Berlin. Aktivisten nutzen Klimakonferenzen, um Druck zu machen. Aber wie viel Klimaprotest ist möglich, wenn Kritik gefährlich werden kann?

Greta Thunberg wird nicht da sein, in den stark klimatisierten Konferenzhallen in Scharm el-Scheich, die noch bis zum übernächsten Wochenende die Weltklimakonferenz beherbergen. Die weltbekannte Aktivistin, die schon der nach der Konferenz in Glasgow im letzten Jahr frustriert Bilanz gezogen hatte, hatte im Voraus abgewunken. Eine Möglichkeit zum „Greenwashing“ und zum Betrug sei die Konferenz – und für diejenigen, die am dringendsten gehört werden müssten, sei dieses Mal ohnehin kein Platz. Der Raum für die Zivilgesellschaft werde sehr begrenzt sein, sagte Thunberg. „Es wird schwierig sein für Aktivisten, sich Gehör zu verschaffen.“

Für Thunberg, die keine Scheu hat vor deutlichen Worten, ist es eine fast zurückhaltende Formulierung. Denn die Klimakonferenz in Scharm el-Scheich findet statt in einem Land, in dem Kritik und freie Meinungsäußerungen schon seit Jahren eine gefährliche Angelegenheit geworden sind. Für die Aktivistinnen und Aktivisten, die aus der ganzen Welt zur COP27 gereist sind, bedeutet der Konferenzort ein hartes Pflaster.

Rund 60.000 politische Gefangene sitzen in Ägypten hinter Gitter

Menschenrechtsorganisationen zeichnen von der Situation in Ägypten unter der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi seit Jahren ein düsteres Bild: Rund 60.000 Regierungskritiker sind inhaftiert, Presse- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt. Aus den Gefängnissen gibt es Berichte von brutalen Haftbedingungen und Folter.

Beispielhaft für den Umgang mit unliebsamen Stimmen steht der Fall des Bloggers und Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, der als eine der Führungsfiguren während der ägyptischen Revolution galt. Der 40-Jährige ist zum wiederholten Mal in Haft – und hat nach mehreren Monaten Hungerstreik kurz vor Beginn der Konferenz angekündigt, auch kein Wasser mehr zu trinken.

Bundeskanzler Olaf Scholz und andere westliche Regierungschefs haben sich beim ägyptischen Präsidenten al-Sisi für seine Freilassung eingesetzt. Fattahs Familie fürchtet, dass er zwangsernährt wird, um zu vermeiden, dass er während der Konferenz stirbt.

Vor der Konferenz wurden zahlreiche Menschen festgenommen

An der Antwort der ägyptischen Regierung auf Gegenwind aus der Zivilgesellschaft hat sich auch im Vorfeld der Konferenz nichts geändert. Medienberichten zufolge wurden in den Wochen und Monaten vor Beginn zahlreiche Menschen festgenommen im Zusammenhang mit einem angekündigten Protest gegen die Regierung. Ajit Rajagopal, ein Klima-Aktivist aus Indien, hatte vor, von Kairo nach Scharm el-Scheich zu laufen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Auch er und in der Folge sein Anwalt wurden vorübergehend festgesetzt und kamen nur noch internationaler Kritik frei.

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Festnahmen wie diese seien „eine ganz klare Warnung – wer hier zu viel sagt, wer hier kritisiert, der muss damit rechnen festgenommen zu werden“, sagt Katharina Rall, Expertin für Umwelt und Menschenrechte bei Human Rights Watch. „Das ist eine Drohgebärde und eine Maßnahme die Angst macht und die Leute davon abhält auf die Straße zu gehen.“

Das könnte auch Auswirkungen auf den Erfolg des Treffens haben, fürchtet sie. „Wir sind besorgt, dass der Gipfel vor diesem Hintergrund nicht die Ergebnisse liefern kann, die er jetzt liefern muss“, sagt Rall. Bei den Klimakonferenzen brauche es Konferenzen eine starke Zivilgesellschaft, die ihre Meinung frei äußere und, die Regierung zur Verantwortung ziehe. Ähnlich hatte das am Dienstag auch die deutsche Klimasonderbeauftragte Jennifer Morgan formuliert – ohne eine aktive Zivilgesellschaft kämen „keine ambitionierten Klima-Abkommen zustande“, sagte sie.

