Brüssel/London. Kommt der Brexit? Priorität der Regierung sei jedenfalls, „den Austritt aus der Europäischen Union am 31. Oktober sicherzustellen“.
Großbritannien stehen dramatische Brexit-Tage bevor, vielleicht eine neue Staatskrise, aber Queen Elizabeth II. eröffnet die Woche der Entscheidung mit stoischer Ruhe. Kurz nach zwölf fährt die Königin mit ihrer von sechs weißen Pferden gezogenen, vergoldeten Kutsche vor dem britischen Parlament vor, an ihrer Seite Prinz Charles und dessen Ehefrau Herzogin Camilla.
Drinnen, im Oberhaus, verliest die 93-Jährige wenig später mit ernster Miene die 65. Thronrede ihrer Amtszeit. Keine Routine, der Auftritt ist wegen der Brexit-Turbulenzen brisant. Die Botschaft indes ist klar und offensiv: Priorität der Regierung sei es, „den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Oktober sicherzustellen“. Es ist nicht ihre Rede, die Queen liest nur vor, was Premier Boris Johnson ihr aufgeschrieben hat.
Boris Johnsons versteckte Ansage: Entweder Deal oder Chaos-Brexit
Der nutzt das traditionelle Zeremoniell zur Wiedereröffnung des Parlaments dazu, in der Regierungserklärung Wahlkampf-Botschaften zu verbreiten – und vor allem den Druck auf die EU zu erhöhen: Entweder Deal oder Chaos-Brexit, das ist die versteckte Ansage des Premiers. Eine Verschiebung des Austrittstermins will er nicht akzeptieren.
Johnson verspricht den Bürgern viel: Ein neues Einwanderungsgesetz soll das Ende der Freizügigkeit innerhalb Europas bringen, der EU-Austritt soll Gelder freimachen für Gesundheitsausgaben, Sicherheit und Bildung, Großbritannien solle „ein Meister des weltweiten Freihandels“ werden. Johnson hat aber keine Mehrheit im Parlament. Ohne einen Erfolg bei einer Neuwahl hat er kaum Aussichten, seine Vorhaben umzusetzen.
Showdown am Samstag bei einer Sondersitzung des Parlaments
Geht es nach Johnson, so zwingt er beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag die Regierungschefs zu Zugeständnissen für einen geänderten Austrittsvertrag. Am Samstag käme es bei einer Sondersitzung des Parlaments zum Showdown, dann müssten die Abgeordneten dem Vertrag zustimmen.
Fällt der Deal durch oder käme Johnson mit leeren Händen, müsste der Premier laut Gesetz bei der EU eine Verschiebung des Brexit beantragen.
Der Druck für Johnson ist enorm. Er versichert, eine Einigung mit der EU sei auf dem Weg. In Brüssel aber äußern sich eingeweihte Diplomaten deutlich skeptischer. Seit dem Wochenende bemühen sich Unterhändler zwar in vertraulichen Verhandlungen um eine Einigung in der heiklen Nordirlandfrage, es gibt durchaus Bewegung. Aber eine Lösung, die einen geänderten Austrittsvertrag ermöglichen würde, ist nicht in Sicht.
Gespräch über Doppelstatus Nordirlands – trotz Bedenken
Aus Brüsseler Perspektive müssten sich die Unterhändler bis Mittwoch auf eine Lösung verständigt haben, die der Gipfel dann nur abnickt – direkte Brexit-Verhandlungen mit Johnson lehnen die Regierungschefs ab. Stattdessen wäre die EU bereit, auch nach dem Wochenende weiterzuverhandeln, praktisch bis zur letzten Minute.
Ein Brexit-Sondergipfel am 29. und 30. Oktober ist im Gespräch. Auf keinen Fall, so die Devise, dürfe sich die EU den Schwarzen Peter für ein Scheitern der Verhandlungen zuschieben lassen.
Deshalb wird nun trotz Bedenken über einen Doppelstatus Nordirlands gesprochen, den Johnson ins Spiel gebracht hat, um Grenzkontrollen auf der irischen Insel auch ohne Backstop-Regelung zu vermeiden. Nordirland bliebe im Zollgebiet Großbritanniens, würde in der Praxis aber die Zolltarife der EU anwenden. Gerade in Irland ist die Angst vor dem Brexit groß, weil der Terror wiederkehren könnte.
Botschaft: Was immer passiert, das Königreich wird es überleben
Der Warenverkehr zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs würde so sehr kompliziert. EU-Unterhändler Michel Barnier erklärt, der Plan sei nicht ausreichend ausgearbeitet. Ob Johnson dafür eine Mehrheit im Parlament hätte, ist ungewiss.
Und die Queen? Als sie 2017 die Brexit-Regierungserklärung von Theresa May verlas, hatte sich die Königin noch in den Europafarben Blau und Gelb gekleidet – was als Sympathiebekundung an die EU verstanden wurde. Solche Hinweise blieben diesmal aus.
Auf das Tragen der mit zahlreichen Juwelen besetzten Krone (Imperial State Crown) verzichtet die Queen inzwischen meist. Das prunkvolle Zeremoniell hatte eine schlichtere Botschaft: Was immer passiert, das Königreich wird es überleben.
Katarina Barley rechnet mit Johnson ab
Am 8. Oktober hatte ein Telefongespräch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Boris Johnson für neue Brisanz gesorgt.
Wenige Tage später hatte SPD-Politikerin Katarina Barley mit Johnson abgerechnet: Der Brexit wird „kein gutes Ende nehmen“, prophezeite sie. Immer wieder stand die Frage im Raum, ob Johnson überhaupt eine Einigung erzielen will.