Berlin. Die Temperaturen steigen und die Infektionszahlen sinken trotz Lockerungen. Erwarten uns Corona-freie Sommer wie sonst bei der Grippe?

In den meisten Bundesländern gelten seit Anfang April kaum noch Corona-Schutzmaßnahmen. Trotzdem sinkt die Zahl der Neuinfektionen immer weiter. Draußen wird es wärmer und mehr Menschen verbringen ihre Freizeit außerhalb der eigenen vier Wände. Verhindert der Saison-Effekt eine Corona-Welle im Sommer wie sonst bei der Grippe?

Schon in den beiden vergangenen Sommern wurde viel Hoffnung auf einen sogenannten saisonalen Effekt gesetzt. Veränderte Wetterbedingungen und weniger Aufenthalte in Innenräumen machen es dem Virus schwerer sich auszubreiten.

Influenza-Viren zirkulieren während der Grippe-Saison

Bei der Grippe ist die Saisonalität gut erforscht. Die Viren zirkulieren auf der nördlichen Halbkugel hauptsächlich von Anfang Oktober bis Mitte Mai. Das Robert-Koch Institut spricht von einer Grippe-Welle, wenn Influenza-Viren in 20 Prozent aller Proben von Menschen mit Grippe-Symptomen zu finden sind.

Die Grippe-Wellen fallen von Jahr zu Jahr unterschiedlich stark aus. Da Influenza-Viren stark mutieren, kann sich in jedem Jahr ein neue Virusvariante durchsetzen. Im ungünstigen Fall ist eine neuer Grippestamm krankmachender oder der saisonale Impfstoff wirkt schlecht. Das führt zu mehr Toten wie in der schweren Grippe-Saison 2017/2018.

Die beiden Corona-Winter haben aber gezeigt: Die saisonalen Muster können durchbrochen werden. Die Schutzmaßnahmen gegen Corona haben auch dazu geführt, dass die beiden vergangenen Grippe-Wellen ausgefallen sind. Durch eingeschränkte Kontakte in Innenräumen und durch das Tragen von Masken, hatten die Grippe-Viren weniger Gelegenheiten sich von einem Menschen auf den anderen zu übertragen.

Corona-Zahlen sinken aufgrund des "Sättigungseffekts"

Wie sehr das Coronavirus auf Saison-Effekte reagiert, ist für Forschende noch nicht endgültig beantwortet. Zumindest in der aktuellen Situation hat sich die Verbreitung des Coronavirus nicht durch die jetzt steigenden Temperaturen verlangsamt, sagt Ulf Dittmer. Er ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen.

„Die momentan sinkenden Neuinfektionen haben mit einem Sättigungseffekt zu tun. Eine Saisonalität von Omikron spielt gerade kaum eine Rolle.“ Da viele Menschen sich in den vergangenen Wochen infiziert hätten, seien viele potenzielle Wirte zumindest vorrübergehend geschützt.

Corona-Virus im Sommer: Wie stark ist der Saison-Effekt?

Doch auch wenn der Wetter-Effekt gerade keine große Rolle spielt, bedeutet es nicht, dass es ihn nicht gibt. Es sei nur noch zu früh, um die Saisonalität zu beurteilen, sagt Hajo Zeeb. Der Professor für Epidemiologie forscht am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie-BIPS.

„Wenn man sich die vorläufigen Studien anschaut, dann erkennt man im Rückblick auf die Zahlen der vergangenen zwei Jahren, dass es so etwas wie einen Saison-Effekt gibt in Abhängigkeit von Luftfeuchtigkeit und Wärme.“ Man könne aber noch nicht klar zuordnen, um welchen Zeitraum es sich handele. Der Effekt könne den Sommer oder Winter betreffen oder auch nur einige Monate andauern.

Wie stark sich die Wetterbedingungen auswirken, ist schwer zu beziffern. Einerseits überleben die Viren in warmer Umgebung und unter hoher Sonneneinstrahlung kürzer als in der trockenen Winterluft. Andererseits wirken geändertes Verhalten, Impfungen und durchgemachte Infektionen ebenfalls bremsend.

17,5 Prozent aller Übertragungen des Coronavirus können beispielsweise laut einer Studie in der Fachzeitschrift Nature Communications mit Wetter-Effekten erklärt werden. Die Forschenden hatten die Auswirkungen von UV-Strahlung, Außentemperatur und Luftfeuchtigkeit auf Infektionen in den Vereinigten Staaten für das Jahr 2020 untersucht.

Neue Corona-Varianten verringern den Saison-Effekt

Damit ohne weitere Schutzmaßnahmen eine Infektionswelle abebbt, muss die Reproduktionsrate beziehungsweise der R-Wert unter eins sinken. Dann steckt ein infizierter Mensch durchschnittlich weniger als eine weitere Person an. „Je höher der R-Wert eines Virus desto mehr geht der saisonale Effekt verloren,“ sagt Dittmer.

Der Saison-Effekt senke zwar den R-Wert, er führe allerdings nicht wie in vorherigen Wellen dazu, dass dieser verlässlich unter eins sinkt. Wir könnten also auch im Sommer regional steigende Infektionszahlen haben, so wie bereits im vergangenen August. Denn Delta war bereits etwa 60 Prozent ansteckender als die Vorgängervariante Alpha.

Wie Corona in eine Endemie übergeht

Das Coronavirus könnte daher in seiner endemischen Phase sich zwar an einem Sommer- und Winter-Rhythmus orientieren. Doch im Gegensatz zur Grippe wird man nach dem aktuellen Stand der Forschung mit irregulären Sommerwellen rechnen müssen. Durch Impfungen und durch Infektionen erworbene Immunität habe sich laut Zeeb die Situation aber entscheidend gebessert.

Man gehe jetzt in eine Endemie über, bei der Saison-Effekte und neu entstehende Virus-Varianten die großen Unbekannten seien. Ein nächster wichtiger Schritt wären zudem angepasste Impfstoffe und bessere Medikamente. Man sei dann zwar in der unerfreulichen Situation einen zusätzlichen endemischen Virus zu haben, doch der wäre zumindest beherrschbar, sagt Zeeb.

Auch der Virologe Ulf Dittmer ist optimistisch: „Ich denke die allermeisten Immunitätslücken haben sich durch viele Infektionen bereits geschlossen und über den Sommer werden sie sich wohl weiter schließen.“ Damit rückt die Endemie ein Stück näher. Das heißt, das Coronavirus wird sich auf einem gleichbleibenden Niveau dauerhaft in der Bevölkerung verbreiten. In welchen Abständen dann Infektionswellen auftreten werden, ist noch ungewiss.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.