Berlin. Eine Studie aus Schweden bestätigt: Die Wirksamkeit der Vakzine sinkt – vor allem bei Älteren und Vorerkrankten. Was bedeutet das?

  • Neue Studien bestätigen, dass nach einer Corona-Impfung der Impfschutz mit der Zeit wieder sinkt
  • Aber nicht alle Impfstoffe und alle Geimpften sind gleichmäßig von Impfdurchbrüchen betroffen
  • Bei welchen Personen die Wirksamkeit besonders schnell sinkt

Mit Christian Drosten und Hendrick Streeck widersprechen zwei der bekanntesten deutschen Virologen der Einschätzung, Deutschland befände sich in einer „Pandemie der Ungeimpften“. Grund dafür ist nicht allein die steigende Zahl der Impfdurchbrüche, also von Covid-19-Infektionen bei doppelt Geimpften, sondern auch deren Beitrag zur weiteren Verbreitung des Virus. Ein Überblick.

Wie wird die Gefährdung vollständig Geimpfter derzeit eingeschätzt?

Das Robert Koch-Institut (RKI) bewertet sie als „moderat, aber ansteigend“. Bei den hohen Sieben-Tage-Inzidenzen werde es in allen Lebenssituationen wahrscheinlicher, mit infizierten Menschen in Kontakte zu kommen, heißt es im aktuellen Wochenbericht.

Warum sind Kontakte mit Infizierten auch für Geimpfte gefährlich?

„Das Virus hat sich verändert. Wir haben jetzt eine erhöhte Übertragungskraft“, sagt Christian Drosten. Der Virologe der Berliner Charité geht davon aus, dass schon zwei bis drei Monate nach Eintreten des vollen Impfschutzes eine Durchbruchinfektion möglich ist. „Diejenigen, die eine hohe Infektionsdosis abbekommen, die kriegen auch im Durchbruch manchmal neurologische Symptome wie etwa länger anhaltenden Geschmacksverlust“, so Drosten im NDR-Podcast „Coronavirus Update“.

Die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion mit Symptomen ist für Geimpfte trotzdem deutlich niedriger als für Ungeimpfte. Für geimpfte über 60-Jährige ist das Risiko nach Angaben der Gesellschaft für Immunologie drei- bis viermal niedriger als für ungeimpfte. Das Risiko, mit einem schweren Verlauf in ein Krankenhaus zu kommen, sei bis zu siebenmal niedriger, twitterte Generalsekretär Carsten Watzl.

Was sagen die Impfdurchbrüche über die Wirksamkeit der Vakzine?

175.188 „wahrscheinliche Impfdurchbrüche“ hat das RKI von Februar bis November identifiziert. Der Anteil vollständig Geimpfter an der Gesamtzahl gemeldeter Infektionen ist in den letzten Wochen deutlich gestiegen. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen etwa lag er in der Zeit vom 11. Oktober bis 7. November bei über 60 Prozent. Aber: „Dieser Anteil muss in Zusammenschau mit der erreichten hohen Impfquote in dieser Altersgruppe interpretiert werden“, relativiert das RKI. Hier seien mittlerweile etwa 85 Prozent geimpft.

Gibt es Erkenntnisse zur Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe?

117.367 Impfdurchbrüche betrafen Menschen nach einer abgeschlossenen Impfserie mit Biontech/Pfizer (etwa 0,27 Prozent aller Zweitimpfungen mit diesem Vakzin), 21.499 mit Johnson & Johnson (0,64 Prozent), 14.091 mit Astrazeneca (0,41 Prozent), 8676 mit Moderna (0,17 Prozent) und 10.172 mit einer Kreuzimpfung, also einer Kombination aus Astrazeneca und Biontech oder Astrazeneca und Moderna.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine noch nicht von Experten begutachtete Kohortenstudie aus Schweden, die landesweite Daten ausgewertet hat. Die Kohorte umfasste 1,7 Millionen Personen, darunter doppelt mit Astrazeneca, Biontech und Moderna Geimpfte, Kreuzgeimpfte sowie mehr als 800.000 Ungeimpfte. Zwischen 12. Januar und 4. Oktober wurden symptomatische Infektionen und schwere Covid-Verläufe erfasst.

