Berlin. Angesichts steigender Inzidenzen verlangt Kanzlerin Merkel mehr Konsequenz von den Ländern – und droht den Ministerpräsidenten offen.

Es war ein Paukenschlag. Ganz kurzfristig hatte sich Angela Merkel bei der TV-Talkerin Anne Will am Sonntagabend eingeladen. Das macht die Kanzlerin, für die Interviews eher Last als Lust sind, nur, wenn sie eine dringende Botschaft loswerden will.

Was kam, war eine offene Drohung an die Länder: Wenn diese angesichts der dritten Welle nicht schnell härtere Maßnahmen umsetzen, will Merkel durchgreifen. Schon jetzt hätten die Länder die notwendigen Instrumente dafür an der Hand, sagte Merkel unter Verweis auf die bisherigen Bund-Länder-Beschlüsse.

Lesen Sie auch: Corona: Harter Lockdown und Ausgangsbeschränkungen drohen

Konkret nannte sie die Notbremse, die ab einer Inzidenz von 100 zahlreiche Auflagen wie eine Schließung der Geschäfte und die Beschränkung von privaten Treffen auf eine einzige Person eines weiteren Haushalts vorsieht.

Bei ihrem TV-Auftritt bei „Anne Will“ machte Merkel deutlich, dass sie den Ländern nur wenige Tage für härtere Maßnahmen gibt.
Bei ihrem TV-Auftritt bei „Anne Will“ machte Merkel deutlich, dass sie den Ländern nur wenige Tage für härtere Maßnahmen gibt. © dpa | Wolfgang Borrs

Ankündigung ist keine leere Drohung

Außerdem hob Merkel die Möglichkeit von Ausgangssperren hervor. „Wir müssen mit einer großen Ernsthaftigkeit jetzt die geeigneten Maßnahmen einsetzen. Und einige Bundesländer tun das, andere tun es noch nicht“, sagte sie. Sie werde sich „nur wenige Tage“ ansehen, ob das funktioniere: „Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, dass wir Hunderttausende Infizierte haben.“

Lesen Sie hier: Warum Angela Merkel die Ruhetage kippte

Aber hat Merkel diese Macht überhaupt? Tatsächlich ist es keine leere Drohung: Mithilfe der Mehrheit der Koalition im Bundestag könnte die Kanzlerin den Ländern in der Pandemiebekämpfung Macht nehmen. „Wenn man auf Bundesebene der Auffassung ist, dass in der Corona-Politik zu viele Stimmen im Chor ertönen und man diese Polyphonie reduzieren möchte, dann gibt es zwei Möglichkeiten“, sagt Ferdinand Wollenschläger, Rechtswissenschaftler von der Universität Augsburg.

Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie

Der eine Weg führt über Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes, der erst bei der letzten Änderung des Gesetzes im vergangenen Herbst eingefügt wurde. Der regelt, welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie möglich sind, zum Beispiel die Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen finden sich dort. Diese Liste von Maßnahmen könnte man enger fassen und so die Rolle des Bundestags stärken.

Der andere Weg führt über Paragraf 32 desselben Gesetzes: Dort ist festgelegt, dass es die Länder sind, die per Verordnungen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie steuern. „Diese Ermächtigung zum Verordnungserlass könnte man stattdessen der Bundesregierung zuweisen“, erklärt Wollenschläger.

Schon jetzt regele das Infektionsschutzgesetz aber klar, dass Länder nicht einfach nichts unternehmen können gegen die Pandemie. „Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz über 50 liegt, sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“

Freiheitseinschränkungen müssten gerechtfertigt sein

In beiden Fällen, sagt Wollenschläger, müsse aber eine regionale Differenzierung nach dem Infektionsgeschehen möglich bleiben. Denn die Freiheitseinschränkungen per Infektionsschutzgesetz müssten durch das Infektionsgeschehen gerechtfertigt sein.

Und wie reagierten die betroffenen Ministerpräsidenten auf Merkels TV-Auftritt? Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU) will an den für sein Bundesland geplanten Lockerungen nach Ostern festhalten. „Wir werden diese Strategie weiterverfolgen“, sagte er am Montag. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet verteidigte seine Politik. „Nordrhein-Westfalen hat die Notbremse flächendeckend verpflichtend für alle Landkreise umgesetzt“, sagte er am Montag.

Mehr zum Thema: Corona-Krise: Auf diese Experten hört die Bundeskanzlerin

Unterstützung für Merkel aus Bayern

Auch der Präsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung, hat sich für eine Beibehaltung bereits erfolgter Öffnungsschritte ausgesprochen, wenn diese an Corona-Tests geknüpft seien. Neue Lockerungen dagegen seien angesichts der angespannten Lage in der Pandemie nicht zu verantworten. „Aber wenn Länder bestehende Lockerungen an Negativtests knüpfen, ist das ein ernstzunehmender Versuch.“

Unterstützung bekam Merkel aus Bayern. Er sei dafür, dass der Bund mehr Kompetenzen bekomme und die Länder dann „zu klaren Regeln“ zwinge, sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder am Sonntagabend in den „Tagesthemen. Söder rief die anderen Länder auf, bereits über Ostern konsequent nächtliche Ausgangssperren umzusetzen.

In Tübingen nutzten am Sonntag viele Menschen die Öffnungen, für die negative Schnelltests Voraussetzung sind.
In Tübingen nutzten am Sonntag viele Menschen die Öffnungen, für die negative Schnelltests Voraussetzung sind. © dpa | Tom Weller

Erste Anzeichen von Autoritätsverlust

Einige politische Beobachter sehen Merkels TV-Auftritt als Verzweiflungstat. Verweigern sich die Länder ihrer Aufforderung, müsste sie in eine offene Konfrontation gehen. Dass sie die Ministerpräsidenten nicht von einem Kurs der Öffnung abhalten konnte, sind erste Anzeichen von Autoritätsverlust.

Noch bestreitet Merkel dies. Als Anne Will wissen wollte, ob Merkel, „am Ende Ihrer Autorität und Ihrer Durchsetzungskraft angelangt“ sei, wehrte die Kanzlerin ab: „Nein, das glaube ich überhaupt nicht.“ Lesen Sie hier: Existenzstrategie: Wie die Kanzlerin aus dem Lockdown will

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund fordert wegen der steigenden Infektionszahlen einen „kurzen, harten“ Lockdown ab Ostern: „Wir müssen die Osterwoche und die anschließende Ferienwoche unbedingt dazu nutzen, die Fallzahlen drastisch nach unten zu drücken“, sagte die Vorsitzende, Susanne Johna, unserer Redaktion.