Washington. In den USA breitet sich die Delta-Variante weiter aus. Besonders in Missouri ist die Corona-Lage ernst. Hier sind nur wenige geimpft.

„Wir dürfen nicht nachlässig werden.” Wenn Joe Biden die Amerikaner in diesen Tagen energischer als sonst dazu aufruft, sich unbedingt gegen Corona impfen zu lassen, dann denkt der Präsident vor allem an den Südwesten des Bundesstaates Missouri.

Rund um Springfield hat das durch die Aggressivität der Delta-Variante bedingte Wiederaufflammen der Virus-Epidemie nach dem Feiertagswochenende zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli zu Szenen geführt, die die USA lange hinter sich glaubten.

Corona: Patienten sind jünger und erkranken in kurzer Zeit schwer

Im Mercy Springfield Hospital gingen die Beatmungsgeräte aus, um schwer erkrankte Patienten vor dem Tod zu bewahren. Krankenhaus-Manager Erik Fredrikson musste in benachbarten Spitälern und bis nach St. Louis und Oklahoma City betteln gehen. Gleichzeitig wurde in Windeseile eine neue Isolierstation für Corona-Kranke eingerichtet und die Suche nach reisewilligen Krankenschwestern in anderen Teilen des Landes massiv verstärkt.

Allein über die Feiertage meldete Fredrikson einen Anstieg der Patientenzahlen um 30 Prozent. Hervorstechendes Merkmal: Die Patienten seien jünger und in kurzer Zeit schwer erkrankt. Im benachbarten CoxHealth-Hopital wurde die Lage so ernst, dass zwölf Corona-Patienten in andere Städte verlegt werden mussten, weil das Personal nicht mehr ausreichte, um eine ordnungsgemäße Versorgung zu gewährleisten,

Missouri als Alarmsignal für den Rest der USA

Kein Missverständnis: Springfield/Missouri ist nach den Zahlen der US-Seuchenschutzbehörde CDC gemeinsam mit einigen wenigen Regionen in Arkansas, Texas und Nevada zurzeit der absolute Ausreißer in den USA, die sich insgesamt auf einem guten Weg befinden. Aber der dort verzeichnete Anstieg von Corona-Patienten um 50 Prozent binnen 14 Tagen gilt in der Wissenschaftszene als Alarmsignal mit Breitenwirkung.

Eric Feigl-Ding, ein renommierter Epidemiologe aus Washington, prophezeit eine flächendeckende Ausbreitung der Seuche durch die Delta-Variante, wenn das CDC nicht binnen eines Monats radikal gegensteuert. Schon heute entfielen über 50 Prozent der Neuinfektionen auf Delta. Heißt für Feigl-Ding: Maskentragen wieder zur Pflicht machen. Öffentliche Großereignisse einschränken. Und vor allem die Impfmüdigkeit aktiv bekämpfen.

Impfquote liegt teilweise nur bei zehn Prozent

Feigl-Ding stützt sich dabei auf belegte Fakten: Menschen, die beide Impfspritzen der Hersteller Moderna und Pfizer erhalten haben, sind zu deutlich über 90 Prozent auch gegen die Delta-Variante geschützt, sagt Bidens Chefberater Dr. Anthony Fauci. Bei nur einer Impfdosis sinkt der Schutz auf 37 Prozent. Laut einer israelischen Forschergruppe könnte die Wirksamkeit bei dem Vakzin von Biontech/Pfizer jedoch auch nach zwei Impfungen deutlich niedriger sein.

Doch wie dem auch sei: Allein, in Missouri sind nach aktuellem Stand nur 39 Prozent der Erwachsenen komplett geimpft. In etlichen Landbezirken liegt die Impfquote teilweise nur bei zehn Prozent.

Angesichts der Tatsache, dass die Delta-Variante bereits in zehn Sekunden durch passives Einatmen übertragen werden kann, so die Gesundheitsbehörde CDC, liege das Horror-Szenario auf der Hand: Delta könnte überall da für einen Flächenbrand sorgen, wo die Impfquote noch weit von dem 70-Prozent-Ziel entfernt ist, das Präsident Biden für diesen Monat angepeilt hatte.

Das Impf-Tempo geht zurück

Die Realität sieht trüber aus. Laut CDC sind mittlerweile knapp 58 Prozent der erwachsenen Amerikaner ab 18 durchgeimpft. Aber das Impf-Tempo hat sich enorm verlangsamt - auf 900.000 pro Tag. Nach Angaben des Weißen Hauses sind bei einer Gesamtbevölkerung von 330 Millionen rund 156 Millionen Menschen vollständig geimpft, 180 Millionen haben mindestens eine Dosis bekommen. Dabei fällt ein enormes Gefälle auf.

Im Bundesstaat Vermont sind 77 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft ist, in Mississippi nicht mal 38 Prozent. Rund 1500 Landkreise vor allem im Süd/Südosten und Mittleren Westen weisen Impfquoten von unter 30 Prozent auf. Dabei fällt eine politische Komponente ins Gewicht: In Bundesstaaten, die Donald Trump bei der Wahl im vergangenen November gewonnen hat, ist die Impfzurückhaltung entschieden größer als dort, wo Biden als Sieger hervorging. Missouri ging 2020 klar an Trump.