Berlin. Kinder haben in der Corona-Pandemie besonders gelitten. 73 Prozent sagen, sie sind bis heute enorm gestresst. Was jetzt helfen soll.

Schul- und Kitaschließungen, geschlossene Sportvereine, keine Jugendfreizeiten: Kinder und Jugendliche haben während der Corona-Pandemie besonders gelitten – und tun es noch. Drei von vier Kindern haben bis heute mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen. Meilensteine in ihrem Leben wie Einschulungen, Klassenfahrten, Sportwettkämpfe, Schulaufführungen und Abschlussbälle konnten nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden. Gleichzeitig sollten sie sich solidarisch gegenüber den Alten und Vorerkrankten zeigen. Den Kindern wurde viel abverlangt. Vielen zu viel.

„73 Prozent der jungen Menschen sind auch durch die Einschränkungen während der Pandemie bis heute enorm gestresst“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch. Zuvor hatte das Kabinett einen entsprechenden Bericht mit konkreten Maßnahmen beschlossen, um Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung der psychosozialen Belastungen durch die Corona-Pandemie zu helfen.

Lauterbach: Corona-Schulschließungen haben Kindern geschadet

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprach, Kinder und Jugendliche nun besonders unterstützen zu wollen. Deutsche Schulen seien im internationalen Vergleich während der Pandemie besonders lange geschlossen gewesen. „Das hat den Kindern geschadet“, sagte er. Er unterstrich, dass er mit dem nun beschlossenen Maßnahmenkatalog Langzeitschäden vermeiden wolle. Auch interessant: Studie zu Corona-Folgen – So viel Lernstoff fehlt Schülern

Will verhindern, dass Kinder und Jugendliche nach der Corona-Pandemie unter psychosozialen Langzeitfolgen leiden: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Will verhindern, dass Kinder und Jugendliche nach der Corona-Pandemie unter psychosozialen Langzeitfolgen leiden: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). © AFP | Tobias Schwarz

Lauterbach rief daher Eltern dazu auf, vorsorgende U-Untersuchungen in jedem Fall wahrzunehmen. Wenn Kinder auffällig seien, depressiv wirkten oder sich zurückzögen, sollten ihre Eltern sie von Psychologen oder Ärzten untersuchen lassen. Lesen Sie auch den Kommentar: Corona-Folgen – Warum Kinder in Deutschland keine Lobby haben

Corona-Folgen: Kinder leiden unter Depressionen oder Essstörungen

Dem Maßnahmenkatalog liegt der Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ zugrunde. Hier wurde eine erhöhte psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen festgestellt. Zu den häufigsten Störungen zählten laut Paus:

  • Essstörungen
  • Depressionen
  • Angststörungen

Es wurden zudem Verzögerungen in der sprachlichen, emotionalen und schulischen Entwicklung festgestellt sowie Ausbildungsunterbrechungen bei Jugendlichen.

Wurde die soziale Herkunft berücksichtigt, fielen die Werte für benachteiligte Kinder deutlich höher aus. So schätzen etwa 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler ihren Gesundheitszustand heute schlechter ein als vor der Pandemie – unter benachteiligten Kindern sind es 40 Prozent.

„Wie so oft trifft es Kinder aus ärmeren Familien besonders hart: Kinder von Alleinerziehenden, aus Familien mit Migrationshintergrund, diejenigen, die in beengten Wohnverhältnissen leben oder psychisch belastete Eltern haben“, sagte Paus. Es dürfe aber nicht von persönlichen Ressourcen oder vom sozialen Status der Familie abhängen, wie gut junge Menschen Krisen überstehen, so die Grünen-Politikerin. Lauterbach und Paus versicherten, der Bund werde sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche besonders unterstützen.

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Hilfen für Kinder und Jugendliche auch in Schulen

Die interministerielle Arbeitsgruppe hatte fünf Handlungsfelder ausgemacht, für die der Bund konkrete Maßnahmen ausarbeiten soll – teilweise sind diese in Planung oder wurden bereits umgesetzt. Dabei geht es unter anderem um frühe Hilfen direkt nach der Geburt, Kindertagesbetreuung, Schulen, das Gesundheitswesen sowie Jugend- und Familienhilfe. Lauterbach unterstrich, dass er mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz bereits drohende Insolvenzen von Kinderkliniken abgewendet habe. Durch dieses Gesetz solle auf die Kinderstationen in den kommenden zwei Jahren je 300 Millionen Euro verteilt werden.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Lauterbach kündigt zudem an, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Therapieplätzen, auf die man oft lange warten müsse, zu erleichtern. Diese langen Wartezeiten nannte er einen Skandal. Der Bundesgesundheitsminister betonte, dass in den vergangenen zehn Jahren zwar mehr Therapeuten zugelassen worden seien. Er erklärte aber, dass es für psychisch schwer Erkrankte oftmals schwieriger sei einen Therapieplatz zu ergattern, als für weniger akut gefährdete. Deshalb sollte es nun Sonderzulassungen für Kinder-Psychologen geben, die sich insbesondere um Kinder und Jugendliche mit besonders großem Leidensdruck kümmern. Es soll zudem auch eine Regelung geben, die Gruppentherapien für Jugendliche ermöglicht, sagte er.

Mental Health Coaches an 100 verschiedenen Schulen geplant

Mit zehn Millionen Euro will Paus „Mental Health Coaches“ – Sozialpädagoginnen und -pädagogen – an etwa 100 Schulen im Umgang mit psychischen Krisen bei Kindern und Jugendlichen schulen lassen. Diese sollen jedoch einen anderen Beitrag leisten als Schulpsychologen: Die „Mental Health Coaches“ sollen bei Sorgen und Problemen zur Seite stehen und in akuten Krisen eine erste psychische Hilfe bieten.

Im Bereich der Kinder- und Familienhilfe soll es durch den Bund neu geschaffene Rechtsansprüche auf Beratung und Unterstützung geben, heißt es in der Erklärung der Minister mit Blick auf das Jugendstärkungsgesetz. So könnten Kinder nun beim Jugendamt psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen, ohne dass ihre Eltern darüber informiert werden. Zu den geplanten Maßnahmen zählen auch Hilfen im Umfang von 56 Millionen Euro für Familien mit Kindern unter drei Jahren.

Lauterbach bekräftigte seine Einschätzung, dass Schulen und Kitas in Deutschland zu lange geschlossen waren. Es sei zwar durchaus richtig gewesen, Kinder und Jugendliche während der ersten Phase der Corona-Pandemie zu Hause zu lassen. Damals habe es noch keinerlei Impfstoffe gegeben. Jedoch seien viele psychosoziale Schäden in den späten Phasen der Pandemie entstanden, als vieles andere außer Schulen oder Kitas bereits wieder geöffnet hatte. Es gelte nun, frühe Störungen zu behandeln, so dass Kinder gute Prognosen haben.