Berlin/München. Bei den Corona-Impfungen legt Bayern keine Glanzleistung hin. Gleichzeitig sinkt die Impfbereitschaft. Das sind die Probleme.

Viele haben Monate auf sie gewartet: die Corona-Impfung. Doch kaum scheinen die Vakzine ausreichend vorhanden und Impftermine verfügbar zu sein, nimmt in einigen Bundesländern das Interesse scheinbar ab. Besonders bekommt das gerade der Freistaat Bayern zu spüren.

Dort melden immer mehr Landkreise das, war vor wenigen Wochen noch unglaublich geklungen hätte – einen Überschuss an Corona-Impfstoffen. Viele Landkreise wissen schlicht nicht, wohin mit den gelieferten Dosen. Um sie loszuwerden, führen einige schon Sonderaktionen durch.

Impfbereitschaft lässt nach – Landkreise locken mit Sonderaktionen

Unter anderem erklärten die Landratsämter Altötting, Berchtesgadener Land, Kitzingen, Kelheim, der Landkreis Oberallgäu sowie die Städte Kempten und Memmingen, dass sie kurzfristig die Hürden für die Impfung noch weiter abbauen würden.

In Kempten, Memmingen, im Oberallgäu sowie im Landkreis Kelheim braucht man beispielsweise künftig nur eine Online-Registrierung und kann sich damit ohne festen Termin impfen lassen. Im Berchtesgadener Land können sich am Wochenende wegen eines Überschusses an Impfstoffen auch Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren impfen lassen. Die Eltern müssen zwar ihr Einverständnis erklären, dürfen sich aber nach Angaben des Landratsamts dafür direkt mit impfen lassen. Auch die Hausärzte meldeten viele Kapazitäten.

Bayern: Bei der Impfkampagne läuft es im Vorzeige-Bundesland nicht rund

Bayern inszeniert sich gerne als Vorzeige-Bundesland. Auch Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder nährt gerne diese Erzählung, gerade in der Corona-Pandemie. Die Realität sieht aber nicht wirklich so aus: Ob Pannen beim Testen, hohen Infektionsraten oder nun bei der Impfkampagne – im Freistaat läuft es längst nicht rund.

Bayern liegt bei den Erstimpfungen derzeit hinter zahlreichen anderen Bundesländern, bislang sind erst 53,3 Prozent der Bevölkerung einfach immunisiert. Das entspricht einer schlechteren Quote als dem Bundesdurchschnitt. Bei den Zweitimpfungen liegt das Bundesland im Mittelfeld.

Söder: Bis zu den Sommerferien sollen 70 Prozent der Bevölkerung erstgeimpft sein

Dass nun die Impfbereitschaft offensichtlich sinkt, droht mit den bevorstehenden Sommerferien und der Ausbreitung der deutlich ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus immer mehr zu einem Risiko zu werden. Söder hatte daher am vergangenen Montag ein Ende der Impfpriorisierung in Bayern noch in dieser Woche verkündet. Seit Freitag kann sich jeder um einen Termin auch in den Impfzentren bemühen. Doch aktuell sind in dem Bundesland wohl gar nicht genug Menschen an der Impfung interessiert.

Die Inzidenzen sind niedrig, die Quarantäne nach dem Sommerurlaub kann man meist schon mit einem Test umgehen – viele Menschen wähnen sich so auch ohne Corona-Impfung erstmal in Sicherheit. Söder und sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) drängen trotzdem auf ein höheres Impftempo.

Vor den bayerischen Sommerferien soll keine Delle in der Impfstatistik entstehen, die sich nicht nur zahlenmäßig im Herbst rächen könnte. Landeschef Söder hat deshalb ein ambitioniertes Ziel ausgegeben: Bis Ende Juli sollen 70 Prozent der Menschen in Bayern mindestens eine Spritze gegen Covid-19 erhalten haben.

Landesregierung bemängelt ungerechte Verteilung der Impfdosen vom Bund

Doch während an einigen Orten mehr als genug Impfstoff vorhanden ist, warteten am Donnerstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums bayernweit immer noch rund 450.000 Menschen auf einen Termin in einem Impfzentrum.

