Washington. Die Ermittlungen gegen Donald Trump werden ausgeweitet. Als Kronzeuge will die Staatsanwaltschaft Trumps Finanzvorstand gewinnen.

Meist sind es zwei, drei Stakkato-Bemerkungen, mit denen sich Donald Trump zu Wort meldet, um die amtierende US-Regierung zu geißeln, republikanische Lieblinge zu hätscheln, Kritiker zu verdammen und seine verlorene Wahl als Resultat einer "großen Lüge" darzustellen. Am Dienstagabend verließ der ehemalige US-Präsident das gewohnte Muster.

Mit langen Sätzen und viel Schaum vor dem Mund reagierte der kurz vor seinem 75. Geburtstag stehende Unternehmer auf eine Nachricht, die ihn offenbar ernsthaft besorgt: Die gegen ihn und sein Firmen-Imperium seit Monaten laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen sind erheblich intensiviert worden. New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James sieht abseits der zivilrechtlichen Aspekte nun auch kriminelle Sachverhalte. Außerdem hat die oberste Juristin des Bundesstaates ihre Leute mit dem Team von Manhattans Bezirksstaatsanwalt Cyrus Vance im Fall Trump fusionieren lassen.

Trump: Ermittlungen zu Schweigegeld-Zahlungen und Steuerhinterziehung

Seither werden die Kern-Vorwürfe in einem Guss bearbeitet: widerrechtliche Verrechnung von Schweigegeldzahlungen an zwei Frauen, die nach eigenen Angaben Affären mit Trump hatten (was dieser bestreitet) und der Verdacht der Steuerhinterziehung plus Banken- und Versicherungsbetrug.

Neu ist: Vance, gleichnamiger Sohn des früheren US-Außenministers zu Jimmy Carters Zeiten, sieht offenbar ausreichend Grund, um tatsächlich eine Anklage anzustreben. Hintergrund: Vance kam im Februar nach letztinstanzlichem Urteil des Obersten Gerichtshofes in den Besitz von umfangreichen Steuer-Unterlagen Trumps aus dem Zeitraum 2011 bis 2019.

New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James sieht bei den Ermittlungen zu Trump auch kriminelle Sachverhalte.
New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James sieht bei den Ermittlungen zu Trump auch kriminelle Sachverhalte. © imago images/ZUMA Wire

Nun hat der Ende des Jahres ausscheidende Top-Jurist eine "Grand Jury" einberufen, der in den kommenden sechs Monaten drei Mal pro Woche hinter verschlossenen Türen dargelegt werden soll, was die Ermittler gegen Trump und seine Firma an belastenden Indizien herausgefunden haben. So berichten es die "Washington Post" und andere US-Medien. Sie betonen: Hätte Vance nichts in der Hand, hätte er diesen Schritt nicht getan.

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Geschworene können formell Anklage gegen Trump erheben

Bei der Anklagekammer handelt es sich um eine Besonderheit des US-Strafprozessrechts. Sie ist ein Gremium von auf Zeit ernannten Bürgerinnen und Bürgern, zwischen 16 und 26 an der Zahl, die vor einem echten Prozess prüfen, ob hinreichender Tatverdacht für eine Anklage besteht. So soll staatliche Willkür verhindert werden.

Die Geschworenen können den Fall abweisen oder formell Anklage erheben ("indictment"). Ihr Votum muss dabei nicht einstimmig sein, es reicht die einfache Mehrheit. Käme es im Fall Trump dazu und zu einem Prozess, der mit einer Verurteilung endet, wäre Neuland betreten. Noch nie wurde ein ehemaliger US-Präsident bisher derart behelligt.

Ex-US-Präsident hält Ermittlungen für politische "Hexenjagd"

Trump sieht in der neuen Wendung eine politisch motivierte "Hexenjagd" (James und Vance sind Demokraten). Er behauptet, dass man ihm "verzweifelt" ein Verbrechen anhängen will, um ihn "politisch zu zerstören" und eine mögliche zweite Kandidatur bei der Wahl 2024 zu verhindern. Für Trump ein "Affront" gegen 75 Millionen Wähler, die ihm im vergangenen November ihre Stimme gegeben haben.

Anstatt sich in New York City um die "höchste Verbrechensrate in der Geschichte" zu kümmern, stellten die Staatsanwälte ihm nach, schrieb Trump. Und bescheinigt sich, laut Umfragen der "weit führende" republikanische Kandidat zu sein, wenn es um die Wahl in drei Jahren gehe. Dabei ist Trump nicht entgangen, dass die Ermittler vor allem Mitarbeiter aus Trumps Orbit aufscheuchen und zur Kollaboration mit den Behörden bringen wollen.

