Berlin. Verbraucher werden entlastet – doch Mehrkosten für Gas bleiben. Wirtschaftsforscher äußern Kritik, Kommunen begrüßen die Maßnahme.

Olaf Scholz tritt mit akademischer Verspätung ans Rednerpult. Dann geht alles sehr fix. In rund 100 Sekunden verkündet der Kanzler mit sachlich ernster Miene einen Beschluss der Bundesregierung, auf den viele gehofft hatten: Die Mehrwertsteuer für den Gasverbrauch wird zeitlich befristet von 19 auf 7 Prozent abgesenkt.

Der ermäßigte Steuersatz soll so lange gelten, wie die Gasumlage erhoben wird – also nach heutigem Stand bis zum 31. März 2024. Nachfragen sind bei dem Pressestatement nicht vorgesehen, Scholz verlässt seine Bühne vor der bekannten blauen Wand im Bundeskanzleramt.

Mit der Entlastung will Scholz sein jüngst gegebenes Versprechen einlösen, in der Krise niemanden allein zu lassen – nach dem Motto „You'll never walk alone“. Die Mehrwertsteuersenkung sei dabei ein weiterer Schritt zur Entlastung. Es sollen weitere folgen.

Die Regierung wolle „in den nächsten Wochen“ ein drittes Entlastungspaket schnüren, „um den großen Druck, der auf vielen Bürgern und Unternehmen lastet, abzumildern“, so Scholz. Es handele sich um eine Gerechtigkeitsfrage. Diese sei entscheidend, „damit das Land in dieser Krise zusammenbleibt.“

Senkung der Mehrwertsteuer: Soll „1:1“ beim Verbraucher ankommen

Wie das weitere Paket aussehen soll, darüber schwieg Scholz. Die Maßnahmen sollen „vertrauensvoll in der Regierung“ entwickelt werden. Aber klar ist dem Kanzler nicht erst seit ersten Protesten von Unzufriedenen: „Die steigenden Energiepreise sind eine große Belastung für sehr viele Bürgerinnen und Bürger.“

Umso mehr pocht der Kanzler darauf – wohl auch nach den Erfahrungen mit dem Tankrabatt und den wenig nachvolllziehbaren Preisen an Tankstellen -, dass die Regierung von den Unternehmen erwartet, dass „diese Senkung 1:1 an die Verbraucher weitergegeben wird. Das werden wir klar kommunizieren.“

Mit der Mehrwertsteuersenkung will die Bundesregierung vor allem die zusätzlichen Belastungen der obligatorischen Mehrwertsteuer auf die Gasumlage abfedern. So müssen Gasbezieher künftig für jede verbrauchte Kilowattstunde 2,4 Cent als zusätzliche Umlage bezahlen.

Gasumlage: Energiekonzerne müssen sehr teures Gas einkaufen

Dieses Geld soll Gasimporteure entlasten, die wegen der gedrosselten Lieferungen aus Russland nun bei anderen Anbietern Gas deutlich teurer einkaufen müssen, um ihre Verträge zu erfüllen. Ein Aussetzen der Steuer auf die Gasumlage wurde von der EU abgelehnt.

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Am Donnerstag wurde die Höhe von zwei weiteren Umlagen bekanntgegeben. Für die sogenannte Regelenergie – ein regelmäßiger Bestandteil der Gaskosten – werden in diesem Jahr bis zu 0,57 Cent fällig. Mit der Mehrwertsteuer ergeben sich für einen Vier-Personen-Musterhalt so Mehrkosten von rund 121,98 Euro pro Jahr. Weitere 0,059 Cent pro Kilowattstunde kommen durch die neue Gasspeicherumlage hinzu.

Dennoch werden nach Aussagen von Scholz die Gaskunden durch die generelle Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent unterm Strich sogar „deutlich stärker“ entlastet werden, als die Mehrbelastung durch die Umlagen betragen würden. Ob diese Aussage so stimmt, daran gibt es Zweifel. Nach einer Berechnung des Vergleichsportals Verivox zahlen Verbraucher unterm Strich auch trotz der Mehrwertsteuersenkung immer noch mehr Geld für Gas als ohne Umlage.

