Viele Menschen lassen sich nicht impfen. Das liegt nicht an ihrer Herkunft, Impfskepsis ist Ergebnis verfehlter Informationskampagnen.

Die Bundesregierung verfehlt ihre Ziele. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist mit einer ersten großen Ansage gescheitert. 80 Prozent der Menschen in Deutschland wollte er gegen das Coronavirus geimpft haben – bis Ende Januar. Daraus wurde nichts, die Quote liegt bei gut 75 Prozent. Wer sich Ziele steckt, sollte realistisch bleiben. Gerade wenn er neu im Amt ist: so wie Scholz.

Womit der neue Kanzler offenbar nicht gerechnet hat: Wie hartnäckig sich Vorbehalte und Ängste, aber auch Mythen und Falschinformationen über die Covid-19-Schutzimpfung halten. Sie mache unfruchtbar, wirke nicht, verursache schwere Nebenwirkungen. Trotz vieler Millionen Euro, die der Staat in die Werbung für die Impfungen investiert hat, halten sich diese Gerüchte. Die Menschen sind noch immer nicht gut genug aufgeklärt. Lesen Sie dazu: Corona-Pandemie: Der schwere Weg zur hohen Impfquote

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Das gilt auch für Menschen mit Migrationsgeschichte, für Ausländer und Geflüchtete. Die Politik war zu Beginn der Impfkampagne schnell mit „mobilen Teams“ in Altenheimen unterwegs – „niedrigschwellig“ sollten die Angebote für die Impfung sein. Doch der Staat ignorierte zu lange, dass nicht nur Ältere und Erkrankte mehr Hilfe benötigen. Die Politik scheute sich, offen über Vorbehalte auch unter Migranten zu sprechen. Lesen Sie auch: So häufig treten Impfschäden nach Corona-Impfung auf

In der Corona-Krise ist die bundesdeutsche Gesellschaft zunehmend unsolidarischer geworden. Das abendliche Klatschen von den Balkonen für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern ist längst verhallt. Viele sind coronamüde, wollen einen Alltag zurück, denken mehr an sich selbst als an andere. Das führt dazu, dass Abgehängte noch weiter zurückbleiben.

Fehlende Sprachkenntnisse erschweren den Zugang zur Impfung

Menschen mit Migrationsgeschichte, das zeigen Studien, gehören bei der Gesundheitsversorgung in Deutschland eher zu den Benachteiligten. Nicht nur beim Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung, sondern auch beim Wissen über medizinische Vorsorge sind die Hürden höher.

Das liegt zum einen an den Menschen selbst. Vielen fehlen Sprachkenntnisse, auch nach Jahren in Deutschland. Manche ziehen sich lieber in ihre „Community“ zurück. Dort, wo der Staat ohnehin kaum durchdringt. Dort konsumieren Menschen aus Zuwandererfamilien eher Medien ihrer Heimat. In der Pandemie, wo vieles schon in Deutschland von Ort zu Ort verschieden ist, hinterlässt das Wissenslücken. Lesen Sie hier:Argumente gegen Impfung – und wie Sie sie entkräften

Gravierender wirkt jedoch die soziale Spaltung in Deutschland, die durch die Pandemie verschärft wird. Wer sich impfen lässt oder nicht – das ist meist keine Frage der Herkunft, sondern vor allem Bildung und sozialer Status entscheiden darüber, wie gut ein Mensch durch das Gesundheitssystem navigiert. Wie sicher er Anlaufstellen kennt. Wie schnell er Zugang bekommt.

Impf-Trucks in sozial benachteiligten Stadtteilen

Darüber hat Deutschland zu wenig geredet. In den Debatten der Parlamente ging es viel zu oft um „Booster für die Wirtschaft“ und viel zu wenig um das soziale Gefälle, das Corona forciert hat. Nur mit Geld, Ideen und Personal lässt sich eine Spaltung verhindern.

Einzelne Beispiele fallen positiv auf: Das klamme Bremen hat viele Ressourcen in die Hand genommen und ist mit „Impf-Trucks“ und „Aufklärungsteams“ in sozial benachteiligte Stadtteile gefahren. Die Stadt macht keine Impfkampagne für Migranten – sondern mit ihnen. Mit den Moscheegemeinden und Sportvereinen.

Das Ergebnis ist stark: Nirgends ist die Impfquote höher. Am niedrigsten ist sie übrigens in den Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen – dort, wo der Anteil an Ausländern und Migranten gering ist. Aufklärungsteams, das zeigt die Statistik, braucht es auch im Erzgebirge.