Das Vorhaben, eine Corona-Impfpflicht einzuführen, versandet. Gut so, kommentiert Jörg Quoos. Überzeugen ist besser als zwingen.

Niemand kann in den Kopf von Olaf Scholz wirklich hineinsehen. Daher wird niemand so schnell erfahren, warum der neue Kanzler gleich seine erste wichtige Ansage in der Jahrhundert-Pandemie nicht durchsetzt.

„Anfang Februar oder Anfang März“, so Scholz noch im November, sollte die allgemeine Impfpflicht kommen. Und jetzt? Durchhalteparolen im Kanzleramt, während sich die Opposition genüsslich am Kanzler des gebrochenen Wortes abarbeitet.

Scholz und die Impfpflicht: Denkt der Kanzer um?

Hat Scholz den Mund einfach zu voll genommen und die Stimmung im Volk falsch eingeschätzt? Mag sein. Wahrscheinlicher ist aber, dass sein gut trainierter Instinkt sich gemeldet hat und der Kanzler schlichtweg umdenkt, ohne es zuzugeben. Wenn das Virus in seinen Varianten so dynamisch ist, muss man auch in den Antworten darauf dynamisch sein.

Falls Scholz so denkt, dann hat er recht. Während immer mehr Virologen mittlerweile auf den vergleichsweise milden Verlauf der Omikron-Variante verweisen, werden die Vorbehalte gegen die Impfpflicht lauter. Quer durch alle Parteien bekommen Abgeordnete Magenschmerzen, wenn sie eine gesetzliche Impfpflicht bis zur letzten bitteren Konsequenz durchdeklinieren.

Corona: Für die Impfpflicht könnte schlichtweg die Mehrheit fehlen

Das wird politisch im Sommer sicher nicht einfacher, wenn die Inzidenzen sinken und Deutschland gut gelaunt aus den Ferien kommt. Spätestens dann könnte die Impfpflicht mausetot sein, weil ihr das bedrohliche Szenario und am Ende die Mehrheit fehlt.

Mal abgesehen vom totalen Daten-Wirrwarr und der Unfähigkeit, die Impfquote in Deutschland exakt zu bestimmen. Wird der harte Kern der Impfgegner wirklich erreicht, wenn man mit Bußgeldbescheiden und Gerichtsterminen droht? Oder werden die Leute einfach noch radikaler und vergiften vollends das Klima im Land? Will man der Polizei wirklich zumuten, gegen Leute vorzugehen, die über ihren eigenen Körper bestimmen wollen – auch wenn ihre Argumente richtig schlecht sind? Und will man zulassen, dass betuchte Impfgegner die Strafen kalt lächelnd zahlen, während man dem Impf-Ängstling mit Hartz IV die staatliche Unterstützung zusammenstreicht?

Niemand kann das wollen. Aber weil das Impfen so sinnvoll und wichtig ist, muss der Staat sich noch mehr Mühe geben, seine Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen. Ja, das ist anstrengend, teuer und nervenaufreibend. Aber es lohnt sich, weil die gesellschaftliche Brücke zwischen Impfbefürwortern und -gegnern in der Zeit nach Corona noch steht.

Corona-Impfkampagne: Beim Bewerben ist noch Luft nach oben

Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an das kommunikative Flächenbombardement, als die Regierung die staatseigene Telekom lukrativ unters Volk bringen wollte. Niemand entkam diesen Werbespots, die monatelang mit unzähligen Steuermillionen auf die Deutschen rieselten und am Ende erstaunlich viele Leute in eine mäßig kluge Anlage trieben. Dabei ging es damals nur um Geld und nicht um Gesundheit. Beim Bewerben der Corona-Impfung ist dagegen noch Luft, hier muss sich der Staat mehr Mühe geben und kreativer werden. Im Jahr 2022 erreicht man die Bürger halt nicht mehr mit plattem Zwang. Die Menschen wollen überzeugt werden – und das ist gut so.

Die Union muss im Streit um die Impfpflicht aufpassen, dass ihr im Jagdeifer auf Scholz nicht die eigene Jagdgesellschaft abhandenkommt. Denn auch unter ihren Anhängern gibt es durchaus Bedenken gegen die staatliche Impfpflicht, und mancher stellt sich zu Recht die Frage: Wenn die Impfpflicht so wichtig ist – warum habt ihr sie denn nicht schon unter Angela Merkel beschlossen?

Der Autor ist doppelt geimpft und geboostert.