Berlin. First Lady Elke Büdenbender und Mediziner Eckard Nagel über Sterbehilfe, die Pandemie und den Krieg als Mahnmal menschlichen Versagens.

Elke Büdenbender und Eckard Nagel sind schon lange befreundet. Die Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verbindet mit dem Arzt und Ethiker nicht nur, dass beide offen über tief erschütternde Zeiten in ihrem Leben sprechen können. Sie wollen ihre Gedanken über Tod und Sterben auch teilen und haben gemeinsam das Buch „Der Tod ist mir nicht unvertraut“ (Ullstein Verlag) geschrieben. An einem lichten Vorfrühlingstag sind sie zum Interview gekommen, um mit großer Wärme über ein schweres Thema zu sprechen.

Frau Büdenbender, Herr Nagel, es herrscht wieder Krieg mitten in Europa. Hätten Sie es je für möglich gehalten, dass Menschen nicht weit von Deutschland entfernt durch Waffengewalt sterben, darunter auch Kinder?

Elke Büdenbender: Ein Angriffskrieg mitten in Europa – das ist ein Bruch mit allem, was wir aus eigenem Erleben kennen, wofür Europa steht. Es ist auch ein Bruch mit allem, woran wir geglaubt haben – dass Konflikte friedlich zu lösen sind und dass es immer einen Weg geben muss, zum Dialog zurückzukehren. Es bewegt mich wirklich zutiefst, was wir jeden Tag aus der Ukraine sehen und hören: eingeschlossene, zerbombte Städte, Menschen – Frauen und Kinder – in größter Not, die einfach alles verlieren und große Angst haben. Selten kommen mir bei Nachrichtensendungen die Tränen, in den letzten Wochen war es häufiger der Fall.

Sie beide haben in den Monaten der Corona-Pandemie ein Buch über das Sterben geschrieben. Wie verändert der Krieg Ihren Blick auf das Thema Tod?

Eckard Nagel: Ich teile die tiefe Betroffenheit und Trauer, die Elke zum Ausdruck gebracht hat. Im Hinblick auf unser Buch ergibt sich zum Thema Tod und Sterben aber ein fundamentaler Unterschied: wir sprechen über den natürlichen Tod, das schicksalhafte Ereignisse, das unausweichlich zu jedem Leben gehört. Und wir wünschen uns Aufmerksamkeit und Offenheit für dieses Thema, um Ängste zu nehmen und einen bewussteren Alltag zu ermöglichen. Zu all dem steht ein Krieg im krassen Widerspruch. Menschsein und Mitmenschlichkeit sind mit dem Krieg nicht vereinbar. Der bewusst in Kauf genommene, gewaltsame Tod ist stets ein Verbrechen, er richtet sich gegen das ethische Fundament unseres Zusammenlebens. Der Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen und die durch ihn Getöteten sind ein Mahnmal des menschlichen Versagens.

Mehr als 120.000 Menschen in Deutschland sind im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Was hat Corona bezogen auf den Tod verändert?

Elke Büdenbender: Corona hat vor allem deutlich gemacht, wie schmerzhaft es ist, wenn wir geliebte Menschen nach ihrem Tod nicht noch einmal sehen und berühren können . Alles, was wir kannten, galt plötzlich nicht mehr: Wir konnten unsere Toten oft nicht einmal gemeinsam bestatten. Es hat mich wirklich geschmerzt, das zu erleben. Als mein Vater vor einiger Zeit gestorben ist, habe ich gemerkt, wie wichtig es für mich war, ihn noch einmal zu sehen und seine Hand zu halten. Ich brauchte dieses direkte Erleben, um seinen Tod wirklich zu begreifen. Viele Menschen, die sich wegen Corona nicht persönlich von verstorbenen Angehörigen verabschieden konnten, leiden bis heute darunter. Denn ihre Trauer hat keinen Weg nach außen gefunden, sie wurde eingesperrt.

Eckhard Nagel: Die Pandemie ist ein kollektives Trauma, das wir alle erlebt haben. Wer einen geliebten Menschen verloren hat, ist noch stärker betroffen. Keine Möglichkeit zu haben, den sterbenden Nächsten zu begleiten und sich zu verabschieden, hinterlässt tiefe emotionale Verletzungen.

Elke Büdenbender, First Lady und Juristin, und Eckhard Nagel, einer von Deutschlands führenden Transplantationsmedizinern, sprechen über eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Sterben.
Elke Büdenbender, First Lady und Juristin, und Eckhard Nagel, einer von Deutschlands führenden Transplantationsmedizinern, sprechen über eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Sterben. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Hatten Sie während Corona einmal Angst, Ihr Leben könnte in ernsthafter Gefahr sein?

Elke Büdenbender: Ich hatte zu keinem Zeitpunkt Todesangst, sondern eher Sorge um meine Eltern, um Verwandte und um die älteren Menschen. Sie nicht sehen zu können, hat mir viel ausgemacht. In der Pandemie haben mein Vater und ich fast täglich telefoniert, auch noch an dem Abend als er plötzlich starb. Um mich selbst habe ich mir keine Sorgen gemacht, weil ich seit Jahren damit umgehe, dass mein Körper verletzlich ist. Ich weiß, wie ich mich verhalten muss.

Eckhard Nagel: Ich hatte zu Beginn der Pandemie Angst, dass Corona auch Kinder und Jugendliche stark treffen könnte. Als sich im Frühsommer 2020 abzuzeichnen begann, dass dem nicht so ist, war ich sehr erleichtert. Um mich selbst hatte ich keine Angst.