Doch gerade diese Beteiligung scheint in dem Badeort am Roten Meer nicht gewünscht, sagt Rall. „Da sehen wir in Ägypten leider schwarz – die letzten Tage haben gezeigt, dass die Regierung hier das nicht hören will.“

Offiziell ist Protest vor Ort zwar erlaubt – doch nur unter hohen Auflagen. Eine „designierte Zone“ für Klimaprostete hat die ägyptische Konferenz-Leitung abgesteckt. Wer per Demonstration Druck ausüben will auf Regierungen, kann das dort tun – vorausgesetzt, der Protest wird drei Tage im Voraus angemeldet, das Ziel des Protests genannt und die Gruppe, die ihn organisiert. Demonstrationen in der „designierten Zone“ sind zwischen zehn und 17 Uhr vorgesehen.

Wer gegen die Regeln verstößt, riskiert den Rauswurf

Aktivistinnen und Aktivisten verlegen sich deshalb auf kleinere Aktionen innerhalb der sogenannten Blue Zone, wo die Verhandlungen stattfinden. Dort gelten die Regeln des Sekretariats der UN-Klimarahmenkonvention. Am Montag und Dienstag, als zahlreiche Regierungschefs aus der ganzen Welt vor Ort waren, waren gar keine Aktionen erlaubt. In den Tagen danach müssen sie angemeldet werden. Wer gegen die Regeln verstößt, riskiert den Rauswurf.

Die Bedingungen für Protest sind nicht das einzige Problem, sagt Romie Niedermayer von der deutschen Jugendorganisation Klimadelegation. „Es gibt für verschiedene Zivilgesellschaften verschieden viel Raum.“ Die Vergabe der „Badges“, also der Akkreditierungen, habe „koloniale Strukturen“, sagt sie. „Es ist für Deutsche viel einfacher, ein Badge zu bekommen als für Menschen aus den Ländern, die am härtesten von Klimafolgen getroffen werden – das ist ein großes Problem.“ Deutschland sei überrepräsentiert.

Schon im Vorfeld der Konferenz hatten Aktivistinnen und Aktivisten aus ärmeren Ländern die hohen Hürden auf dem Weg zur Konferenz beklagt. Neben der Vergabe von Visa und Akkreditierungen stellen auch die extrem hohen Hotelpreise für viele ein Problem dar.

Eine Gruppe von Fridays for Future Deutschland ist nach Ägypten gefahren

Gerade weil es für zivilgeschäftliche Stimmen schwer ist, gehört zu werden, sei es wichtig vor Ort zu sein, wenn man könne, sagt Annika Kruse. Sie ist Teil der Gruppe von deutschen Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future, die sich – anders als Thunberg – entschieden haben, nach Scharm el-Scheich zu fahren. „Wir wissen, dass wir hier Privilegien haben, dass wir hier mehr machen können als andere, weil es uns schützt, dass wir aus Deutschland kommen“, sagt Kruse.

Mehr machen meint auch Aktionen wie die vom Dienstag, als FFF-Aktivistinnen und -Aktivisten sich den Protest gegen neue Gasfelder kamerawirksam auf die Handflächen schrieben. Still, ohne Schilder, sagt Kruse. Schon das testet die Grenzen. Ärger hätten sie bekommen, sagt Kruse, „aber es war nicht gefährlich.“ Die Sicherheitskräfte der UN in der blauen Zone sind nicht die Ägyptens draußen vor den Türen.

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Wenn man strategisch vorgehe, könne man auch mit kleineren Aktionen viel erreichen, sagt Ayshka, Aktivistin von Fridays for Future aus den am meisten betroffenen Völkern und Gegenden (Most Affected People and Areas, MAPA). Ein Problem wäre es allerdings, wenn weiße Aktivisten im Namen der Solidarität unautorisierte Proteste durchführen „und wir dann die Leidtragenden sind“. Aktionen, die eskalieren könne, könne man dieses Jahr nicht nutzen. „Wir müssen innovativer sein.“ Das bedeute nicht, dass die Aktivisten nichts tun würden. „Aber wir sollten es nicht blind tun.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.