zu sechs Monate nach der zweiten Impfung. Danach ist eine dritte Spritze als Auffrischung notwendig. Oder der Pass wird ungültig.