Gesundheitsminister Lauterbach hat den Eindruck erweckt, sein Vorgänger habe nicht genug Impfstoff bestellt. Sorgt das für mehr Chaos?

Es bleibt rätselhaft. Hat der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn nicht genügend Impfstoff bestellt? Diesen Eindruck hat sein Nachfolger Karl Lauterbach am Dienstag erweckt.

Er habe „Inventur“ bei den Impfstoffvorräten gemacht und dabei festgestellt, dass für das gesamte erste Quartal „viel zu wenig Impfstoff gekauft worden“ sei, sagte der neue Gesundheits­minister – erst im Kreis der Länder­minister, dann öffentlich in den „Tagesthemen“. „Überrascht“ sei er darüber gewesen und nicht nur er. So macht man klar, dass man den Vorgänger für einen Versager hält, ohne es so zu nennen. Lesen Sie dazu: Booster-Kampagne: Wird der Corona-Impfstoff wirklich knapp?

Miriam Hollstein, Politik-Korrespondentin.
Miriam Hollstein, Politik-Korrespondentin. © David Hollstein | David Hollstein

Impfstoffmangel? Die Union weist die Vorwürfe zurück

Aber stimmt das auch? Die Union hat alle Vorwürfe zurückgewiesen. Es sei genügend Impfstoff vorhanden, um allen, die sich boostern lassen wollten, ein entsprechendes Angebot zu machen. Spahn selbst schweigt bislang zu den Vorwürfen, aber auch von Lauterbach war am Mittwoch nichts mehr zu hören. Stattdessen schickte er seinen Sprecher vor (der zugleich auch Ex-Sprecher von Spahn ist). Dieser wand sich in der Bundespressekonferenz bei der Beantwortung aller Fragen, wollte nicht sagen, wie viele Impfdosen genau fehlen und warum. Man führe derzeit Gespräche zu dem Vorgang, hieß es lapidar.

So bleibt vorerst offen, ob Spahn, dem als Gesundheitsminister in der Pandemie viele Pannen passierten, am Ende seiner Amtszeit einen weiteren, letzten Fehler gemacht hat. Oder ob Lauterbach, wie es die Union ihm vorwirft, ein Feuer vortäuscht, wo keines ist, um sich hinterher als Feuerwehrmann präsentieren zu können.

Für Spahn spricht, dass er bereits Ende Oktober für eine Boosterimpfung für alle warb, als Lauterbach diese Idee noch abwegig fand. Kaum vorstellbar, dass er dann aber vergessen haben soll, genügend Impfstoff zu organisieren. Zumal Spahn im vergangenen Frühjahr schon einmal massiven Vorwürfen ausgesetzt war, bei der Impfstoffbeschaffung versagt zu haben. Auch interessant: Booster-Impfung bei dm: Drogerie hilft bei Impf-Kampagne

Knappheit von Impfstoff sorgt für Verunsicherung

Für Lauterbach spricht, dass er als „Gesundheitsminister der Herzen“ einen reibungslosen Start hingelegt hat und keinen Grund hätte, diesen durch ein durchschaubares Täuschungsmanöver zu gefährden.

Unklar ist auch, wofür der Impfstoff fehlt. Für die Boosterimpfungen? Für die verpflichtenden Impfungen für das Pflegepersonal, die ab März gelten sollen? Spahn könnte man nur den Mangel bei den Boosterimpfungen ankreiden, denn die Impfpflicht wurde schon von der neuen Regierung beschlossen.

Wie auch immer sich der Fall auflöst: Schon jetzt hat er Verunsicherung in der Bevölkerung ausgelöst. Viele, die ihren Boostertermin erst im kommenden Jahr haben, sind in Sorge, dieser könnte mangels Impfstoff platzen. Einige versuchen bereits, doch noch im Dezember geimpft zu werden. Lauterbachs Äußerungen haben nicht dazu beigetragen, das ohnehin angeschlagene Vertrauen der Deutschen in die Corona-Politik der Regierung zu stärken. Lesen Sie auch: Booster nach vier Wochen: NRW-Regierung sorgt für Chaos

Auch sein Vorhaben, alle Geboosterten von der Testpflicht bei 2G-plus-Veranstaltungen zu befreien, kommt nicht überall gut an. Virologinnen wie Sandra Ciesek warnen, dies sei angesichts der bevorstehenden Ausbreitung der Omi­kron-Variante eine gefährliche Entscheidung. Lauterbach steht vor der schwierigen Aufgabe, dass er nun nicht mehr der Mahner von der Seitenlinie ist, sondern derjenige, der Verantwortung trägt. Nicht allen wird er es in dieser Rolle recht machen können. Angesichts der wachsenden Resignation und Verzweiflung in der Bevölkerung sollte er aber alles vermeiden, was den Eindruck von Chaos in der Corona-Politik verschärft. Er hat jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass er es besser macht.