Chemnitz. In vielen deutschen Städten protestieren Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. So auch Anfang dieser Woche in Chemnitz. Eine Reportage.

Plötzlich wird es hektisch. Etwa 30 Mannschaftswagen der Polizei rasen durch das Zentrum von Chemnitz. Sie wollen die Demonstranten in dem Areal zwischen Marktplatz und dem Hauptbahnhof aufhalten. Die Wagen biegen auf die Straße der Nationen und halten auf Höhe der Carolastraße. Mit ihren Fahrzeugen bildet die Polizei eine Kette und sperrt so die Straße ab.

Das Karl-Marx-Monument, das wohl bekannteste Wahrzeichen der Stadt, ist fußläufig nur wenige Minuten entfernt. Die Beamten laufen die Carolastraße hoch, sie tragen keine Helme, dafür Sturmhauben und Schutzanzüge. Es sind über 100.

Corona-Protest in Chemnitz: Keine Masken, kein Abstand

Es ist Montag, gegen 18 Uhr. Den Polizisten stehen ungefähr 100 Demonstranten gegenüber. Sie haben sich zusammengetan, um gegen die aktuellen Corona-Auflagen zu protestieren. Häufig nennen sie die Protestzüge "Spaziergänge". Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Chemnitz scheren sich nicht um die geltenden Corona-Regeln. Sie halten keinen Abstand, tragen keine Masken. Hinzu kommt, dass aufgrund der dramatischen Infektionszahlen in Sachsen nur Versammlungen bis zu zehn Personen erlaubt sind. In der Carolastraße sind aber deutlich mehr. Die Demonstranten wollen weiter.

In mehreren Städten kommt es am Montag zu Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Etwa in Berlin, Düsseldorf und Mannheim. In Sachsen finden die Proteste neben Chemnitz unter anderem in Leipzig, Dresden, Freiberg und Zwickau statt. In den vergangenen Tagen kam es dabei zu Randalen und gewalttätigen Auseinandersetzungen, auch gegenüber Journalisten. Aber wer sind die Menschen, die in Chemnitz auf die Straße gehen, um ihre Wut über die Corona-Politik freien Lauf zu lassen?

In der Carolastraße kommen die Demonstranten nicht voran, die Polizisten lassen sie nicht weiterziehen. „Die wollen uns einsperren“, skandiert jemand. „Das ist nicht mein Chemnitz,“ ruft eine aufgebrachte Frau mit gelbem Regenschirm. „Was für eine Scheiße!“, stöhnt sie. Doch das Geschimpfe ist vergebens, die Kette aus Beamten hält. Und keiner der Demonstranten traut sich, sie zu durchbrechen.

Demo wird aufgelöst: „Wie in der DDR“

Es 18:20 Uhr als die Demo von der Polizei aufgelöst wird. „Die von ihnen durchgeführte Zusammenkunft wurde als nicht ortsfeste Versammlung im Sinne der sächsischen Corona-Not-Verordnung betrachtet“, erklärt ein Beamter über Lautsprecher. Man werde nun Personalien aufnehmen. Unter den Demonstranten macht sich Resignation breit. Ein Mann in blauer Daunenjacke stellt fest: „Das ist ja wie in der DDR, nur noch schlimmer.“

Im Polizeikessel stehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzeln oder in kleineren Gruppen beisammen. Viele wirken enttäuscht. Den Protestmarsch haben sie sich sicher anders vorgestellt, besonders weit haben sie es nicht geschafft. Die Stimmung ist dennoch friedlich. Allzu redefreudig geben sich die Protestler allerdings nicht. Sie möchten nicht mit der Presse sprechen. Eine junge Frau erzählt, dass sie nur zum Spazierengehen in der Gegend sei. Mehr möchte sie nicht sagen. Was sie von den Corona-Auflagen hält, soll ihr Geheimnis bleiben.

Einer, der dann doch ein paar Fragen beantworten möchte, ist Jürgen. Seinen Nachnamen behält er für sich. Der 60-Jährige ist alles andere als begeistert von den strengen Auflagen im Freistaat. „Überzogen!“ Er befürchtet, dass die Wirtschaft an den 2G-Regeln „kaputtgehe.“ Jürgen selbst ist Unternehmer, ihm gehört ein Malerbetrieb. Er beklagt, dass er die Kosten der Schnelltests für seine Mitarbeiter tragen muss. „Die Geimpften müssen sich ja nicht testen lassen.“

Für ihn habe das nichts mehr mit Demokratie zu tun. „Und ich bin ungeimpft“, erklärt er mit einem leicht trotzigen Unterton. Warum? Er sagt: „Ich orientiere mich mehrseitig.“ Er sagt: „Ich sehe, dass es genügend Nebenwirkungen gibt. Das kann doch niemand abstreiten.“ Vor einer Corona-Infektion hat Jürgen hingegen keine Angst. Er ernähre sich schließlich gesund, würde wenig Alkohol trinken, Sport betreiben. Er sagt: „Für mich ist das eine normale Grippe.“ Nun ja.

Der Abend verläuft friedlich

Die Polizei hat inzwischen einen Großteil der Personalien aufgenommen, die Straße lichtet sich. „Straftaten haben wir keine aufgenommen“, heißt es vom Sprecher der Chemnitzer Polizei, Robin Reichel. Jedoch habe man Bußgeldverfahren eingeleitet und Platzverweise erteilt.

In Chemnitz bleibt es am Montag weitestgehend friedlich. Rechtsextreme und radikale Querdenker, die die Proteste zunehmend instrumentalisieren, sind nicht zu erkennen. Zurück auf der Straße der Nation. Es ist nun 20:30 Uhr. Die Polizisten haben die Sperrung durch ihre Mannschaftswagen aufgehoben, Straßenbahnen knarzen wieder entlang.

Eine kleine Gruppe an Demonstranten will offenbar weiter protestieren und liefert sich noch ein kurzes Wortgefecht mit der Polizei. Sie bezeichnen die Beamten als „Söldner“. Wenige Minuten später ziehen die Maßnahmen-Gegner ab. Ein Teilnehmer dreht sich noch mal um. Er ruft den Polizisten zu: „Wir sehen uns wieder, und zwar morgen!“ Geht es nach diesen 100 Demonstranten wird der Protest gegen die Corona-Regeln auch in Chemnitz weitergehen.