Berlin. Die Zahl der Grippe-Fällen steigt deutlich. Das Risiko von Doppelinfektionen wächst. Wer sich jetzt gegen Grippe impfen lassen sollte.

Die Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) verheißen nichts Gutes: Nicht nur die Zahl der Corona-Infektionen steigt deutlich, sondern auch die der Grippe- und grippeähnlichen Erkrankungen. In der Woche vom 10. bis 16. Oktober zum Beispiel hatten laut RKI etwa 6,1 Millionen Menschen eine neu aufgetretene akute Atemwegserkrankung. Die Rate liegt damit „deutlich über den Werten sowohl der pandemischen als auch vorpandemischen Vorjahre“. Ob das der Anfang einer zuletzt oft beschriebenen Doppelwelle ist, ist Experten zufolge aber unklar. In der Woche zuvor etwa waren die Zahlen noch deutlich höher gewesen.

Wie ist die Grippe-Situation?

„Wir sehen anhand unserer Surveillance-Systeme aktuell, dass sich Atemwegsviren weitgehend ungebremst in der Bevölkerung verbreiten können – und damit auch Influenzaviren“, sagt Ralf Dürrwald, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Influenza am RKI. Die Daten zu interpretieren, sei aber schwierig. „Bei Anzeichen einer akuten Atemwegsinfektion wird ein Test auf Covid-19 und, je nach Symptomatik und Grunderkrankung, auch auf Influenza empfohlen. Deshalb werden wahrscheinlich Influenza-Fälle erkannt und tauchen in den Meldedaten auf, die in den vergangenen vorpandemischen Jahren um diese Zeit einfach nicht erfasst wurden“, so Dürrwald.

„Zwei Dinge müssen uns bei der Bewertung der Lage zu denken geben“, sagt Prof. Stephan Ludwig, Direktor am Institut für Molekulare Virologie der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. „Zum einen zeigt die Vergangenheit, dass auf Jahre mit schwächeren Grippewellen meist wieder eine stärkere Grippewelle folgt.“ Zum anderen lasse eine Grippewelle auf der Südhalbkugel in Australien aufhorchen. „Meist erreichen uns die Erreger von dort in dem bei uns folgenden Winter.“

Lesen Sie auch: Corona-Experte: Kreuzung von Influenza und Vogelgrippe droht

Für Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Groningen (Niederlande) sind die Daten aus Australien allerdings nicht eindeutig. „Die Grippewelle in Australien begann zwar ungewöhnlich früh und zeigte einen sehr steilen Anstieg, aber dann waren die Zahlen relativ schnell wieder rückläufig“, so Huckriede. Insgesamt werde die Grippewelle durch die australischen Behörden als gering bis moderat eingestuft.

In Australien waren vor allem Kinder und Jugendliche betroffen. „Über die vergangenen zwei Jahre haben die Kinder nur eingeschränkten Kontakt untereinander gehabt. Durch die im Rahmen der Corona-Pandemie notwendigen Kontaktbeschränkungen fehlt unserem Immunsystem das natürliche Training, das es braucht, um eine Immunität aufbauen zu können“, sagt Prof. Markus Rose, Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie und Allergologie am Olgahospital des Klinikums Stuttgart. Das mache sich besonders bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar.

Auch interessant:Nach Corona-Wellen: Werden wir jetzt häufiger krank?

Mit Blick auf die Daten aus Australien könnte also auch in Deutschland eine Grippewelle in den jüngeren Altersklassen drohen. „Allein im Stuttgarter Olgahospital, der Kinderklinik des Klinikums Stuttgart, liegen zurzeit sieben Kinder mit Lungeninfektionen, die durch Influenzaviren verursacht wurden“, sagt Rose. „Im letzten Jahr hatten wir mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus eine ähnliche Situation. Auch da waren die hohen Infektionszahlen aus Australien ein Vorbote für das, was uns erwartet hat.“

Kann ich mich mit Corona- und Grippeviren gleichzeitig infizieren?

Ja. „Da sich Corona- und Influenzaviren unabhängig voneinander ausbreiten, kann es gerade bei der derzeit wieder ansteigenden Corona-Inzidenz auch zu Doppelinfektionen kommen, die besonders gefährlich sind“, sagt Stephan Ludwig.

Wie kann ich mich schützen?

Gegen beide Erreger kann man sich impfen lassen. „Obwohl zur Passform der aktuellen Grippe-Impfstoffe noch nicht viel bekannt ist, kann man davon ausgehen, dass sie aufgrund der guten Vorhersagen einen guten Schutz vermitteln“, sagt Stephan Ludwig.

Es sei wichtig, dass Menschen über 60, Schwangere, Vorerkrankte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens gegen Grippe und Corona geimpft werden, teilten EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, WHO-Regionaldirektor Hans Kluge und die Direktorin der EU-Gesundheitsbehörde ECDC, Andrea Ammon mit.

