Berlin. Damit Deutschland nicht abgehängt wird, muss das Reformtempo größer werden ‒ und: Die Ampel muss zügig für bessere Stimmung sorgen.

Wenn ein Zahn von Karies befallen wird, spürt man zunächst nur ein erträgliches Ziehen. Nicht ernst genommen, wird daraus bald eine schmerzhafte Angelegenheit. Das Bild lässt sich gut auf die deutsche Wirtschaft übertragen. Der Reformbedarf an vielen Stellen ist lange bekannt und ignoriert, weil die Lage insgesamt ja nicht tiefergehend besorgte. Jetzt ist er da, der Schmerz und das Lamento darüber.

Hohe Energiepreise bedrohen den Industriestandort, Regeln und Normen bremsen Unternehmen aus, fehlende Fachkräfte und Gründer bringen den Mittelstand in Existenznot. Mit hohen Subventionen locken andere Wirtschaftsregionen weltweit Unternehmen an. Das kann man der Bundesregierung zwar nicht vorwerfen, die Suche nach einem Gegenmittel steht allerdings auch in ihrem Aufgabenbuch. Es gibt viel zu tun.

Union setzt die Ampel-Koalition unter Druck

Wirtschafts-Korrespondent Wolfgang Mulke
Wirtschafts-Korrespondent Wolfgang Mulke © ZRB

Mit ihrer Forderung nach einem Sofortprogrammm für die Wirtschaft setzt die Union die Regierung unter Druck. Die einzelnen Punkte zusammengenommen könnten zumindest das Wirtschaftsklima wieder verbessern, vor allem wenn es gelänge, die Strompreise nachhaltig zu senken und den bürokratischen Aufwand der Unternehmen zu vermindern. Für die große Wende werden partielle Verbesserungen allerdings nicht sorgen können. Dazu bedarf es struktureller Reformen und hoher Investitionen. Letztere haben auch insbesondere die von der CDU geführten Bundesregierungen unterlassen. Doch gegenseitige Schuldzuweisungen helfen in der Debatte nicht weiter. Jetzt muss angepackt werden.

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Der Standort braucht ein anhaltendes Krafttraining, um stark zu bleiben. An Übungen fehlt es nicht, auch nicht an nahezu kostenlosen. Dazu zählt etwa eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren oder der Abbau von Dokumentationspflichten. Schwieriger werden die teuren Übungen. So muss sich die Politik dringend eine Strategie für den Wohnungsbau einfallen lassen. Bauen ist mittlerweile so teuer, dass es sich nicht mehr lohnt, weil die notwendigen Mieten danach gar niemand mehr bezahlen kann. Der Bau rutscht absehbar in eine Krise. Zudem ist das dauerhafte Defizit an bezahlbarem Wohnraum sozialer Sprengstoff erster Güte.

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Die Ampel ist zerstritten ‒ und Kanzler Scholz schweigt sich aus

Teuer werden auch die Modernisierung der Infrastruktur und die Digitalisierung des Landes. Doch wenn Deutschland eine führende Wirtschaftsnation bleiben will, ist Anstrengung auf allen Ebenen gefragt. Die Ampel will die Probleme zwar angehen. Doch steht zu befürchten, dass angesichts der ideologischen Verbohrtheit der beteiligten Parteien nicht viel dabei herauskommt. Beispiele dafür liefern Grüne und FDP am Fließband. Während Grünen-Chefin Ricarda Lang vor allem auf den Ausbau der Infrastruktur setzt, singt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner das hohe Lied von Steuersenkungen. Der dritte im Bunde der Koalition, Kanzler Olaf Scholz, schweigt sich aus.

Eine gute Stimmung ist für eine prosperierende Wirtschaft die halbe Miete. Dass die Laune von Unternehmern wie Verbrauchern so schlecht ist, hängt auch mit der Zerstrittenheit und Klientelpolitik der Ampelparteien zusammen. Das ist auch einer der Gründe für den Aufschwung der AfD. Dabei ist der Zuspruch für die Rechten ökonomisch betrachtet nicht zu erklären. Denn deren Programmatik verheißt für die deutsche Wirtschaft nur schlechtes. So soll sich ausgerechnet Deutschland als größter Profiteur der EU von Europa abwenden. Auch eine Abschottung gegenüber Zuwanderung ist Gift für die Suche nach dringend benötigten Arbeitskräften. Das sollte die Wirtschaft den Menschen auch deutlich sagen.