Menschen, die eine Organtransplantation hinter sich haben, galten als besonders bedroht. Traf das auch auf Sie zu, Frau Büdenbender? Oder liegt ihre Nierentransplantation so weit zurück, dass dies keine Rolle mehr spielte?

Elke Büdenbender: Der Zeitpunkt der Transplantation macht keinen Unterschied. Ich war in der Priorisierung vorne und dann heilfroh, als ich mich endlich impfen lassen konnte.

Haben Sie bereits die vierte Impfdosis erhalten?

Elke Büdenbender: Ja, mittlerweile. Aber ich bin aufgrund meiner Erkrankung ohnehin sehr vorsichtig im Alltag.

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Zwingt uns die Pandemie zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Tod?

Elke Büdenbender: Der Tod ist durch Corona stärker ins Bewusstsein gerückt, vor allem die erschreckenden Bilder und die Zahlen. Eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Tod an sich sehe ich aber nicht. Das müsste jedoch das Ziel sein. Wir müssen das Sterben stärker als Bestandteil unseres Lebens begreifen. Wir müssen mehr über den Tod und unsere Vorstellung davon sprechen. Das klärt Dinge. Zum Beispiel haben mein Mann und ich eine Patientenverfügung gemacht. Mich beruhigt das.

Eckard Nagel: Der Tod wurde durch Covid im Alltag plötzlich sehr präsent. Jeden Tag gibt es neue Zahlen von Verstorbenen. Über zwei Jahre sind wir mit ihnen in den Morgennachrichten aufgewacht. Aber ich bezweifle, dass wir uns dadurch anders mit dem Sterben auseinandersetzen. Der Tod an sich, in seiner Realität, wird weiterhin aus unserem Alltag verdrängt. Rituale der Verabschiedung, etwa eine Aufbahrung wie früher, gibt es kaum noch. Friedhöfe sind keine Orte der Begegnung mehr. Es fehlt an emotionalen Zugänge.

Was gab Anstoß, ein Buch über das Sterben zu schreiben?

Elke Büdenbender: Die Bilder von Massen an Toten etwa in Bergamo und New York haben mich tief erschüttert. Es war eine „Entpersönlichung“ des Sterbens. Man sah nicht mehr den Menschen, sondern nur Leichensäcke und Särge, ohne Trauer, ohne Angehörige. Auch in Deutschland sind vor allem in den Pflegeheimen unheimlich viele Menschen einsam gestorben. Das hat uns beide sehr umgetrieben. Daraus entstand das Buchprojekt.

Es gibt Klärungsbedarf beim Urteil des Verfassungsgerichts zur Sterbehilfe. Frau Büdenbender, wie sollte eine Regelung aussehen?

Elke Büdenbender: Wir müssen akzeptieren, wenn Menschen sagen, sie wollen einen langen Weg bis in den Tod nicht gehen und ihr Sterben nicht erleben. Diese Selbstbestimmung muss es geben. Aber wir brauchen sehr klare Regeln und eine Begleitung, um sicherzustellen, dass eine solche Entscheidung selbstbestimmt getroffen wird. Ich kann mir vorstellen, dass eine Ethikkommission im Einzelfall entscheidet, wie nachhaltig der Wunsch nach dem Lebensende ist und wie selbstbestimmt er getroffen wurde. Das Gremium sollte ethischen, medizinischen und juristischen Sachverstand vereinen.

Das Cover des Buches
Das Cover des Buches "Der Tod ist mir nicht unvertraut. Ein Gespräch über das Leben und das Sterben" von Elke Büdenbender und Eckhard Nagel. Das in Gesprächsform geschriebene Werk ist im Ullstein Verlag erschienen. © dpa | llstein Verlag

Haben Sie durch ihre schwere Nierenerkrankung einen anderen Zugang zum Thema Tod?

Elke Büdenbender: Ich denke schon. Als meine Nieren zum ersten Mal versagten, war ich erst 34. Ich habe mir Gedanken über meine eigene Endlichkeit gemacht. Und ich hatte große Angst, mein Kind und meinen Mann zu verlieren und nicht erleben zu können, wie meine Tochter groß wird. Das war sehr einschneidend.

Sie beschreiben in dem Buch eine Szene, in der Sie im Krankenhaus lagen und ihre Situation sehr kritisch war. Sie erwähnen, dass Ihr Mann, Frank-Walter Steinmeier, weinte. Haben Sie gezögert, dieses sehr persönliche Detail über den Bundespräsidenten preiszugeben?

Elke Büdenbender: Ja, ich habe gezögert und es mir lange überlegt. Wir haben in der Familie sehr viel darüber gesprochen, mit meinem Mann und meiner Tochter. Ich habe ihnen die Passage zu lesen gegeben und gefragt, ob sie es angemessen finden, ob sie einverstanden sind. Das ging ein wenig hin und her. Am Ende waren wir uns einig: So ist das Leben. Wir alle können an Punkte kommen, an denen man merkt, wie sehr das eigene Leben ins Wanken gerät. Ich finde es keine Entblößung zu zeigen, dass auch jemand, der ein hohes Amt bekleidet, solche Momente hat. Es zeigt, wie der Mensch ist. Jeder von uns.

Hat Ihr Mann mit dieser Szene gehadert?

Elke Büdenbender: Wir sind ja sonst in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend, da sind wir uns einig. Und auch hier waren wir uns einig: etwas preisgeben, um das Menschsein zu zeigen.