Berlin. Nach ersten Sondierungstagen für ein Ampelbündnis äußern sich die Parteien mit ersten Statements. Um diese Entscheidungen geht es.

Volker Wissing hat die Anzugjacke geschlossen, seine beiden Kollegen von SPD und Grünen tragen das Jackett offen. Zugeknöpft aber geben sich alle drei: Nach zwei Tagen intensiver Sondierungen für ein mögliches Ampelbündnis sprechen die Generalsekretäre am Dienstagnachmittag auf dem Berliner Messegelände unisono vom guten Ton am Verhandlungstisch – halten sich ansonsten aber strikt ans selbst auferlegte Schweigegelübde. Bis zum Freitag wollen die Parteigeneräle jetzt die Ergebnisse bündeln und dann eine erste Bilanz ziehen. „Die Stunde der Wahrheit liegt nun vor uns“, sagt FDP-Mann Wissing.

Seit Montagfrüh haben sich die drei Delegationen mit den großen, strittigen Fragen befasst – darunter Klimaschutz, staatliche Finanzen, Digitalisierung, Europa. Aufgabe der drei Generalsekretäre ist es jetzt, bis zum Ende der Woche ein gemeinsames Papier zu verfassen, das dann Grundlage für die nächste Weichenstellung wird: Empfehlen die Sondierungsteams ihren Parteigremien die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen?

Ampelrunde soll bereits konkrete Kompromisse gefunden haben

Es gehe jetzt um harte Entscheidungen, aber: „Ich bin guter Dinge“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Auch Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zeigt sich optimistisch: „Die Menge an Gemeinsamkeiten ist größer geworden, die Menge an Unterschieden kleiner.“ FDP-Generalsekretär Wissing äußert sich wie beim ersten gemeinsamen Auftritt deutlich distanzierter: Es sei wichtig, jetzt ein gemeinsames Verständnis des Vereinbarten zu erreichen. Vor allem bei den Liberalen ist die Sorge groß, dass am Ende jeder seine eigene Deutung vertritt – und das Projekt Ampel schon im Dissens startet. Lesen Sie auch: Krise in der Parteispitze - Wie geht es mit der CDU weiter?

Über erste Einigungen im Detail will keiner der drei reden, Medienberichte, nach denen bereits einzelne Punkt ausgehandelt sind, werden öffentlich nicht kommentiert. Nach einem Bericht der „Bild“ etwa soll die Ampelrunde bereits konkrete Kompromisse gefunden haben. Danach sollen die Grünen auf ein Tempolimit 130 verzichten, die FDP einem um fünf Jahre vorgezogenen Kohleausstieg zugestimmt haben und alle drei Parteien darüber einig sein, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben.

In der umstrittenen Frage der Komplett-Abschaffung des Solis wollen laut Bericht alle drei das ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Ein klares Dementi gab es dazu am Dienstag nicht. Aber: So oder so ähnlich könnten mögliche Kompromisslinien aussehen, heißt es. Für eine Festlegung im Detail sei es aber noch zu früh.

Steuer- und Finanzpolitik könnte zu Problemen bei Verhandlungen führen

Einer der zentralen Knackpunkte in den Sondierungen sind vor allem Unterschiede in der Steuer- und Finanzpolitik. Wissing hatte am Wochenende die Position der FDP bekräftigt: „Alle Gesprächspartner kennen unsere Forderungen: keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse“. SPD und Grüne dagegen treten unter anderem für Anhebungen beim Spitzensteuersatz ein. Auch interessant: Bundestag: So teuer wird das größte Parlament aller Zeiten

Die Grünen wollen zudem die Schuldenbremse durch eine „Investitionsregel“ ergänzen, die eine Erneuerung der Infrastruktur ermöglichen soll. Die SPD hält eine längerfristige Abkehr von der Regel, die derzeit wegen der Corona-Krise vorübergehend ausgesetzt ist, nicht für möglich. Es wird spekuliert, dass über ein Fondsmodell Gelder für Investitionen freigeschlagen werden könnten.

Eine Einigung der Parteispitzen ist jedoch nichts wert, wenn sie die Parteibasis nicht mitnimmt. Die wichtigste Frage steht deswegen ab Freitag an: Wie groß ist die Rückendeckung in den drei Parteien? Zieht die Basis mit? Gut möglich, dass die Pause zwischen dem Sondierungsende und dem Start der Koalitionsverhandlungen sich bis weit in die nächste Woche hineinzieht.

Grüne wollen kleinen Parteitag entscheiden lassen

Denn: Die Grünen wollen eine formale Rückkoppelung mit der Partei, sie wollen einen kleinen Parteitag einberufen. Noch sei dazu nicht eingeladen worden, sagt Kellner, das sei aber kurzfristig möglich, ein denkbarer Termin wäre Sonntag. Auch die FDP-Seite will sich rückversichern: Je nach Sondierungsergebnis könnte es sein, dass bei den Liberalen ein Okay des Bundesvorstands nicht ausreicht, sondern weitere Teile der Partei eingebunden werden sollen. Lesen Sie auch: Ampel-Koalition: Diese Forderungen stellt der Mittelstand

Der Gedanke dahinter: Je größer die Kröten sind, die Lindner und seine Sondierer schlucken müssten, desto wichtiger wäre ein positives Votum aus der Partei. Nach den Jamaika-Verhandlungen in Schleswig-Holstein hatte die FDP sogar sämtliche Mitglieder per Online-Befragung an Bord geholt.