Berlin/München. Söders Vize will sich weiterhin nicht gegen Corona impfen lassen. Das Netz wirft ihm wegen eines Interviews Desinformation vor.

  • Markus Söders Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger lehnt weiter die Corona-Impfung ab
  • In einem Interview schildert er jetzt seine Gründe und löst mit seinen Aussagen Empörung aus
  • Es ist nicht das erste Mal, dass Aiwanger mit seiner Ablehnung der Impfung gegen Covid-19 Schlagzeilen macht

Bis auf Weiteres habe er sich immer noch nicht um einen Impftermin gekümmert, erklärte Hubert Aiwanger am Mittwochmorgen in einem Interview im Deutschlandfunk. Der Vorsitzende der Freien Wähler und bayerische Vize-Ministerpräsident ist im Kabinett von Markus Söder (CSU) der einzige Politiker, der noch keine Corona-Impfung erhalten hat.

Das liegt aber nicht daran, dass es zu wenig Impftermine gibt oder Aiwanger schlicht noch keinen passenden gefunden hat. Der bayerische Politiker lehnt die Impfung mit einem der zugelassenen Corona-Impfstoffe zum jetzigen Zeitpunkt für sich ab. Er sei "noch nicht überzeugt" von der Impfung, sagte Aiwanger.

Aiwanger lehnt Impfung zum aktuellen Zeitpunkt weiter ab

Vom Moderator gefragt, auf was er denn noch warte, erwiderte der Politiker, dass er abwarten wolle, "bis sich die Lage noch besser geklärt habe" und er selbst überzeugt sei, dass es für ihn "ganz konkret persönlich" besser sei, geimpft zu sein.

Außerdem müsse man eher darüber sprechen, dass der Impfschutz nach ein paar Monaten abnehme und auch Geimpfte wohl in Zukunft nicht darum herumkommen würden, sich bei bestimmten Anlässen testen zu lassen, so Aiwanger. Die Diskussion über die richtige Teststrategie sei wichtiger als "Jagd auf diejenigen aufzunehmen, die noch nicht geimpft sind", erklärte der bayerische Wirtschaftsminister.

Debatte in sozialen Netzwerken: Verbreitet Aiwanger Falschinformationen?

Es ist nicht das erste Mal, dass Aiwanger mit seiner Ablehnung der Impfung gegen Covid-19 Schlagzeilen macht. Bereits im Juni sorgte seine Haltung auf einer Pressekonferenz mit CSU-Chef Markus Söder für Wirbel.

Allerdings äußerte sich der Landeswirtschaftsminister damals relativ verhalten – im jüngsten Interview mit dem Deutschlandfunk mischte er allerdings auch einige Aussagen bei, die klar widerlegbar oder zumindest inhaltlich bedenklich sein dürften.

Im Netz werfen viele Aiwanger schon Desinformation vor. Im Gespräch erklärte der Politiker beispielsweise, dass er "kein Geheimnis daraus machen müsse, dass man in seinem persönlichen Umfeld immer mehr von Fällen hört, die massive Impf-Nebenwirkungen auszuhalten haben". Da würde ihm das ein oder andere Mal "die Spucke wegbleiben", so Aiwanger.

Söder-Vize Aiwanger: Ungenaue Aussagen zu Nebenwirkungen bei Corona-Impfung

Er führte nicht näher aus, was er mit Impf-Nebenwirkungen meinte. Dass sich im Umfeld des Politikers tatsächlich die oft sehr selten auftretenden gefährlichen Nebenwirkungen häufen, ist unwahrscheinlich. Ob Aiwanger statt Nebenwirkungen eventuell die Impfreaktionen meinte, also das kurzfristige Auftreten von Anzeichen der Immunabwehr wie Fieber oder Kopfschmerzen, ist unklar. Diese klingen meist nach wenigen Tagen wieder ab.

Laut Aiwanger sollte man jedenfalls "auch darüber reden", um "ein Gesamtbild zu kriegen". Dass zahlreiche Studien und auch die jetzigen Meldungen beim für Impfstoff-Sicherheit zuständigen Paul-Ehrlich-Institut davon zeugen, dass die Corona-Vakzine im Gesamtbild sehr gut verträglich sind, beachtete der bayerische Politiker nicht.

Als Beispiel dafür, dass er von den aktuell zugelassenen Impfstoffen noch nicht überzeugt sei, brachte er die Diskussionen um den Impfstoff von Astrazeneca an. "Ich bin zwar kein Mediziner, aber", so begann Aiwanger sein Statement. Der Impfstoff sei uns "ans Bein gebunden worden, nach dem Motto, wer daran kritisiert ist ein Impf-Kritiker", sagte der bayerische Politiker im Deutschlandfunk. Plötzlich habe man die Empfehlung zurückziehen müssen, nun sei das Vakzin ein Ladenhüter.

Dass die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den Impfstoff weiterhin für sicher hält und lediglich mit einem Warnhinweis für bestimmte Personen versehen hat, ließ Aiwanger unter den Tisch fallen. Auch nach der Abänderung der Empfehlung der Ständigen Impfkommission in Deutschland konnten sich Menschen unter 60 Jahren nach ärztlicher Aufklärung weiter damit impfen lassen.

Corona-Impfung: Aiwanger zweifelt wissenschaftliche Erkenntnisse an

Der Freie-Wähler-Chef setzte aber noch eins drauf: Er gehe davon aus, dass die aktuellen Impfstoffe in einiger Zeit noch anders bewertet werden dürfen. "Wissenschaft und Politik müssen die Menschen ohne Druck überzeugen", sagte Aiwanger im Interview, und zwar "mit guten Fakten".

