Berlin. Muskeln und Kraft – das war sein Leben. Dann kam die Depression. Der Influencer Fabian Nießl spricht über seinen schweren Weg.

  • Mit über 200.000 Followern gehört Fabian Nießl zu den bekannteres Fitness-Influencern in Deutschland
  • Nießl hat ein Buch über seine Depression veröffentlicht
  • Darin schreibt er nicht nur über die Krankheit, sondern auch darüber, dass er immer perfekt sein wollte
  • Der Fitness-Influencer gibt tiefe Einblicke

Er war immer nur perfekt. Beste Noten. Bester Body: Fabian Nießl, tätowierter Kraftsportler, eine Art Macho-Mann, der nur eins auszustrahlen schien: Lebensfreude. Doch hinter der Fassade spielten sich Seelenqualen ab. Nießl war depressiv. Jetzt spricht er offen über seine Krankheit, die er lange verdrängt hatte.

„Ich sacke auf dem Bett zusammen. Mein Herz pocht wie verrückt.“ Lange habe er es nicht wahrhaben wollen. „Aber nun ist es soweit: Ich bin ein Psycho und sitz in der Klapse. Good job, Nießl, good Job“. Bewegende einführende Worte im Buch von Nießl (28) „Starker Mann ganz schwach“, (Becker Joest Volk Verlag).

Influencer über Depressionen: Traurigkeit, die nicht weggeht

Wer mit ihm redet, spürt die Fallhöhe sofort: Da ist einer, der weiß, wie es sich anfühlt, zu den coolen Typen zu zählen: tätowierter Athlet. Durchtrainiert bis in die letzte Muskelfaser. Aber da ist auch einer, der die Abstürze kennt, die Traurigkeit, die nicht weggeht, sondern sich in eine massive Depression manifestiert. Ein erfolgreicher Fitnesstrainer, der anfängt zu weinen, weil er das Leben nicht bewältigen kann – solche Männer gibt es doch gar nicht, so in etwa hat er selbst gedacht.

Sein Körper, seine muskulöse Erscheinung vermittelten ein Bild von ihm, das mit ihm selbst nichts mehr zu tun hatte. Er, der Perfektionist, der schon in der Schule und auf dem Fußballplatz immer der Beste sein wollte, und es auch war, hatte sich versteckt hinter der perfekten Kulisse. Als einer der Ersten aus der Influencer-Szene spricht Nießl bei Instagram ganz offen über seine schwierigen Erfahrungen. Über 200.000 Menschen folgen ihm inzwischen.

Das Buch über Nießles Heilung: „Starker Mann ganz schwach“
Das Buch über Nießles Heilung: „Starker Mann ganz schwach“ © Becker Joest Volk Verlag | Becker Joest Volk Verlag

Gewinner straucheln nie“ – so in etwa sollte sein Motto fürs Leben heißen. Doch auf einmal gelten die besten Klausuren nichts mehr. Das Ziel, immer der Beste zu sein, erscheint ihm plötzlich absurd. „Ich war von klein auf sehr, sehr ehrgeizig“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Und weiß gar nicht so recht, warum das so war. So viele Therapiesitzungen hat er gemacht. Es lässt sich nicht so einfach beantworten.

Ehrgeiz durch Erziehung: Wer leistet, wird gelobt

Wer Bester sein will, der wird von den Eltern geliebt. Das war auch bei ihm so. „Ich war von klein auf sehr, sehr ehrgeizig. Aber es war nie so, dass meine Eltern mir das Gefühl gaben, nur dann stolz auf mich zu sein, wenn ich gute Leistung erbringe. Ganz und gar nicht. Ich wollte auch deshalb Leistungen bringen, weil ich sah, dass es meine Eltern stolz machte. Das war einfach ein gutes Gefühl. Ich habe einfach gern über Leistungen gesprochen.“

Noch heute versteht er das nicht wirklich. Warum er nicht eher Hilfe gesucht hat. „Mit meiner Mama hätte ich ja über alles reden können. Sie war nicht so, dass es ihr nur darum ging, dass ich der Beste war.“ Als er ihr dann von seinen Ängsten und Panikattacken erzählt habe, „hatte sie auch sofort totales Verständnis. Sie hatte mit dem Thema Depressionen bereits Berührung gehabt. Ihr Papa litt darunter und hat sich das Leben genommen.“ Allerdings gab es jemanden in der Familie, bei dem das anders aussah: sein Vater.

„Für meinen Papa war das schwerer. Er kann nicht gut über Gefühle sprechen. Er sagte dann so Sachen wie ,Junge, reiß dich zusammen’ und ging aus dem Zimmer. Erst hat es mich irritiert. Viel später habe ich gemerkt, dass es nicht oberflächlich war, sondern Selbstschutz. Er konnte seinen Sohn nicht leiden sehen, hatte allerdings große Probleme diese Gefühle offen zu zeigen.“

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Influencer Nießl: Die Krankheit begann, als er 18 Jahre alt war

Die guten Noten, der Sport – super gerne Kraftsport – waren lange seine Richtschnur. Er war einfach der Superjunge, ihm flogen die Sympathien zu. Doch das Rezept ging nicht auf. In der Phase des Erwachsenwerdens, bei der Suche nach dem, was man in Zukunft machen will, hat seine Seele gestreikt. Sein Muster des ständigen Höher-Weiter-Besser hat die Psyche zu sehr gestresst.

