Jessen. Seine Direktorin hielt den geistig behinderten Jungen gefangen. Max' Eltern setzen sich trotz Vorfall für seine Schul-Rückkehr ein.

Die Kiste, in der Max minutenlang festsaß, ist kunterbunt und steht auf dem Schulhof. In der großen Pause, zwischen 9.15 Uhr und 9.45 Uhr, wurde der Zehnjährige darin eingesperrt – von der Direktorin seiner Schule. Der Vorfall ist Gesprächsthema in vielen Lehrerzimmern in Deutschland. Und der anscheinend traumatisierte, mit Trisomie 21 lebende Junge, kämpft seitdem um seine Rückkehr in den Alltag.

Seit jenem Zwischenfall ist Max nicht mehr der Gleiche, sagen seine Eltern nun im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Bestrafungsaktion habe ihm massiv zugesetzt: „Er nässt wieder ein, ist sehr nervös und schläft wieder bei uns im Bett“, berichtet seine Mutter Mandy S., die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Außerdem befinde Max sich seit voriger Woche in „intensiver therapeutischer Betreuung“.

Jessener Förderschule: Polizeibeamte befreien Zehnjährigen aus der Kiste

Alles begann vor rund zwei Monaten: Max, der eine Förderschule in Jessen – einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt – besucht, war auf dem Pausenhof mit anderen Kindern aneinandergeraten. Er habe „wiederholt Mitschüler attackiert und bespuckt“, rekonstruierte das zuständige Landesschulamt später.

DSC_4133.jpg

Der Junge reagierte nicht auf Ermahnungen der Lehrer, da fasste die Direktorin ihn an der Hand, führte ihn weg – und sperrte ihn in die bunte Holzkiste.

Erst nachdem Max’ Eltern die Polizei alarmiert hatten, konnte das Kind von Beamten befreit werden – nach angeblich 25 Minuten Gefangenschaft. Zwei Mitschülerinnen hatten die Aktion beobachtet und in einer Sprachnachricht ihren Müttern davon berichtet. Diese hatten Max’ Mutter und Stiefvater Björn alarmiert, die sofort in die Schule fuhren. „Ich kriege das Bild nicht mehr aus meinem Kopf“, sagt der 39-Jährige.

Downsyndrom: Max’ Verhalten ist auf sein Krankheitsbild zurückzuführen

„Grinsend“ habe die Direktorin auf der knapp ein Meter mal 70 mal 70 Zentimeter großen Kiste gesessen und verhindert, dass der Junge wieder herauskam. Die Schulleiterin, eine 33-jährige Frau, ist seit dem Polizeieinsatz krankgeschrieben. Sie äußert sich nicht zu dem Vorfall. Ob ihr ein Prozess droht, steht laut der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau noch nicht fest.

In diese Kiste sperrte die Lehrerin den kleinen Max.
In diese Kiste sperrte die Lehrerin den kleinen Max. © wirkämpfenfürkinder.tv; Reto Klar

Wie kann es so weit kommen, dass sich eine Pädagogin nicht anders zu helfen weiß, als ein geistig behindertes Kind einzusperren? Klar ist: Max ist für sein Umfeld eine Herausforderung. Er ist mitunter laut, greift andere Kinder an. „Max kann nicht sprechen und teilt sich durch Verhaltensweisen wie Spucken mit. Das ist auf sein Krankheitsbild zurückzuführen“, erklärt sein Ziehvater.

Förderschulkinder werden als "Problemschüler" bezeichnet

Hunderttausende Mädchen und Jungen in Deutschland werden als „Problemschüler“ bezeichnet. Zahlen der Kultusministerkonferenz sollen zeigen, dass zahlreiche Kinder die „normalen“ schulischen Erwartungen nicht erfüllen: 571.672 Schülerinnen und Schüler hatten demnach im Schuljahr 2019/20 einen offiziell festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf.

Manche sollen Lehrer an ihre pädagogischen Grenzen bringen. „Einige Kinder verhalten sich so auffällig, dass Unterrichten kaum möglich ist“, heißt es vom Verband Bildung und Erziehung.

Nach Vorfall an Förderschule "Lebensweg": Kind ist schwer traumatisiert

Max’ Mutter sieht im Schulalltag des Jungen die Ursache für seine Gefühlsausbrüche. Niemand habe sich zuständig gefühlt, Max stehe außerdem in der Schule seit Sommer vergangenen Jahres unter Druck: „Unser Junge wurde zwischen den Klassen und Pädagogen rumgereicht und da reingestopft, wo er gerade hingepasst hat“, sagt die 40-Jährige.

Seit dem Erlebnis habe er immer wieder Wutanfälle – weil er schwer traumatisiert sei. Seit kurzem geht er deshalb gar nicht mehr zur Schule. „Wir haben eine halbe Stunde nach Schulstart einen Anruf erhalten, dass wir Max bitte abholen sollen“, erzählt Mandy S.

Die Patchworkfamilie will dafür sorgen, dass Max doch wieder in den Unterricht darf. „Wir lassen uns nicht abschieben“, sagt die Mutter. Denn trotz des Vorfalls sei die Schule für Max ein gewohntes Umfeld – und das sei für den Zehnjährigen wichtig.

Max das Kind mit Down-Syndrom, das in einer Schule in Jessen Sachsen Anhalt von seiner Schul-Direktorin in eine Kiste gesperrt wurde, mit seiner Mutter Mandy und dem Stiefvater Björn am 8. Februar 2022 zuhause in Annaburg. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services
Max das Kind mit Down-Syndrom, das in einer Schule in Jessen Sachsen Anhalt von seiner Schul-Direktorin in eine Kiste gesperrt wurde, mit seiner Mutter Mandy und dem Stiefvater Björn am 8. Februar 2022 zuhause in Annaburg. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Doch Mandy S. stellt Forderungen, damit die Situation nicht noch einmal eskaliert: „Max kehrt nur zurück, solange die Schulleiterin nicht an die Schule zurückkommt.“ Die Lehrerin, hofft sie, solle „nie mehr in die Nähe eines Kindes kommen“.