An seinen Aussagen lässt sich vor allem ablesen, dass er wohl nicht glaubt, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen und Bewertungen zu der Corona-Impfung nach bestem Gewissen erfolgt sind. So überlegte Aiwanger in dem Interview auch, weshalb die kurzfristigen Immunreaktionen nach der Impfung bei Älteren so schwach seien und bei Jüngeren oft stärker. Der Politiker spielte auf eine unterschiedliche Wirkung der Impfstoffe an. Dass junge Menschen einfach aufgrund ihres ausgeprägten, aktiveren Immunsystems in der Regel viel intensiver auf die Impfung reagieren als Ältere, ließ er außen vor.

Im weiteren Verlauf des Interviews stellte der Politiker dann zur Debatte, warum Nachimpfungen erforderlich seien und welche Nebenwirkungen diese dann womöglich haben könnten. Auch fragte er sich, ob die Auffrischungsimpfungen nötig sein würden: "Muss das kommen oder muss das nicht kommen?" Laut führenden Experten sind sogenannten Booster-Impfungen gegen das Coronavirus insbesondere bei Älteren und immunsuppressierten Personen unbedingt erforderlich.

Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einer Pressekonferenz im Mai 2021 - im Hintergrund spiegelt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einer Pressekonferenz im Mai 2021 - im Hintergrund spiegelt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). © imago images/Sven Simon | imago images/Sven Simon

Ablehnung der Impfung – Aiwanger gibt Begründung

Das Impfen sei zwar ein wichtiger Baustein im „Gesamtgemenge“ der Corona-Bekämpfung, so Aiwanger. Sich selbst sieht er aber als Galionsfigur derjenigen, die sich der politischen Mitte zugehörig fühlen, aber die Corona-Impfung ablehnten. "Die würden sich dann von der Mitte abwenden und sagen, 'Jetzt ist der Letzte umgefallen, an den wir noch geglaubt haben, dann gehen wir an die politischen Ränder'", so Aiwanger.

Er wolle sich jedenfalls dem öffentlichen Druck nicht beugen, seine Impfung würde die Skeptiker auch nicht zu den Spritzen treiben, glaubte er. Seine Rolle als bayerischer Vizeministerpräsident sei nicht, durch die Impfung Vorbild zu sein: "Die Verantwortung liegt vielleicht nicht darin, alles zu tun, was die Mehrheit an der Stelle fordert und das politische Establishment von mir erwartet."

Auf Twitter kritisierten zahlreiche Nutzer die Äußerungen von Aiwanger. Auch CSU-Politiker zeigten sich entsetzt. Nutzer aus dem Spektrum der Querdenker bejubelten das Interview.

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Aiwanger: Keinen Druck auf Ungeimpfte ausüben

Es gehe darum, bei der Frage, was dem Einzelnen vom Staat aufgezwungen werden dürfe, die rote Linie nicht zu überschreiten, sagte der Parteichef der Freien Wähler im Deutschlandfunk. Die Grenze sei hier die Entscheidung über den eigenen Körper, auf Ungeimpfte dürfe kein Druck ausgeübt werden.

In den sozialen Netzwerken kritisierten viele auch konkret diese Aussage Aiwangers: Wenn es ums Impfen ginge, müsse jeder über den eigenen Körper selbst verfügen dürfen – gehe es aber beispielsweise um die Reproduktionsrechte von Frauen würden die Freien Wähler eine radikal andere Linie verfolgen.

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Aussagen von Aiwanger könnten Koalitionsstreit in Bayern weiter anheizen

Sich selbst will Aiwanger weiterhin mit "Maske, Abstand, Testen" schützen, erklärte er in dem Radio-Gespräch. Schließlich sähe man an Beispielen wie Israel, dass eine Durchimpfung der Bevölkerung nicht vor Ansteckungen schütze – die Hygienemaßnahmen müssten also eh herhalten. Dass man sich zwar weiterhin anstecken kann, die Hospitalisierungen und Todesfälle bei einer hohen Impfquote aber massiv niedriger sind, erwähnte Aiwanger nicht.

Diese neuesten öffentlichen Äußerungen des zweiten Mannes an der Spitze des Freistaats dürften die Furchen in der Landesregierung noch vertiefen. Der Corona-Kurs barg immer wieder Konfliktpotenzial zwischen Ministerpräsident Markus Söder und seinem Vize Aiwanger. Die aktuelle Diskussion über Einschränkungen und Freiheiten für Ungeimpfte beziehungsweise Geimpfte entwickelt sich in Bayern zum Grundsatzstreit in der Koalition.

Aiwanger hatte schon zuvor mit Blick auf Menschen, die sich nicht impfen lassen, vor einer "Apartheidsdiskussion" gewarnt. Söder verurteilte das anschließend scharf: Das seien „verstörende Aussagen“, die für einen stellvertretenden Ministerpräsidenten unangemessen seien, sagte Söder. Aiwanger solle die Wortwahl zurücknehmen und sich dafür entschuldigen, verlangte der Regierungschef.

Söder und Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) drängen darauf, dass Geimpfte künftig weniger Einschränkungen im Alltag haben sollen – damit wollen sie auch die schleppende Impfkampagne in Bayern wieder in Gang bringen. Aiwanger lehnt diese Ungleichbehandlung von Geimpften und negativ Getesteten grundsätzlich ab. Bisher zeichnet sich in dem Konflikt kein Kompromiss ab.