Neumünster/Berlin . Die Ampel-Regierung will Cannabis legalisieren. Viele feiern es als historisch. Doch das Projekt ist lang und das Timing ungünstig.

Sascha Mielcarek steht zwischen Cannabispflanzen, die Blätter dunkelgrün und schlank, ein milder Geruch von Gras liegt in der warmen Luft in Raum G-06, „Blühbereich B5“.

Rund 1000 Pflanzen stehen in geraden Reihen nebeneinander, ihre Wurzeln in Töpfen, ihre Zweige gestützt von Holzstangen. Zwölf Stunden brennt genau abgemischtes rotes und blaues Licht aus Strahlern an der Decke. In einer Woche ist Ernte.

Cannabis aus industrieller Herstellung

Mielcarek trägt einen weißen Kittel, eine Haube, blaue Gummihandschuhe, sogar um die Schuhe hat er eine Folie gezogen. Keine Keime, keine Pilze sollen in die Halle dringen. Das könnte die Ernte zunichtemachen. Und denen schaden, die bald Mielcareks Marihuana durch ihre Lunge atmen.

Mielcarek ist kein Pflanzenzüchter, eigentlich ist er ein Zahlenmensch, Manager des global agierenden Unternehmens Tilray, das sich auf die Herstellung und Erforschung von medizinischem Cannabis spezialisiert hat. Die Pflanzen enthalten Tetrahydrocannabinol, kurz THC, als Mittel gegen Schmerzen.

Cannabis in lizensierten Geschäften

Neben ihm steht Thorsten Kolisch. Mielcarek hat Kolischs Firma Aphria in Neumünster, nördlich von Hamburg, gekauft. Bald könnten die beiden ihr Geschäft ausbauen. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP will den Konsum von Cannabis legalisieren. „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein“, heißt es im Koalitionsvertrag.

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Die Wucht dieses Projekts ist groß, manche nennen es „historisch“. Es gibt viele Gründe, Konsumenten von Cannabis nicht mehr wie Kriminelle zu behandeln. Doch der Weg zum legalen Joint ist politisch kompliziert – und das Timing ungünstig. „Priorität hat der Kampf gegen die Pandemie“, sagt der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann unserer Redaktion.

Cannabis: "Kein guter Zeitpunkt"

„Aktuell ist es kein guter Zeitpunkt für einen Cannabis-Gesetzesentwurf“, meint auch der SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler. Bisher sind Handel und Anbau abseits des medizinischen Cannabis illegal. Der Schwarzmarkt blüht, in Parks, an Straßenecken in den Großstädten bieten Dealer Stoff an. Vor allem im Internet boomt der Handel, etwa im Messengerdienst Telegram.

Das Hamburger Zollkriminalamt registriert, dass ein Großteil der sichergestellten Cannabisprodukte aus Spanien oder den Niederlanden nach Deutschland kommt.

Cannabis zu Genusszwecken soll legalisiert werden

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    Haschisch: Der Konsum nimmt zu

    Logistikunternehmen und Speditionen würden für die Tarnung von Rauschgiftlieferungen genutzt. Vermehrt entdecken Ermittler des Zolls auch Marihuana-Pakete, die per Post an die Käufer verschickt werden.

    Der Konsum von Gras und Haschisch in Deutschland nimmt zu. Laut einer Studie hatte jeder zehnte Jugendliche unter 18 mindestens einmal Cannabis geraucht. 2011 war es noch jeder Zwanzigste. Bei den jungen Menschen bis 25 griff jeder Zweite schon mal zum Joint. Das Gras kommt oft von mächtigen Drogensyndikaten. Kartelle, so beschreiben es Ermittler, die neben Gras nicht selten auch mit Kokain handeln.

    Dealer: Polizei kriegt die kleinen Fische

    Die deutsche Polizei verfolgte 2020 mehr als 30.000 Fälle von illegalen Cannabis-Geschäften. Meist bekommen die Ermittler nur die „kleinen Fische“, den Straßendealer, zu fassen, seltener die Drogenbosse.

    Dieses kriminelle Geschäft will der Staat aufbohren. Durch eine Legalisierung werde „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, schreiben die Koalitionäre.