Ermittlungen gegen Trump: Allen Weisselberg könnte Schlüsselfigur sein

Als Schlüsselfigur rückt dabei immer deutlicher ein Schnäuzer tragender Mann in den Mittelpunkt, der bald 50-jähriges Dienstjubiläum im Hause Trump feiern könnte: Allen Weisselberg fing 1973 bei Donald Trumps Vater Fred, der damals den Konzern steuerte, als kleiner Buchhalter an. Über die Jahre stieg er zum "Chief Financial Officer" auf, wurde Donald Trumps rechte Hand bei allen geldwerten Aspekten des Imperiums.

"Jeder Cent, der eingenommen und ausgegeben wird, geht über Weisselbergs Schreibtisch", sagt Michael Cohen. Trumps ehemaliger Privat-Anwalt, wegen Betrügereien zugunsten Trumps zu drei Jahren Haft verurteilt, hat für den Ex-Präsidenten unter anderem die Schweigegeld-Affäre um den Pornostar Stephanie Clifford (Stormy Daniels) gedeichselt.

Pornostar Stephanie Clifford (Stormy Daniels) erhielt 130.000 Dollar Schweigegeld, um einen Seitensprung mit Donald Trump für sich zu behalten.
Pornostar Stephanie Clifford (Stormy Daniels) erhielt 130.000 Dollar Schweigegeld, um einen Seitensprung mit Donald Trump für sich zu behalten. © imago images / ZUMA Press

Die 130.000 Dollar, die er der Aktrice zahlte, damit sie einen über zehn Jahre zurückliegenden Seitensprung mit Trump vor der Präsidentschaftswahl 2016 für sich behält, wurde laut Aktenlage von Weisselberg intern erstattet. Darüber hat Cohen ausgiebig mit der Staatsanwaltschaft gesprochen.

Was dabei an Wissen zusammengekommen ist, weiß öffentlich noch niemand. Es muss aber Gewicht haben. Chefstaatsanwalt Vance will Weisselberg unbedingt als Lotsen durch das verästelte Labyrinth des Trump-Konzerns samt seiner rustikalen Be- und Verrechnungsmethoden gewinnen, die nicht erst seit gestern unter Manipulationsverdacht stehen.

"New York Times": Trump rechnete sich mal arm, mal reich

Die "New York Times" hatte akribisch herausgearbeitet, dass Trump über viele Jahre sich und seinen vorwiegend aus Hotels, Golf-Anlagen und Bürotürmen bestehenden Immobilienbesitz mal reich und mal arm gerechnet hat. Um entweder günstige Kredite bei seinen Banken zu erhalten. Oder um die Steuerschuld gegenüber dem Fiskus zu senken.

Um welche Dimension es dabei geht, zeigt diese Facette: 2016 und 2017 zahlte Trump laut "New York Times" jeweils nur 750 Dollar Einkommensteuer an die staatliche Finanzbehörde IRS. Davor fiel die "federal income tax" des Milliardärs in zehn von 15 Jahren so aus: null. Weisselberg, Hüter des Geldes, soll über jedes Details im Bild sein.

Wie weit die Ermittler zu gehen bereit sind, um Weisselbergs Zunge zu lockern, zeigt der Fall seiner ehemaligen Schwiegertochter Jennifer. Die bekam neulich Besuch von den Staatsanwälten. Sie interessierten sich zum Beispiel dafür, ob Donald Trump Allen Weisselberg via Autos, Wohnungen (für seinen Sohn Barry) und Schulgebühren für Privatschulen (für seine Enkel) finanzielle Vergünstigungen hat zukommen lassen, die dieser möglicherweise nicht ordnungsgemäß versteuert hat. Was eine Straftat wäre. Auch Barry Weisselberg, der für Trump eine bekannte Eislauffläche im New Yorker Central Park leitet, könnte in die Bredouille geraten.

Weisselbergs Ex-Schwiegertochter zeigt sich kooperativ

Jennifer Weisselberg war kooperativ. Sie übergab eine Computerfestplatte und mehrere Kartons mit Unterlagen. Cyrus Vance könnte mit diesem Druckmittel versuchen, Weisselberg zu einer belastenden Aussage über die innere Mechanik des Trump-Konzerns zu bewegen. Und dann? Brechen alle Dämme, sagt Trumps Ex-Vertrauter Michael Cohen.

Festzuhalten bleibt: Weder Weisselberg, geschweige denn Trump oder ein anderes Mitglied der Familie, sind bisher formal angeklagt worden. Welche Vergehen Trump im Detail zur Last gelegt werden, ist ebenfalls unbekannt. Und damit auch die Antwort auf die Frage, was Trump im Falle einer Anklage plus erfolgreicher Verurteilung theoretisch droht. Das Spektrum, sagen Juristen in Washington, "reicht von Freispruch über Haftstrafe für den Ex-Präsidenten bis zur Zerschlagung und Auflösung seines Unternehmens".