Berlin/Brüssel. Kampagnen in Berlin und der EU für ein Grundeinkommen waren erfolglos. Die Bewegung macht weiter. Gibt eine Partei neue Hoffnung?

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle kämpfen mit politischen Niederlagen. In Berlin scheiterte gerade ein Volksbegehren, das einen staatlich finanzierten Modellversuch zum Grundeinkommen zum Ziel hatte. 3.500 Berlinerinnen und Berliner hätten für drei Jahre ein Grundeinkommen erhalten sollen, die Praxiserfahrungen sollten der Debatte neue Impulse verschaffen. Aber das Volksbegehren als Vorstufe zu einem Volksentscheid unterstützten nur 125.000 Bürger – 175.000 wären notwendig gewesen.

Nicht die einzige Enttäuschung: Zuvor war schon eine maßgeblich von deutschen Organisatoren vorangetriebene europaweite Bürgerinitiative für ein „Bedingungsloses Grundeinkommen in der gesamten EU“ erfolglos geblieben: Wenn eine Million Bürger ihre Unterschrift hinterlegt hätten, dann hätten nach europäischer Rechtslage EU-Kommission und EU-Parlament Stellung zu dem Vorschlag beziehen müssen und gegebenenfalls auch eine Gesetzesinitiative starten sollen. Die Hoffnungen waren groß, zumal die EU-Kommission wegen der Corona-Pandemie die Frist zweimal verlängert hatte. Doch am Ende waren nur 296.365 Unterschriften zusammengekommen, weniger als ein Drittel der geforderten Anzahl.

EU-Initiative zum Grundeinkommen: Deutschland bleibt hinter Erwartungen

Das Quorum wurde auch nur in vier EU-Ländern erreicht, sieben Länder wären notwendig gewesen. In Deutschland wurde die Marke von 70.000 Unterschriften vier Tage vor Fristablauf immerhin noch knapp geschafft, doch hatten die Initiatoren sich viel mehr erhofft und 300.000 deutsche Unterstützer zum Ziel erklärt, weil es hierzulande eine „starke Grundeinkommensbewegung“ gebe. Etwas besser schnitten Italien, Slowenien und Spanien ab. In einer Reihe von Ländern erlebten die Organisatoren jedoch ein desaströses Desinteresse.

Lesen Sie auch: Ein Jahr Grundeinkommen: So hat das Geld Dominic verändert

Selbst in Finnland kamen nur 2805 Unterschriften zusammen, dabei hatten die Finnen doch schon Erfahrung mit einem Modellprojekt gesammelt: 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose erhielten in Finnland zwei Jahre lang statt der Arbeitslosenhilfe ein Grundeinkommen von 560 Euro, steuerfrei, unbürokratisch und ohne Bedingungen.

Das Ergebnis war durchwachsen: Die Teilnehmer hatten zwar weniger gesundheitliche Probleme und Stresssymptome – auf den Beschäftigungsstatus wirkte sich das aber nicht aus. Politische Folgen hatte das Experiment in Finnland nicht.

Links-Partei startet einen Mitgliederentscheid zum Grundeinkommen

Einziger Lichtblick für die Grundeinkommens-Bewegung: In Österreich kamen im Mai ausreichend Unterschriften zusammen, damit sich das Parlament dort mit dem Volksbegehren Grundeinkommen befassen muss. Die Europäische Bürgerinitiative resümiert: „Das ist ein richtig dickes Brett, was noch gebohrt werden muss.“

Aufgeben will die Bewegung nicht. In Berlin wird am 12. September eine breite Allianz aus Organisationen wie Attac, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung oder des Awo-Jugendwerks sowie zahlreicher Einzelpersonen einen neuen Aufruf für ein Grundeinkommen in Deutschland vorlegen.

Hoffnung gibt den Befürwortern hierzulande, dass die Links-Partei am 13. September einen Mitgliederentscheid zur Frage startet, ob das bedingungslose Grundeinkommen ins Parteiprogramm aufgenommen werden soll. Würde eine Mehrheit mit Ja stimmen, wäre die Linke nach den Grünen die zweite Partei im Bundestag mit einer entsprechenden Positionierung.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Die Debatte um das Grundeinkommen ist weltweit, auch in Deutschland, vorangeschritten“, sagt Ronald Blaschke, Mitbegründer des Netzwerks Grundeinkommen. Er spricht von einer „breiten gesellschaftlichen Akzeptanz“ für die Forderung, das Thema habe seinen „Nischenplatz“ verlassen. „Für viele steht nicht mehr die Frage an, ob ein Grundeinkommen eingeführt, sondern wie es ausgestaltet werden soll“, erklärt Blaschke.

Grundeinkommen: Viele Fragen sind noch ungeklärt

Diese Ausgestaltung ist bislang überhaupt nicht geklärt, was möglicherweise ein Grund für die schleppende Unterstützung entsprechender Initiativen ist. Wie hoch das Einkommen wäre, wie der Staat es finanzieren sollte und welche staatlichen Sozialleistungen wie Hartz IV im Gegenzug wegfallen würden, lassen die bisherigen Kampagnen meistens offen. Es gibt eine große Vielfalt an Modellen, keines soll vorzeitig ausgegrenzt werden.

Viele Debatten beziehen sich allerdings auf Berechnungen, nach denen ein existenzsicherndes Grundeinkommen etwa 1200 Euro monatlich betragen müsste. 1200 Euro im Monat für drei Jahre bezahlt beispielsweise auch der Verein „Mein Grundeinkommen“ den Teilnehmern einer Langzeitstudie. Hätten allerdings alle Bürger Anspruch auf eine entsprechende monatliche Zahlung als Grundeinkommen, lägen die Gesamtkosten für den Staat bei über 1 Billion Euro im Jahr etwa ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.