„Die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen eine symptomatische Infektion nimmt im Laufe der Zeit in allen Gruppen allmählich ab, je nach Art des Impfstoffes jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit“, beschreiben die Wissenschaftler um Peter Nordström und Marcel Ballin von der Universität Umea ihre Ergebnisse. Deutlicher und schneller sei die Wirksamkeit bei Männern sowie bei älteren Personen gesunken.

„Gegen schwere Erkrankungen scheinen die Vakzine über neun Monate gut zu wirken, jedoch nicht bei Älteren und auch nicht bei Vorerkrankten.“ Laut der Studie nahm die Wirksamkeit des Vakzins von Biontech/Pfizer gegen symptomatische Infektionen von 92 Prozent an Tag 15 bis 30 nach der zweiten Dosis auf 47 Prozent nach sechs Monaten ab. Danach sank die Wirksamkeit laut den Angaben weiter. „Für den mRNA-Impfstoff von Moderna nahm die Wirksamkeit etwas langsamer ab und wurde ab Tag 181 auf 59 Prozent geschätzt“, schreiben die Studienautoren.

Die Wirksamkeit des Vektorimpfstoffs von Astrazeneca sei „im Allgemeinen geringer gewesen und hat schneller abgenommen als bei den mRNA-Vakzinen“. Eine Kreuzimpfung, so die Studie, konnte die Wirksamkeit ab Tag 121 wieder auf 66 Prozent erhöhen.

In Deutschland wird eine Impf­effektivität durch den Vergleich des Anteils vollständig Geimpfter unter den Covid-19-Fällen mit dem Anteil vollständig Geimpfter in der Gesamtbevölkerung geschätzt. Dies geschieht mithilfe der sogenannten Screening-Methode nach Farrington. Die so errechnete Effektivität liegt in Deutschland für die Zeit vom 17. Oktober bis 7. November laut RKI für die Altersgruppe der über 18-Jährigen bei 72 Prozent, acht Prozentpunkte weniger als für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 7. November.

Übertragen Geimpfte das Virus?

Die nachlassende Wirksamkeit der Corona-Impfung geht Immunologe Carsten Watzl zufolge mit einem Absinken des Antikörperspiegels einher, vor allem auf den Schleimhäuten in Nase, Rachen und Lunge. Der direkte Abwehrkampf des menschlichen Immunsystems nach Kontakt mit dem Virus falle geringer aus. In der Folge kann es zu symptomatischen Erkrankungen kommen.

Bei einer Durchbruchinfektion mit der vorherrschenden Delta-Variante können laut einer im Fachblatt „The Lancet Infectious Disease“ erschienenen Studie aus England in Hals und Rachen kurzfristig ähnlich hohe Viruslasten entstehen wie bei Ungeimpften. Zwei Impfungen allein seien nicht genug, um die Verbreitung von Delta zu stoppen, schreibt Hauptautor Ajit Lalvani vom Imperial College London.

Und Co-Autorin Anika Singanayagam ergänzte: „Kontinuierliche Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung wie das Tragen von Masken, Abstand halten und Tests bleiben wichtig, auch bei geimpften Menschen.“

Booster: Was bringt die Booster-Impfung?

Nach Auffassung der Gesellschaft für Immunologie deuten die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse darauf hin, dass es eine Grundimmunisierung gegen Corona erst nach einer dritten Impfung gibt, der sogenannten Booster-Impfung. Diese stelle die nachlassende Wirksamkeit nicht nur wieder her, sondern erhöhe den Antikörperspiegel deutlich, erklärte Generalsekretär Carsten Watzl im Interview mit dem „Spiegel“. Darüber hinaus könne die dritte Dosis dazu beitragen, dass Geimpfte das Virus nicht mehr so schnell weitergeben. (mit dpa)