Gesundheitsminister Holetschek sieht darin aber kein spezifisch bayerisches Poblem. Vielmehr sei die Logistik schuld, immerhin müssten 100 Impfzentren in dem Flächenland versorgt werden. Söder übt da schon etwas mehr Selbstkritik, wenn auch verzagt: Das Lieferungssystem an Impfzentren, Großhandel und Ärzte sei "nicht sehr transparent“. Zuletzt hatte aber auch der Ministerpräsident immer wieder die Probleme der bayerischen Impfkampagne auf eine ungerechte Verteilung der Impfstoffe durch den Bund geschoben.

Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister von Bayern, spricht auf der Pressekonferenz nach dem Corona-Impfgipfel der bayerischen Staatsregierung im Prinz-Carl-Palais.
Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister von Bayern, spricht auf der Pressekonferenz nach dem Corona-Impfgipfel der bayerischen Staatsregierung im Prinz-Carl-Palais. © Matthias Balk/dpa | Matthias Balk/dpa

Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen jedoch, dass Bayern seine Impfdosen schlechter verimpft bekommt als andere Bundesländer. Tatsächlich stockt die Impfkampagne schon seit einigen Wochen. Zwischen Mitte Mai und Mitte Juni stieg die Zahl der Erstimpfungen gerade einmal um elf Prozent. In den vorherigen vier Wochen war die Impfquote um fast 20 Prozent angewachsen.

FDP-Chef Föst: „Söder schiebt hausgemachte Probleme auf andere"

„Söder schiebt hausgemachte Probleme gerne auf andere, wie auch zuletzt mit seiner Kritik am Bund wegen einer angeblich ungerechten Impfstoffverteilung“, sagte der Landesvorsitzende der FDP in Bayern, Daniel Föst, unserer Redaktion.

„Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst. Immerhin lässt Bayern 13 Prozent seiner Impfdosen unverimpft. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen sind es nur 5 Prozent. Da gibt es offenkundig massive Mängel im Impfmanagement“, kritisiert FDP-Politiker Föst.

Die bayerische SPD schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Bayern forderte im Zuge des Impfgipfels beim Bund mehr Impfdosen, aber 1,5 Millionen Dosen waren zum Zeitpunkt der Forderung geliefert und noch ungenutzt. Das zeigt, dass die Staatsregierung oft keine Kenntnis darüber zu haben scheint, was auf der operativen Ebene los ist“, erklärte die Vorsitzende Ronja Endres gegenüber unserer Redaktion.

Bayern-SPD fordert mehr Inklusivität bei Impfanmeldung

Ein großes Problem sieht Endres weiterhin auch darin, dass die Impfkampagne nicht inklusiv genug aufgestellt ist. Die Landesregierung müsse endlich Geld in eine Impfkampagne stecken, die in verschiedenen Sprachen auch jene erreicht, die Impfungen bisher skeptisch gegenüberstehen würden, so Endres.

„Das ohnehin wenig nutzerfreundliche Impfportal bietet die Staatsregierung noch immer nicht in verschiedenen Sprachen an – weil, so die Antwort auf eine Anfrage unseres Generalsekretärs, die Programmierkosten zu hoch sind.“ Wenn Söder ankündigen würde, dass nun endlich der „Impfturbo“ in Bayern gezündet werden solle, müsse man eben auch versuchen, alle mitzunehmen, so die SPD-Landesvorsitzende.

Impfstoff-Lieferungen: Ärzte haben immer noch Probleme mit mangelnder Planbarkeit

Laut der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern (KVB) merken auch die niedergelassenen Ärzte deutlich, dass das Interesse an Impfungen in der Bevölkerung nicht mehr so hoch ist wie beispielsweise noch vor einem Monat. Zudem klagen viele Praxen immer noch über mangelnde Planbarkeit der Impfungen.

