Berlin. Maskenpflicht, Quarantäne, Impfpflicht: Die Ampel hat bei der Corona-Politik den roten Faden verloren. Und Olaf Scholz schweigt.

Es ist ja eigentlich ein Ausdruck von einer starken, gut funktionierenden Demokratie, wenn die Abgeordneten des Bundestages frei von jeglichem Fraktionszwang, nur ihrem Gewissen verpflichtet, debattieren über so etwas Entscheidendes wie die allgemeine Impfpflicht. Wenn sie stundenlang Argumente austauschen und schließlich den Vorschlag der Regierung ablehnen.

Doch Tatsache ist auch: Olaf Scholz und seine Regierung haben mit dieser Abstimmung ihren ersten schweren Schaden davongetragen. Die Impfpflicht ab 60, ohnehin das Ergebnis eines Kompromisses auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, ist durchgefallen – und damit wohl das wichtigste innenpolitische Projekt des Bundeskanzlers im Kampf gegen die Pandemie. Eine Impfpflicht wird es erst einmal nicht geben. Weder ab 18 noch ab 50 oder 60.

Begraben hat das Projekt letztlich der eigene Koalitionspartner: Die Abgeordneten der FDP stimmten nahezu geschlossen gegen die Impfpflicht mit 60. Sie lasse sich „nicht ausreichend gut begründen“, hieß es in einer schriftlichen Rechtfertigung, die von allen FDP-Ministern unterschrieben wurde. Es gebe etwa keine Anhaltspunkte für eine Überlastung des Gesundheitssystems.

Corona: Die Ampel irrlichtert durch die Pandemie

Die Abstimmung hat nicht nur einen ersten dicken Keil in die Ampelkoalition geschlagen. Sie ist obendrein das Finale einer irrlichternden Corona-Politik. So mag man zur Impfpflicht stehen, wie man will: Unlogisch ist es allemal, an dem Projekt festzuhalten und gleichzeitig die wohl wirksamste Bekämpfung der Pandemie, die Maskenpflicht in Innenräumen, aufzuheben – ob in Klassenräumen oder Supermärkten –, und zwar in einer Zeit, in der die Inzidenz so hoch ist wie noch nie.

Begründet werden die Lockerungen mit dem milden Verlauf – obwohl immer noch jeden Tag Hunderte Menschen an oder mit dem Coronavirus sterben. Und selbst wer schnell nach einer Omikron-Infektion wieder fit war, berichtet doch von einem erheblichen Krankheitsgefühl.

Das war eine Klatsche für Olaf Scholz, kommentiert Birgitta Stauber, Autorin der Zentralredaktion.  Funke Foto ‪Services
Das war eine Klatsche für Olaf Scholz, kommentiert Birgitta Stauber, Autorin der Zentralredaktion. Funke Foto ‪Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Längst müssen sich Angehörige von Team Vorsicht wieder rechtfertigen oder dumme Sprüche anhören, wenn sie sich im Gedränge an der Kasse ohne Maske nicht wohlfühlen.

Hinzu kommt die unselige Diskussion über ein Ende der Isolationspflicht für Infizierte: Dass der ewige Mahner Karl Lauterbach tatsächlich im Begriff war, Quarantäne-Auflagen nach einem positiven Corona-Test aufzuheben und dann in einer Talkshow die Rolle rückwärts vollzog, zeigt, wie wenig diese Koalition dazu taugt, in der Corona-Politik an einem Strang zu ziehen.

Trotz Booster erkranken gerade die Älteren oft heftig an Omikron

Unstrittig ist, dass gerade die Älteren trotz Booster sehr gefährlich an Omikron erkranken können. Es sind die Hochbetagten, die den Kampf gegen Covid-19 verlieren. Gerade diese Altersgruppe hätte von der Impfpflicht profitiert. Denn immer noch sind zu viele dieser Altersgruppe nicht ausreichend oder gar nicht geschützt. Was haben sie davon, wenn eine Infektion für ihre Kinder und Enkel meist ungefährlich bleibt?

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Für sie zu kämpfen, hätte sich lohnen können. Doch Olaf Scholz und sein Kabinett haben längst bei der Pandemie-Bekämpfung den roten Faden verloren. Natürlich trägt daran die FDP, die mit ihren Rufen nach Lockerungen gegen den Willen des Großteils der Bevölkerung Klientelpolitik betreibt, einen erheblichen Anteil. Doch der Bundeskanzler hätte die Gelegenheit gehabt, bei dieser demokratischen Sternstunde das Wort als Abgeordneter zu erheben – und zu werben.

Doch wie so oft in diesen Tagen schwieg Olaf Scholz. Fast könnte man meinen: Wenn es sich nicht lohnt, darum zu kämpfen, dann ist die Impfpflicht wohl nicht so wichtig. Hoffen wir, dass die Koalition im Herbst immer noch allen Grund hat, so gelassen zu bleiben.