    Wie es legal geht, zeigt Thorsten Kolisch in der Halle in Neumünster. Der Werksleiter steht vor dem Raum mit dem Schild „Great Bear“, der große Bär, eine ihrer Cannabis-Variationen.

    Cannabis mit höchstem Reinheitsgebot

    „Drinnen sind genau 28 Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 60 bis 65 Prozent, vierzig Mal in der Stunde wechseln wir die Luft aus“, referiert Kolisch. Cannabis-Zucht unter Laborbedingung. „Höchstes Reinheitsgebot.“

    Die Pflanzen stellt die Firma künstlich mit Hilfe von einem DNA-Klon her, die Gene der Mutterpflanze kommen aus Kanada. Auch der Gehalt an THC und dem Cannabinoid CBD sind genau festgelegt. THC berauscht, CBD beruhigt.

    Kolisch sagt: Wenn sie tausend Pflanzen ernten, trocknen sie 400 Kilogramm Cannabis. Daraus entstehen rund 80 Kilo für den Verkauf an die Apotheken, die das Gras an die Patienten geben.

    Geschäftsführer Mielcarek ergänzt: „Derzeit stellen wir rund eine Tonne Cannabis pro Jahr her. Das ist unser Auftrag." Wenn gewünscht, könnten wir die Produktion auf vier oder fünf Tonnen pro Jahr hochfahren. Bei einer neuen Gesetzeslage und der Legalisierung von Cannabis könnten wir kurzfristig so auf den neuen Markt reagieren.“ Es ist eine der Schlüsselfragen, die eine Regierung beantworten muss: Wer produziert das Gras?

    Holland als abschreckendes Beispiel

    Wie es schieflaufen kann, zeigt der Fall: Niederlande. Dort war das Kiffen nie legal – obwohl Städte wie Amsterdam für Haschisch-Touristen aus aller Welt zum Mekka wurden. Konsum und Besitz werden dort nur toleriert. Der Anbau ist weiter strafbar.

    Und so ist in den Niederlanden ein fatales System entstanden: Vorne in den zahlreichen Coffee-Shops rauchen die Cannabis-Kunden legal ihren Joint. Hinten aber liefern Drogenkuriere den Stoff illegal an. Weil die Nachfrage riesig ist, machen Drogenkartelle mit dem Geschäft mit Cannabis in Europa einen Milliarden-Umsatz.

    Die Apotheken sollen verkaufen

    Der Staat müsste also die gesamte Lieferkette kontrollieren, damit Kriminelle keinen Fuß in die Tür des lukrativen Geschäfts mit legalem Cannabis bekommen.

    Behörden müssten Produzenten auswählen und zertifizieren, regelmäßig die Betriebsstätten kontrollieren. Nicht zufällig denkt FDP-Mann Ullmann beim Handel primär an ein etabliertes Gewerbe: die Apotheken.

    Deutschland kann Bedarf nicht decken

    Der Betrieb von Kolisch und Mielcarek in Neumünster wurde schon ausgewählt. Die Vorgaben für den Anbau von medizinischem Cannabis sind hoch, Deutschland habe „weltweit die rigidesten Sicherheitsmaßgaben“, sagt Mielcarek.

    Eine 24 Zentimeter dicke Wand aus Beton und Stahl bettet die Cannabis-Farm ein. „Kein Blatt der Cannabis-Pflanze kommt hier unkontrolliert nach draußen.“ Doch klar ist auch: Deutschland könnte den Bedarf an Cannabis nicht mit eigener Produktion decken, wäre nach Ansicht von Fachleuten immer angewiesen auf Importe.

    Cannabis-Freigabe: Aus Kanada lernen

    Allein das schafft Risiken: Maßgaben bei Qualität und Sicherheit können stark schwanken. Nicht einmal innerhalb der EU gibt es Standards. Kanada spürte die Folgen einer schlechten Logistik: Dort ist Cannabis seit Herbst 2018 für Erwachsene erlaubt, der Konsum und die Herstellung staatlich überwacht.