„Aus den Rückmeldungen der Praxen wissen wir, dass diese nach wie vor unter der Impfstoffknappheit und vor allem der Unwägbarkeit, wieviel Impfstoff denn genau in der Folgewoche geliefert wird, leiden“, erklärte ein Sprecher der KVB gegenüber dieser Redaktion.

Gerade größere Einzel- oder Zweierpraxen auf dem Land hätten das Problem, dass sie auf Grund der Kontingentierung nicht so viel Impfstoff erhalten, wie sie eigentlich verimpfen könnten, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung. Gleichzeitig haben einige Impfzentren Probleme, ihre Impfdosen loszuwerden.

Impfstoff von Astrazeneca ist in Bayern Ladenhüter

Zum Ladenhüter hat sich vor allem der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca entwickelt. Dass „Vaxzevria“ jetzt vor allem bei den Sonderaktionen der Landkreise angeboten wird und auch in vielen Arztpraxen bereit steht, ist nicht nur ein Hindernis für die Impfbereitschaft.

Es schafft auch Hürden für die Organisation: „Neben der Impfstoffknappheit melden Arztpraxen vor allem die geringe Akzeptanz des Impfstoffs von Astrazeneca als Problem. Der hohe Erklärungsaufwand kommt zu dem erheblichen Aufwand der Terminierung, Durchführung und Beobachtung der Wirkung der Impfung noch dazu“, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung.

Impfaktionen floppen, Söders Vize lässt sich nicht impfen

Wie soll es also weitergehen? Durch die Aufhebung der Priorisierung in den bayerischen Impfzentren, soll es einfach für alle Bürgerinnen und Bürger werden, einen Impftermin zu erhalten. Inwiefern die Sonderaktionen zum Juli-Beginn etwas bringen werden, ist noch unklar. Als beim Impfzentrum Memmingen 1.800 Dosen Astrazeneca im Turbo verimpft werden sollten, kam fast keiner vorbei. Nach gerade einmal 180 Impfungen wurde Aktion vorzeitig abgebrochen.

Dass Söders Vize Hubert Aiwanger zuletzt auch öffentlich erklärte, dass er sich er sich erstmal nicht gegen Covid-19 impfen lassen würde, dürfte auch nicht weiterhelfen. Damit spielte der Chef der Freien Wähler nicht nur Impfgegnern in die Hände, sondern ließ auch Menschen mit kleinen Zweifeln aufhorchen.

Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einer Pressekonferenz im Mai 2021 - im Hintergrund spiegelt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einer Pressekonferenz im Mai 2021 - im Hintergrund spiegelt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). © imago images/Sven Simon | imago images/Sven Simon

Opposition fordert Flexibilisierung der Impfkampagne

„Die Aufhebung der Priorisierung in Impfzentren ist zwar ein richtiger Schritt, wenngleich andere Bundesländer hier schneller waren“, sagt FDP-Landeschef Föst, der den aktuellen Status der Impfkampagne als „Trauerspiel“ bezeichnet. Jetzt geht es laut ihm vor allem darum, wohnortnahe Angebote, zum Beispiel durch mobile Teams, zu schaffen. Dass sei in einem Flächenland wie Bayern unbedingt notwendig.

„Fest steht, eine reine Zuteilung nach Bevölkerungsanteilen wird der Lebensrealität der Menschen nicht gerecht“, so der FDP-Politiker. Noch im Frühjahr war der Freistaat vorgeprescht und hatte die Impfpriorisierung in den Arztpraxen vergleichsweise früh aufgehoben. „Doch viele Hausärzte hatten nur eine Handvoll Dosen pro Woche zur Verfügung, um den Ansturm zu bewältigen“, erklärt SPD-Chefin Ronja Endres.

Hat die bayerische Staatsregierung daraus die falschen Schlüsse gezogen und an anderer Stelle zu lange starre Regelungen für die Impfkampagne aufrecht erhalten? Aus Sicht von Föst liegt genau hier die Fehlzündung für Bayerns „Impfturbo“: „Die Staatsregierung hat es leider verabsäumt, eine flexible Impfstoffverteilung zwischen Impfzentren, Hausärzten und Betriebsärzten zu koordinieren.“