Mit neuer Kraft: Fabian Nießl
Mit neuer Kraft: Fabian Nießl © Sandra Nießl | Sandra Nießl

„Als ich 18 Jahre alt war, begann diese Krankheit. Kurz vor dem Abi. Da überfiel mich eine Traurigkeit, die mich einfach nicht mehr losließ. Ich habe immer nur geweint. Ich hatte Selbstzweifel und richtige Zukunftsängste. Es war nicht das Normale, was man vielleicht in dem Alter so hat, gerade, wenn ein Lebensabschnitt vorbeigeht und ein neuer anfängt. Ich konnte diese Traurigkeit einfach nicht abstellen.“

Die Hilflosigkeit ist noch jetzt zu spüren, auch wenn Nießl sich bemüht, ganz sachlich über das zu reden, was ihn über Jahre aus der Bahn geworfen hatte und ihm jede Freude auf die Zukunft, auf die Freude, endlich erwachsen zu sein, genommen hat. „Die Ängste und auch die Panik wurden so massiv, dass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Ich wohnte damals nicht mehr zuhause. Aber meine Mama hat mich wieder zurückgeholt. Ich habe dann in meinem Elternhaus den ganzen Tag nur geschlafen. Die Psyche hat sich irgendwie durch den Schlaf geschützt, glaube ich.“

Depression: Drama im familiären Umfeld wird zum Weckruf

Als es dann zu einem Drama in seinem familiären Umfeld kommt, als sein Großvater sich wegen Depressionen das Leben nimmt, „war es für mich wie ein Weckruf.“ Das sollte ihm auf keinen Fall passieren. Und als ihn dann sein Hausarzt fragte, ob er schon mal den Gedanken hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen, „konnte ich das nicht mit Nein beantworten. Da war ich 25 Jahre alt. Und bin sofort am gleichen Tag noch in die Klinik.“

Es war ein Hilfeschrei und auch Hoffnung, dass es endlich besser würde. Doch das, was er erlebte, war erst einmal das krasse Gegenteil. „Die Erfahrung in der Psychiatrie war zunächst absurd. Der Arzt hat mich belächelt. Der dachte wohl, ich verarsch den. So mit Tattoo und durchtrainiert. Das kannte er wohl nicht. Meiner Mama hat richtig das Kinn gezittert, so außer sich war sie vor Wut.“ Aber es wurde besser.

Fitnesstrainer Nießl: Das haben ihm die Therapien gebracht

„Die Therapie aber hat mir dann aber sehr viel gebracht. Vor allem die intensiven Gespräche. Mir ist vieles klar geworden. Vorher war ich eigentlich der Meister im Verdrängen.“ Doch noch etwas habe er gelernt: „Dass mir kein anderer helfen kann – außer ich mir selbst.“

Das Wichtigste aber – ihm sei endlich sehr deutlich bewusst geworden, „dass ich nicht perfekt sein muss, um zu bestehen. Ich habe gelernt, dass man nicht immer der Beste sein muss. Dabei war ich von klein auf ein Perfektionist.“

Psychotherapie: Heilung hat auch etwas mit Selbstliebe zu tun

Heute gehe es ihm gut. Was es genau war, was ihm geholfen hat? „Auch wenn es schon wie ein Klischee klingt, aber mir hat vor allem das positive Denken geholfen. Klingt lapidar, nach Floskeln, aber sich zu sagen, dass man dankbar ist für das, was man hat, das kam mir früher nicht in den Sinn. Ich hatte ja auch meist alles. Jetzt ging es eher um die kleinen Dinge. Um einen schönen Sonnenaufgang oder dass der Kaffee so gut schmeckte.“

Es mutet ein wenig seltsam an, wenn der junge Mann mit den so bewusst definierten Muskeln, sagt: „Ich konnte mich früher doch überhaupt nicht leiden.“ Die Heilung hatte auch etwas mit Selbstliebe zu tun.

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Depression überwunden – Nießl arbeitet weiter als Influencer

Er hatte und hat einen Körper, bei dem manch anderer vor Neid erblasst. Doch er war nie zufrieden. Immer suchte er das Haar in der Suppe. „Jetzt aber kann ich vor dem Spiegel stehen und mich gut finden – auch wenn ich abends vorher eine fette Pizza gegessen hab. Heute kann ich endlich das Leben genießen, das konnte ich früher nie.“

Durch die Depression und durch die Erfahrungen auf dem Weg heraus aus der Dunkelheit, habe er außerdem gelernt, „dass es Wichtigeres in der Welt gibt als meinen Körperfettanteil. Ich habe die Prioritäten geändert. Ich bin jetzt glücklich, gesund zu sein. Ein voller Kühlschrank, ein Dach über dem Kopf – besser geht es doch nicht.“

Seit zwei Jahren etwa sei er über den Berg. Es geht ihm gut, auch wenn er immer noch auf der Hut ist und auf sich aufpassen muss. „Hauptberuflich bin ich jetzt Blogger und Influencer. Also selbstständig, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Da muss ich auch aufpassen, dass ich nicht zu viel mache. Obwohl ich das ja alles wahnsinnig gerne tu. Ich kann zur Entspannung abends einfach mal stumpf vor dem Fernseher sitzen und mir eine Serie anschauen. Ich höre jetzt einfach auf meinen Körper.“

Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder gg Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

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