    27.11.2021, Berlin: ILLUSTRATION - Eine Person raucht einen Joint. Die Ampel-Parteien wollen Cannabis für den Genuss legalisieren. Bald könnte Hanf in lizenzierten Geschäften frei verkauft werden. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
    27.11.2021, Berlin: ILLUSTRATION - Eine Person raucht einen Joint. Die Ampel-Parteien wollen Cannabis für den Genuss legalisieren. Bald könnte Hanf in lizenzierten Geschäften frei verkauft werden. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © Fabian Sommer/dpa

    Zum Start der Legalisierung bildeten sich Schlangen vor den „Dispensaries“, den Abgabestellen. Der Konsum stieg kurzzeitig stark an. Die Infrastruktur war überlastet, mit der Folge, dass viele weiter zum Dealer an der Straßenecke gingen.

    Alle verdienen mit: auch der Staat

    Und noch ein Problem taucht auf: Je höher die Qualität, desto höher auch die Kosten des Anbaus von Cannabis. Für Firmen wie Tilray muss sich das Geschäft lohnen, aber auch Logistiker und Apotheken verdienen.Alle sollen profitieren, am Ende der Handelskette auch der Staat. Der wird wohl doppelt kassieren, über die Mehrwertsteuer und eine eigene Cannabis-Steuer.

    Die Einnahmen wären durch legales Kiffen enorm. 1,8 Milliarden Euro im Jahr errechnete der Wettbewerbsökonom Justus Haucap von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, gestützt auf Vergleichsdaten aus Ländern, wo Cannabis legalisiert wurde. Noch imposanter fällt die Summe aus, wenn man die Körperschafts-, Gewerbesteuer sowie die Sozialbeiträge dazu rechnet.

    Cannabis: Koalition gegen Werbung

    Um den Eindruck zu vermeiden, dass der Staat es bloß auf die Einnahmen abgesehen hat, wollen die Koalitionäre auf Werbung weitgehend verzichten.

    „Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis“, heißt es im Koalitionsvertrag. In den Niederlanden führen Fachleute einen Anstieg des Cannabis-Konsums auch auf das massenhafte Werben für das Rauschmittel nach der Tolerierung durch den Staat zurück.

    Können Kriminelle die Preise drücken?

    Je höher der Preis von legalem Cannabis in Abgabestellen, desto größer der Markt für Kriminelle, billigen Stoff auf der Straße anzubieten, sagen erfahrene Polizeiermittler.

    Der Preis für Cannabis ist für SPD-Mann Fiedler „eine der offenen Fragen mit noch vielen Unbekannten.“ Das staatliche Cannabis sollte nicht teurer als beim Dealer sein. Andernfalls mischen Kriminelle mit, so wie beim Handel mit illegalen Zigaretten.

    Während die Fahnder bei den Zigarettenpackungen auf einen Blick – an der fehlenden Steuerbanderole - offensichtliche Hehlerware erkennen, wird es nach einer Legalisierung nahezu unmöglich werden, bei Razzien zwischen legal und illegal erworbenem Cannabis zu unterscheiden.

    Die illegalen Märkte haben drei potenzielle Wettbewerbsvorteile. Niedrigere Preise sind einer nur davon. Außerdem können sie härtere Stoffe anbieten und vermehrt Minderjährige ansprechen, die das Gras nicht in der Apotheke kaufen dürfen. „Der 16-Jährige, die 17-Jährige, die kiffen will, ist nach wie vor auf die illegalen Angebote angewiesen", gibt der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) zu bedenken.

    Brandenburg, Braunsdorf: Eine illegale Hanf-Plantage, entdeckt bei einer Drogenrazzia auf einem privaten Gelände in Braunsdorf. Die Ampel-Koalition will Cannabis legalisieren.
    Brandenburg, Braunsdorf: Eine illegale Hanf-Plantage, entdeckt bei einer Drogenrazzia auf einem privaten Gelände in Braunsdorf. Die Ampel-Koalition will Cannabis legalisieren. © Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

    Cannabis: Ermittler sind skeptisch

    „Wer glaubt, die Drogenbanden ziehen sich einfach aus dem Geschäft mit Gras zurück, ist naiv“, sagt auch ein Ermittler. Verluste würde die organisierte Kriminelle einfach wettmachen – und mehr Gras produzieren.

    Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war jahrelang gegen eine Freigabe. Im Oktober, in den Verhandlungen für eine Regierung, änderte er seine Meinung. Als Arzt sei er zu einem anderen Schluss gekommen, weil dem Straßencannabis immer neuartiges Heroin beigemischt werde, um Konsumenten in eine Heroin-Abhängigkeit zu treiben.

    Lauterbachs Horrorszenario

    Für Lauterbachs Horror-Szenario sehen Ermittler keine Belege, allenfalls in den USA gibt es Fälle von Heroin in Haschisch. Doch klar ist: Die Drogenkartelle verkaufen heute höher dosierten Stoff, teilweise ist Blei, Sand oder Zucker beigemischt, um das Gewicht zu erhöhen, teilweise sind synthetische Wirkstoffe beigemischt, um den Rausch zu verstärken.

    Verfechter des legalen Konsums bringen immer wieder an: Der Staat müsse auch weniger Geld für Polizei und Justiz investieren, wenn Kiffen legal sei. Sicher ist, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte weniger Fälle etwa von 22 Jahre alten jungen Kiffern bearbeiten müssen, die mit ein paar Tüten Haschisch ertappt wurden.

    In mehreren Bundesländern sind ohnehin schon heute kleine Mengen straffrei, etwa in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und demnächst auch in Baden-Württemberg. Doch zum Schutz der Kinder und Jugendlichen müsse die Polizei nach wie vor tätig sein, meint auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU).

    Widerstand im Bundesrat

    Für seine Beamte hätte eine Freigabe „keine spürbare Entlastung“, sagt er unserer Redaktion. „Dazu kommt, dass die Polizei auch weiterhin rein praktisch bei Drogen-Kontrollen zuerst einmal auf alle Drogen hin kontrollieren muss und nicht bestimmte Substanzen von vorneherein ausschließen kann.“ Gegner des Ampel-Projektes wie Strobl haben womöglich einen starken Hebel: den Bundesrat.

    Für FDP-Mann Ullmann spricht „viel dafür“, dass ein Cannabis-Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig wäre. Den Ländern obliegen die Gesundheitskontrollen, auch über das Steuerrecht haben sie ein Wort mitzureden. Das würde bedeute, dass die Ampel ihr Projekt gar nicht aus eigener Kraft durchsetzen kann.

    Die Unions-geführten Länder könnten sich querstellen, allen voran Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, ein exponierter Gegner der Freigabe. Bedenken haben auch beide Polizeigewerkschaften, SPD-Landesinnenminister, ebenso die bisherige Drogenbeauftragte.

    Nicht die Brille des Strafrechts

    Dabei ist das erklärte Ziel der Freigabe eigentlich positiv: eine bessere Gesundheitspolitik. SPD-Politiker Fiedler formuliert es so: Man müsse eine andere Brille aufsetzen, nicht mehr die des Strafrechts. „Wir müssen eine gesundheitspolitische Brille aufsetzen.“ Fiedler blickt nach Portugal. Um die Jahrtausendwende hat das Land alle Drogen entkriminalisiert, nicht nur Gras, sondern auch Kokain oder Heroin. Weltweit wird das Modell beobachtet.

    Portugals Regierung hatte es für unmöglich erklärt, alle Drogen etwa durch Polizeimaßnahmen oder schärfere Gesetze aus der Welt zu schaffen. Auch „harte“ und „weiche“ Drogen unterscheidet das Land nicht mehr. Trotzdem bekämpft die Polizei weiter den Handel, beschlagnahmt bei den Konsumenten selbst kleinste Mengen Drogen, verteilt jedoch nur Strafzettel, wie beim Falschparken.

    Portugals Ansatz: Wir kümmern uns

    Die Süchtigen aber werden nicht mehr verurteilt. Stattdessen melden sich die Gesundheitsbehörden. Jeder Betroffene muss vor einen Ausschuss treten, der von einer Juristin, einem Sozialarbeiter und einem Psychologen gebildet wird.

    Die Botschaft ist: Wir kümmern uns. Erreicht hat man immerhin, dass deutlich weniger Menschen an einer Überdosis in Kliniken eingeliefert werden oder sogar sterben. Auch die Zahl der HIV-Infektionen, etwa durch verunreinigte Nadeln, ging zurück, genauso wie die Drogenkriminalität insgesamt.