Mehrwertsteuersenkung gleichen Kosten der Gasumlage nicht aus

„Ohne Gasumlage beträgt die Ersparnis durch das Absenken der Mehrwertsteuer für einen Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 kWh 412 Euro pro Jahr, bezogen auf den durchschnittlichen Gaspreis im August 2022. Die Gasumlage beträgt jedoch 484 Euro netto. Das ergibt unterm Strich ein Minus von 72 Euro“, rechnet der Verivox-Energieexperte Thorsten Storck beispielhaft für eine Familie mit zwei Kindern in einem Reihenhaus vor. Mit Gasumlage beliefen sich die Mehrkosten sogar auf 105 Euro – bei einer Versteuerung von 7 Prozent, sagt Storck dieser Redaktion: „Die Mehrwertsteuersenkung gleicht die Kosten der Gasbeschaffungsumlage damit nicht aus.“

Für Single-Haushalte (mit 5000 kWh Verbrauch) kommt Verivox unterm Strich auf Mehrkosten – trotz Steuersenkung – von 25 Euro, Ehepaare (12.000 kWh) müssen 82 Euro mehr bezahlen und Familien mit Kind (18.000 kWh) 93 Euro. Hinzu kommt, dass sich die Gaspreise für viele Gaskunden bereits jetzt schon im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht haben, was für einige Familienhaushalte Mehrkosten von gut 2300 Euro pro Jahr bedeutet.

Mehrwertsteuersenkung: Gewerkschaft fordert gedeckelten Gaspreis

Die Mehrwertsteuersenkung stößt auf unterschiedliche Bewertungen. Der Paritätischen Wohlfahrtsverbands begrüßt die Senkung, fordert aber weiter gezielte Unterstützung für einkommensschwache Haushalte und ärmere Bevölkerungsgruppen, „die jetzt schon überfordert sind“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider dieser Redaktion.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, forderte gegenüber dieser Redaktion eine Deckelung des Gaspreises bis zu einem Verbrauch von 12.000 Kilowattstunden – zu einem Preis, der dem Niveau des Jahres 2021 entspricht.

Die Linken halten die Absenkung zwar für richtig, sehen darin „aber letztlich nicht mehr als ein Trostpflaster für die Gasumlage“, so der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Die Bürger seien einer Verdreifachung der Gaspreise ausgeliefert, daran ändere auch die richtige Senkung der Mehrwertsteuer kaum etwas. Bartsch fordert einen Gaspreisdeckel mit einem kostengünstigen Grundkontingent. „Und wir brauchen dringend ein drittes Entlastungspaket unter anderem mit einem Wintergeld von 1500 Euro pro Haushalt und 600 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied."

Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas: Wirtschaftsforscher schlagen kritische Töne an

Manche Wirtschaftsforscher bewerten die geringere Mehrwertsteuer dagegen kritisch. „Dieser Beschluss verwässert einen wesentlichen gewünschten Zweck der Gasumlage: Gas einzusparen“, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident des Kieler Institut für Weltwirtschaft. „Die Politik bremst den Preisanstieg nun für Gasverbraucher in der Breite ab, weil sie die sozialpolitischen Folgen fürchtet.“

Dafür drohe, dass die Einsparziele verfehlt würden, die für eine sichere Gasversorgung notwendig wären. „Um soziale Härten abzufedern, wäre es eine bessere Lösung, die Mehrwertsteuer in voller Höhe zu erheben und die Einnahmen dann zielgenau jenen zukommen zu lassen, die durch die steigenden Kosten in existenzielle Nöte geraten.“

­­­­­­­­­­­­­­­­­Auch der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, kritisiert, dass durch die Mehrwertsteuersenkung vor allem jene entlastet werden, die mehr Gas verbrauchen.

Hätte man die Mittel verwendet, um einen Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch von Gas für jeden Haushalt einzuführen, so wäre die Entlastung in Euro gleichmäßiger auf die Haushalte verteilt, so Dullien: „Außerdem bliebe der Anreiz zum Gassparen in vollem Maß intakt, weil für den Gasverbrauch oberhalb des Sockels der volle Preis fällig wäre.“

Mehrwertsteuersenkung: Kommunen rechnet mit finanziellen Einsparungen

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) wünscht sich vor allem, dass die Finanzverwaltung zeitnah Informationen zur praktischen Umstellung des Steuersatzes veröffentlicht, damit ein möglichst reibungsloser Prozess gelinge. Die Kommunen in Deutschland rechnen derweil mit erheblichen finanziellen Einsparungen durch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf den Gasverbrauch. „Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Gas von 19 auf sieben Prozent ist ein wichtiges Signal und stellt eine spürbare Entlastung für Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und nicht zuletzt auch für die Kommunen selbst dar“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, unserer Redaktion.

Landsberg führte aus, Städte und Gemeinden seien „mit ihren Rathäusern, Schulen, Kitas, Verwaltungsgebäuden und Sportstätten einer der größten Immobilienbesitzer in Deutschland und damit von dem Anstieg der Energiepreise stark betroffen“. Die Kommunen begrüßten diese dringend notwendige Maßnahme, um den „dramatischen Anstieg der Energiepreise“ für die Bevölkerung und die Wirtschaft abzubremsen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.