Auch die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Menschen ab 60 Jahren, Schwangeren ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel sowie Menschen mit Grunderkrankungen auch eine Grippe-Impfung. Für diese Personen könne eine Infektion eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung bedeuten. Eine Grippeschutzimpfung empfiehlt die Stiko zudem Menschen, die einem erhöhten beruflichen Risiko ausgesetzt sind, medizinischem Personal etwa sowie Pflegepersonen von Risikopatienten.

Lesen Sie auch: Corona: Wer sich jetzt noch mal impfen lassen sollte

Zu den Grundleiden, die schwere Grippe-Verläufe begünstigen können, zählt das RKI unter anderem chronische Krankheiten der Atemwege, Leber-, Nieren-, Herz-, Kreislauf- oder chronische neurologische Krankheiten sowie Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Darüber hinaus gilt: „Auch die anderen Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona, wie Maskentragen und Abstandhalten wirken auch gegen die Ausbreitung der Grippe“, sagt Stephan Ludwig.

Ist die Grippe-Impfung auch für Kinder ratsam?

„Säuglinge können und sollten durch die Impfung der Mutter in der Schwangerschaft geschützt sein, bei größeren Kindern sind die Krankheitsfolgen meist gering - deshalb empfiehlt die Stiko hier keine Impfung“, sagt Prof. Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie am Uniklinikum Regensburg. Er führt aber einen sozialen Grund an, über den sich Familien Gedanken machen können: Eine Impfung bei Kindern könne Erwachsene schützen, „zum Beispiel vorerkrankte Großeltern“.

„Da Kinder eine wichtige Risikogruppe für die echte Virusgrippe sind, wäre es besser, grundsätzlich alle Kinder von sechs Monaten bis fünf Jahren gegen Grippe impfen zu lassen, wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt“, sagt Markus Rose. Ein klares Argument für eine Impfung sei zudem, dass Kinder eine erhebliche Rolle bei der Übertragung der Viren spielen, deutlich mehr als zum Beispiel bei Corona.

Wann sollte ich mich impfen lassen?

Jetzt auch möglich: Grippeschutzimpfung in der Apotheke.
Jetzt auch möglich: Grippeschutzimpfung in der Apotheke. © dpa | David Inderlied

Jährliche Grippewellen haben in der Vergangenheit meist nach der Jahreswende begonnen. Bis sich der Infektionsschutz nach der Impfung aufgebaut hat, dauert es zehn bis 14 Tage. Um auf Nummer sicherzugehen, rät das RKI, sich ab Oktober, spätestens bis Mitte Dezember impfen zu lassen. „Die Covid-19- und Grippeimpfung können auch gleichzeitig beim selben Termin durchgeführt werden“, sagt Ralf Dürrwald.

Auch laut Stiko-Empfehlung ist die simultane Impfung möglich. Jedoch könnten Impfreaktionen häufiger als bei der getrennten Gabe auftreten. Die Injektion sollte jeweils an unterschiedlichen Gliedmaßen erfolgen.

Nicht impfen lassen sollte man sich, wenn man gerade an Corona leidet oder an einer anderen „fieberhaften Erkrankung oder schweren akuten Infektion“. Ob es eine Infektion, ob mit Corona oder einem anderen Erreger, in der Vergangenheit gab, spielt keine Rolle.

Wo kann ich mich impfen lassen?

Jeder Arzt oder jede Ärztin kann eine Grippeimpfung grundsätzlich verabreichen. Erster Ansprechpartner ist in vielen Fällen der Hausarzt. Zusätzlich bieten vereinzelt Arbeitgeber ihren Mitarbeitern an, sich die Injektion von Betriebsärzten setzen zu lassen. Seit diesem Sommer dürfen erstmals auch Apotheken Grippeschutzimpfungen anbieten. Und zwar gesetzlich versicherten Personen , die das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Die Stiko rät Personen ab 60 Jahren zum Hochdosis-Impfstoff, der gegenüber anderen Influenza-Impfstoffen die vierfache Antigenmenge enthält. Für Kinder ist zudem ein Lebendimpfstoff aus abgeschwächten Influenzaviren zugelassen, der als Nasenspray gegeben werden kann.

Wer zahlt die Kosten?

Die Kosten einer Grippeimpfung werden bei Personen, für die die Stiko sie empfiehlt, gemäß Schutzimpfungs-Richtlinie in voller Höhe von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen. Teilweise übernehmen die Kassen die Impfkosten auch für weitere Patientengruppen oder sie steuern einen Anteil bei. Im Zweifel ruft man bei der eigenen Kasse an und fragt nach. Muss man für den Pieks letztlich selbst aufkommen, berechnen Arztpraxen je nach genutztem Impfstoff und Umfang der Beratung etwa 30 bis 60 Euro.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.